Das ab 1.7.1993 geltende Bundespflegegeldgesetz ist weder einzigartig noch bedarfsgerecht.
Andere Länder gewähren behinderten Menschen schon seit Jahren – und oft auch ein Vielfaches an – Pflegegeld. Wir haben nur einige Beispiele ausgewählt, die zeigen sollen, daß bedarfsgerechte Pflegegelder bezahlt werden. (Zum Vergleich: Laut neuem Pflegegeldgesetz in Österreich werden nur ca. S 40,–/Stunde bezahlt.)
Assistenz in Schweden
STIL (Stockholmer Kooperative für Independent Living) hat mit der Gemeinde einen Vertrag ausgehandelt, in dem die Kosten pro Stunde im Moment S 290,– festgelegt sind.
Diese Kosten sind die Kosten, die die Genossenschaft braucht, um alle Kosten zu begleichen, also die direkten und indirekten Lohnkosten, Gehaltskosten, die ganzen Abgaben an Arbeitgeber und der ganze Verwaltungsapparat innerhalb von STIL.
Die haben natürlich gesagt, das ist zu teuer, das ist ja viel teurer als unsere Kosten. Aber es hat sich herausgestellt, daß die Gemeinde eigentlich gar nicht weiß, wie hoch ihre eigenen Kosten sind.
Assistenz in Dänemark
Die dänische Hilfe-Verordnung: Ungefähr 300 – 400 Behinderte in Dänemark haben heute die Möglichkeit, ein freies und selbständiges Leben durch eine Verordnung zu führen, die gewährleistet, daß Menschen, die sonst ihren Alltag nicht bewältigen könne, durch die Unterstützung von Helfern, die von der Gemeinde bezahlt werden, in ihrer eigenen Wohnung bleiben können. „Ich könnte ohne dies Verordnung nicht leben“, erklärt ein Behinderter.
Hintergrund der Verordnung 1977 gab es eine Revolte der Behinderten. Diese galt dem etablierten Pflegebereich. Die Behinderten wollten nicht mehr ihr ganzes Leben in Heimen verbringen. Das Ergebnis des Aufruhrs war, daß das Parlament beschloß, eine neue Bestimmung in das dänische Sozialgesetz zu übernehmen, nämlich den § 48, Abs. 4.
Hiermit wird den Behinderten die Möglichkeit gegeben, ein freies Leben in der eigenen Wohnung zusammen mit von ihnen selbst angestellten Helfern zu führen.
Text des Paragraph 48, Abs. 4: „Personen mit einer weitergehenden physischen oder psychischen Behinderung, die in ihre eigenen Wohnung bleiben, haben das Recht, notwendige Mehrausgaben ihrer Versorgung, die durch die Behinderung entstehen, von der öffentlichen Hand zu bekommen.“
Assistenz in der BRD
Josef H. beantrage im Dezember 1989 die Kostenübernahme für einen „persönlichen Assistenten“ ab Feber 1990. Die Begründung lieferte er damit, daß kaum noch Zivildienstleistende gefunden werde könnten (Anmerkung der Redaktion: In Deutschland können sich schwerbehinderte Menschen Zivildiener zuteilen lassen), die seine Rund-um-die-Uhr „Betreuung“ sicherstellen.
Das Sozialamt der Stadt Münster übernahm bisher die Kosten für 4 Zivildienstleistende und die notwendigen Kosten für stundenweise eingesetzte „Laienhelfer“. Seit Feber arbeitet nun eine festangestellte Kraft bei ihm, deren Kosten DM 3060,– (einschließlich des Arbeitgeberanteils an den Sozialabgaben) beträgt.
Die Stadt Münster lehnte die Kostenübernahme ab, zahlte jedoch weiterhin die Kosten für 3 Zivildienstleistende und die Stunden der Laienhelfer.
In der Verhandlung wurde deutlich, daß der Sozialhilfeträger nur dann auf eine andere Unterbringung verweisen kann (Anmerkung der Redaktion: gemeint ist z. B. eine Heimeinweisung), wenn gleichzeitig sichergestellt ist, daß der Betroffenen keinerlei Lebensqualitätseinbußen hinnehmen muß. Gegen dieses Urteil hat die Stadt Münster keine Berufung eingelegt. Es werden nun monatlich zwischen DM 7000 und DM 8000 Betreungskosten gezahlt. (aus: die Randschau 1/93)
Und Österreich?
Auch in Österreich wird teilweise für sehr schwer behinderte Menschen mehr als Stufe 7 (S 20.000,– pro Monat) zur Verfügung gestellt. In der Stadt Salzburg (positives Beispiel !) ist es derzeit möglich bis zu S 40.000,– pro Monat für persönliche Assistenz zu bekommen
Wenn behinderte Menschen in Heimen oder sogar in Spitäler liegen, gehen die Kosten in einigen Fällen weit über S 150.000,– pro Monat, weil Spitalsbetten einige Tausend Schilling pro Tag (!) kosten.
Wir fordern daher weiterhin eine offene Stufe im Pflegegeldgesetz (= Ersatz der tatsächlichen Kosten). Das Argument, dies sei unbezahlbar, stimmt nicht, weil diese Kosten werden ja auch jetzt schon teilweise bezahlt.