Anmerkungen zum Film „Lourdes“ | Viennale, Gartenbaukino, 31. 10. 2009

Filmkritik | aus der Rollstuhlperspektive

Film: Lourdes
Hausner, Jessica

Beklemmend wie verhalten, wie dürftig, wie abhängig, wie einsam die Hauptfigur, wie allgemein Behinderung im Film LOURDES (Jessica Hausner, A/D/F 2009) dargestellt wird. „Gott sei Dank“ gibt es nicht nur im Kino sondern auch in der Realität die Erlösung von Leid. Mir ging es so beim Ende des Films; der 96-minütige Film hat mich auf die Folter gespannt, hat mir missfallen (Ob der Film ausgezeichnet wurde?). Warum?

Die Geschichte des Films: Christine (Sylvie Testud) sitzt im Rollstuhl, kann die Hände nicht bewegen, hat als Hilfe eine junge Frau vom Malteser Hilfsdienst zur Seite gestellt, befindet sich mit einer Pilgergruppe in Lourdes. Sie wird von den Malteserinnen ins Bett gebracht, die übrigens mehr Interesse an den Burschen in Malteseruniform zeigen als an der Arbeit.

In Lourdes werden nun Mariengrotte, Gottesdienste, in denen Fürbitten gegen die Einsamkeit verlesen werden, und das heilende Bad besucht.

Tatsächlich kann nun die Heldin im Film nach einem religiös-rituellen Bad, wobei sie mit heiligem Wasser übergossen wird und eine Marienstatue küssen darf, sich vom Rollstuhl erheben.

An einem der nächsten Tage sogar auf eine Wanderung auf den Hausberg von Lourdes mitgehen, von der die Rollstuhlfahrer, so hat es der Reiseveranstalter vorgesehen, ausgeschlossen sind. Christine kommt nun einem Malteser in Uniform näher, flirtet und küsst und zwei mitreisende Damen erwägen jetzt sogar eine mögliche Familiengründung.

Beim abendlichen Tanzen knickt Christine, im Moment der letzten Spannung ein, geht zu Boden und tags darauf werden Mediziner befragt, ob es sich um ein wirkliches Wunder handelt oder nicht.

Kritik

Der Film ist gut, weil er zeigt wie einsam, wie eisig kalt, wie grausam ein Leben mit Behinderung im „medizinischen Modell“ sein kann. „Medizinisches Modell“ heißt Behinderung wird zum Hauptmerkmal einer Person, diese „zum Mangelwesen und zum Objekt von Fürsorge und Bevormundung. Es erfolgt eine stereotype Zuschreibung von Leid. Soziale Benachteiligung wird als Folge von persönlichen Defiziten betrachtet „. (Hermes, Gisela (Hg.): „Nichts über uns – ohne uns!“ Disability Studies als neuer Ansatz emanzipatorischer und interdisziplinärer Forschung über Behinderung, Neu-Ulm, Verlag AG SPAK, 2006)

Der Film erscheint allerdings billig, weil er eben ausschließlich dieses Modell von Behinderung vermittelt; er zeigt keine Andeutung einer selbstbestimmten Lebensweise, zugegebenermaßen fast schon eine Übertreibung von gängigen Behinderten-Klischees: Der behinderte Mensch hat zu schweigen, zu folgen, sich an den Gesunden zu orientieren, vor allem sich Mühe zu geben, selber zu gesunden.

Der Film geht einer Genesungsideologie auf den Leim, ist also einer Ideologie verpflichtet, die These verbreitend, Behinderung ist das Schicksal Einzelner, er zeigt keine Behindertenkultur, zeigt nicht, wie Behinderung stolz gelebt werden kann. Im Gegenteil, es wird eine Realität gezeigt, die behinderte Personen ausschließt.

Die Annäherung an die Normalität und das Scheitern daran ist Thema des Films. Damit ist „Lourdes“ allerdings wieder ein ganz normaler Filmklassiker. Kein Wunder. Schade.

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