„An den Rollstuhl gefesselt“

Montag Abend des 19. Juli, der Fernseher läuft, ich sitze entspannt zuhause auf meiner roten Couch (ganz bewusst nicht im E-Rollstuhl, denn auf der Couch ist es gemütlicher) beim Abendessen und schaue "Salzburg Heute".

An den Rollstuhl gefesselt
Balance/Hiebl

Da läuft ein Beitrag über den „integrativen Journalismuslehrgang“, der zum Ziel hat, das mediale Bild von Menschen mit Behinderungen positiv zu beeinflussen und in nicht-diskriminierender Art und Weise darzustellen. Super, denke ich mir und freue mich, dass endlich mal ein „gscheiter Beitrag“ zu einem Behindertenthema in der regionalen Berichterstattung läuft. Plötzlich trifft es mich wie der Blitz und ich verschlucke mich fast an meinem Schinkenbrot….

Ein rollstuhlfahrender Teilnehmer wird gezeigt und vorgestellt und bekommt von der Beitragssprecherin die personifizierte Betitelung seines Namens, seines Alters, seiner Behinderung und die Endung: „seit soundsoviel Jahren an den Rollstuhl gefesselt!“

Ich kann es nicht glauben und starre fassungslos in die Mattscheibe! In meinem Bauch spüre ich schlagartig Enttäuschung mit geballter Wut aufsteigen. Scheiße, denke ich mir, das gibt’s doch nicht!!! Das bin ich verdammt noch mal nicht! Das sind wir alle nicht, die sich da eben mit 4 rädern unterm Hintern fortbewegen!!! Wann endlich kapiert IHR das einmal??? Wann? Wir schreiben das Jahr 2004! Was hat das letzte „Behinderten-Jahr“ uns tatsächlich gebracht, wenn wir noch immer nicht als das wahrgenommen werden was wir sind!

Nicht gefesselt! Keine Opfer! Nicht hilflos und auch nicht krank!

Und um alles in der Welt, wenn es in euren Köpfen schon so tief verankert ist, dann sagt es zumindest nicht im Fernsehen und schon gar nicht bei so einem, eigentlich positiven, Beitrag. Ich fühle mich verletzt, gekränkt, abgewertet und diskriminiert. Ich atme ein paar mal tief durch, zünde mir eine Zigarette an und versuche den versetzten Stich in meinem Herzen in die Schublade für „Ertragen und Verarbeiten“ abzulegen.

Ich denke noch, mag ja sein, dass Zeitdruck und ein Nicht-Nachdenken zu dieser Floskel führten. Trotzdem finde ich, haben gerade Menschen die im öffentlichen Medienbereich tätig sind, die Verpflichtung mit den Themen, die sie darstellen, sich auf einer Basisebene zu befassen, die sich zumindest von der Sichtweise eines „Otto-Normalverbrauchers“ abhebt. Dies empfinde ich bei einer Formulierung, die so markant Diskriminierung eines Rollstuhlbenutzers signalisiert in keiner weise gegeben.

Eine Stunde später kommt eine Freundin zu Besuch. Ich habe inzwischen die besagte Schublade fest zugemacht, da wir ja einen netten Abend haben wollten. Irgendwann im Verlauf des Gesprächs kommen wir dennoch auf das Thema. Die Enttäuschung und auch der Ärger ist sofort wieder da. Sie versteht mich, da selbst betroffen, und es tut gut mich mit ihr auszutauschen. Wir schreiben noch in gleicher Nacht einen Leserbrief an den ORF.

Leserbrief!
Zwei Tage später folgt prompt die Antwort besagter Journalistin. Sie denke von sich bereits sehr sensibilisiert und engagiert zu sein und habe nun aufgrund unserer Reaktion Angst bekommen bei einem nächsten Beitrag über Behinderung wieder etwas falsch zu machen.

Du meine Güte, denke ich mir, nun ist die arme Frau gekränkt und verletzt, obwohl sie ja guten Willens war und ist. Nichts anderes haben wir getan, als sie darauf hinzuweisen, dass diese Formulierung völlig unpassend, nicht zeitgemäß und diskriminierend ist.

Warum bitte um alles in der Welt, sollen wir ständig die anderen, die sogenannten Nichtbehinderten mit Samtpfoten anfassen? Warum dürfen wir nicht protestieren, aufschreien und es klar und deutlich sagen, wenn uns etwas kränkt, verletzt und ärgert? Manchmal denke ich mir, vielleicht können sie leichter mit uns, wenn sie uns als „Gefesselte“ wahrnehmen. Denn dann begehren wir nicht auf. Fordern keine Rechte ein und wagen es nicht unsere Stimme zu erheben, dort wo es notwendig und längst an der Zeit ist.

Ich finde, dass es ein typisches „Behindertenphänomen“ ist, dass wir uns immer solche Sorgen machen und schnell dazu verleitet sind, wie „die Anderen“, die Nichtbetroffenen, uns und unsere Bedürfnisse, sowie Aussagen wahrnehmen, aufnehmen und damit umgehen! Und wenn es dann mal etwas deutlicher ausfällt, dann muss gleich besänftigt, gestreichelt und getröstet werden. Damit sie ja nicht traurig sind, womöglich Angst bekommen und vielleicht uns freiwillig nichts mehr gutes tun. Vielleicht keine Beiträge mehr senden?

Wer bitte tröstet uns? Wenn wir immer wieder mal öffentlichen Diskriminierungen ausgesetzt sind? Meistens niemand! Wie oft ist es mir in meinen 40 Jahren passiert, dass mir fremde Leute auf der Straße, weil ich gerade irgendwo wartend (vielleicht eine Verabredung zu einem Date) herumstand, eine Tafel Schokolade, ein Eis, einen kleinen Geldschein vor die Nase hielten oder ich ein liebevolles Streicheln, welches mir alle Nackenhaare aufstellte, über den Kopf bekam. Wer bitte fragt mich in solchen Augenblicken dann, wie ich mich fühle und wohin ich dieses diskriminierende Verhalten stecke?

Wie ich es schaffe, immer wieder aus diesem Sumpf der abwertenden Sichtweisen emporzusteigen und mich selbst als starke, selbstbewusste und auch hübsche Frau zu sehen.

Denn meistens müssen wir ganz allein (oder mit Gleichgesinnten) diese verbalen Attacken und auch Handlungen verkraften, irgendwo und wie in uns verdauen und verarbeiten und einen „Ganzkörperpanzer“ stets griffbereit parat haben.

So lange es eine Sendung wie „Licht ins Dunkel“ als Selbstbeweihräucherung und Gewissensberuhigung zur Weihnachtszeit gibt, solange hat sich an unserem Bild, die wir vollwertige und mündige Bürger einer Gesellschaft sind, nicht viel geändert und so lange werde ich es als meine Pflicht ansehen und wahrnehmen, meine Stimme zu erheben und aufmerksam und sichtbar zu machen!

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden!“ (Hermann Hesse)

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