Andreas Vega: Unsere Menschenrechte nicht länger verschleppen

Die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention duldet nach Ansicht von Andreas Vega keinen Zeitaufschub mehr.

Andreas Vega
Vega, Andreas

„Viel zu lange warten wir schon darauf, dass unsere Menschenrechte anerkannt werden“, sagt heute im kobinet-Interview der Mann, der in diesem Jahr den Elke-Bartz-Preis des Forums selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen erhält.

Sein Eindruck ist, „dass auf oberen Etagen viel diskutiert, viel verabschiedet und viel Reden gehalten werden, aber sich an der Basis überhaupt noch nichts verändert hat“.

kobinet: Du wirst den Elke-Bartz-Preis 2012 erhalten. Was ging dir durch den Kopf, als du erfahren hast, dass du diese ehrenvolle Auszeichnung verliehen bekommst?

Vega: Am Anfang konnte ich es gar nicht glauben, da ich meine Aktivitäten selber nicht so hoch und weltbewegend einschätze. Im zweiten Augenblick fühle ich mich sehr geehrt.

Elke war ja eine Mitstreiterin der ersten Stunde, die Unmögliches möglich gemacht hat und rund um die Uhr für alle Menschen da gewesen ist. Das würde ich von mir nicht behaupten.

kobinet: Du zählst zum Urgestein der deutschen Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Was motiviert dich in dem nun schon seit Jahrzehnten langen Kampf um die Rechte von Menschen mit Behinderungen?

Vega: Zum Urgestein zähle ich mich nicht, da waren ganz andere Leute wie zum Beispiel Horst Frehe aus Bremen oder Theresia Degener, die jetzt eine Professur in Bochum hat. Noch eine Menge Namen würden mir einfallen, das führt hier aber zu weit.

Ich selber bin erst seit Ende 1993 dabei. Davor habe ich mein selbstbestimmtes Leben ausleben wollen, da ich die dafür notwendige persönliche Assistenz mühsam vor Gericht erstreiten musste.

Ich empfinde die Behandlung von Menschen mit Behinderung als unsagbar ungerecht. Nur weil wir körperlich oder mental eingeschränkt sind, wird mit uns unwürdig umgegangen. Das entspricht nicht meinem Bild von einer modernen, demokratischen Gesellschaft.

kobinet: Man sagt der Behindertenbewegung nach, nicht besonders gut im Feiern von Erfolgen zu sein. Wenn du auf deine bisherigen Erfolge zurückblickst, worauf bist du persönlich stolz, es erreicht zu haben?

Vega: Dass wir zu wenig feiern, ist sicherlich richtig. Manchmal müssen wir uns schließlich auch über kleine Schritte freuen. Ich selber habe in den vielen Jahren gelernt, auch etwas geduldig sein zu können.

Was mich stolz macht, sind oft die kleinen Dinge am Rande, zum Beispiel habe ich gelernt, mit vielen Menschen zusammenzutreffen und meine eigenen Vorurteile aufzugeben.

Natürlich gibt es auch Projekte, auf die ich stolz bin, zum Beispiel ist da der Reisedienst in München, der inzwischen gut angenommen wird. Oder das letzte Sommercamp in Duderstadt, das ich mit organisieren durfte. Auch dass die Politik uns zumindest bemerkt – manchmal sogar hört, macht mich ein bisschen stolz für uns alle.

kobinet: Dir ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention extrem wichtig, betonst du immer. Welche Punkte konkret sollte Deutschland in den nächsten Jahren kraftvoll umsetzen?

Vega: Die UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt letztlich die Ziele der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung und kommt unseren Anliegen entgegen. Spannend ist, wie viele Menschen, Institutionen und Politiker plötzlich unseren Wortschatz übernehmen, zum Beispiel den Begriff „persönliche Assistenz“, der vor vielen Jahren nur von uns verwendet wurde.

Sicherlich liegt darin aber auch eine große Gefahr, dass unsere eigenen Ziele und Anliegen verwässert werden. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention duldet keinen Zeitaufschub mehr – viel zu lange warten wir schon darauf, dass unsere Menschenrechte anerkannt werden. Die meisten Menschen mit Behinderung können sich aus vielerlei Gründen nicht selber artikulieren, weil sie zum Beispiel in Einrichtungen weggesperrt leben müssen.

Als allererste Maßnahme fordere ich die Bundesregierung auf, den Kostenvorbehalt im § 13 SGB 12 ohne Wenn und Aber zu streichen. Mein Eindruck ist, dass auf oberen Etagen viel diskutiert, viel verabschiedet und viel Reden gehalten werden, aber sich an der Basis überhaupt noch nichts verändert hat.

Wer zum Beispiel einen Antrag auf persönliche Assistenz stellt, muss sich einem unglaublichen Behördenmarathon stellen. Dies wird schön auf der Internetseite von ForseA e. V. dokumentiert (Geschichten aus Absurdistan). Das ist ja eine der vielen Aktivitäten, die wir Elke Bartz zu verdanken haben.

(Das Gespräch führte Martin Ladstätter)

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