Armutskonferenz zur Sozialhilfe: „Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führt das Gesetz zu einer Ausbreitung der Not“

Die negativen Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen, Wohnen, Frauen in Not, Gesundheit, Kinder und Familien sind massiv.

Norbert Krammer, Martin Schenk und Barbara Bühler
Armutskonferenz

Die Abschaffung der Mindestsicherung und das verabschiedete neue „Sozialhilfegesetz“ ist ein Rückschritt in der Armutsbekämpfung in Österreich.

„Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führt das Gesetz zu einer Ausbreitung der Not wie Beispiele aus NÖ, Salzburg und Oberösterreich zeigen“, berichtet Sozialexperte Martin Schenk von den Erfahrungen aus der sozialen Praxis.

Die negativen Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen, Wohnen, Frauen in Not, Gesundheit, Kinder und Familien sind massiv.

Auf der heutigen Pressekonferenz hat die Armutskonferenz Erfahrungen und Beispiele zusammengetragen und analysiert. „Es gibt Geschichten, die unsichtbar blieben, würden wir sie nicht erzählen und uns erzählen lassen“, so Martin Schenk.

Von der Verschlechterung durch die „Sozialhilfe“ sind beispielsweise Menschen in teilbetreuten Wohngemeinschaften, im Übergangswohnen sowie in psychosozialen Wohnheimen betroffen. In Anspruch genommen werden diese Einrichtungen von Männern und Frauen, die eine schwierige persönliche Situation hinter sich haben, oftmals mit Obdachlosigkeit oder Gewalt konfrontiert waren.

Unterhalt jetzt überall

Menschen mit Behinderungen können gezwungen werden, ihre Eltern auf finanziellen Unterhalt zu verklagen – auch, wenn sie längst volljährig sind. Wenn sich die Betroffenen weigern, wird die Leistung empfindlich gekürzt.

„Diese Regelung galt bisher nur in manchen Bundesländern, die neue Sozialhilfe zwingt diese schlechte Praxis jetzt allen auf“, erläutert Norbert Krammer vom VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung.

Zuverdienst abkassiert

Auch die Zuverdienstgrenze für Menschen mit Behinderungen wird drastisch reduziert. Norbert Krammer bringt ein Beispiel:

Herr I. arbeitet in der Einrichtung, wo er wohnt, für einige Stunden pro Woche im Wasch- und Bügelservice. Dieser Betrag wird nun zur Gänze von seiner Sozialhilfeleistung abgezogen. Damit soll er Bekleidung, Hygieneartikel, unerwartete Ausgaben und persönliche Bedürfnisse bestreiten. Herr I. hat eine minderjährige Tochter, die er gern monatlich besucht. Die Fahrtkosten gehen sich jetzt nicht mehr aus.

Zu wenig zum Wohnen, zu wenig zum Leben

Die durchschnittliche Bruttomiete inklusive Betriebskosten betrug in NÖ im Jahr 2019 509 Euro – der Wohnbedarf der Mindestsicherung für eine alleinstehende Person, ohne Eigenheim 379, 78 Euro. „Nicht nur in der Landeshauptstadt St. Pölten ist ein Zuhause deshalb für viele kaum noch leistbar“, berichtet Barbara Bühler vom niederösterreichischen Armutsnetzwerk.

Das Gesetz sieht außerdem vor, dass – im Gegensatz zur Mindestsicherung – statt 75 % lediglich 60% für den Lebensunterhalt verbleiben. Vom 40%igen Wohnanteil wird die Leistung aus der Wohnbauförderung abgezogen, was insgesamt dazu führt, dass die hilfebedürftige Person weniger fürs Leben und weniger fürs Wohnen erhält.

Kürzungen bei Kindern und Geschwistern

Weiters weist Barbara Bühler auf die undifferenzierte Staffelung der Kinderrichtsätze hin. Das hat in Niederösterreich zur Folge, dass Kinder armer Eltern finanziell schlechter gestellt werden. Für ein Kind ist ein Richtsatz von 25 % vorgesehen, der bei zwei Kindern pro Kind 20 %, bei drei Kindern pro Kind 15 %, bei vier Kindern pro Kind 12,5 % und bei fünf und mehr Kindern 12 % pro Kind beträgt.

Diese Staffelung kommt auch dann zum Tragen, wenn beispielsweise zwei Kinder aufgrund einer höheren Unterhaltsleistung gar keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. In diesem Fall erhält das dritte Kind nur 15 %, obwohl die Unterhaltsleistung der beiden anderen Kinder zweckgebunden ist und zur Finanzierung des Lebensunterhalts des dritten Kindes nicht herangezogen werden darf.

Frauen-Notwohnungen gekürzt

In Niederösterreich bietet die Frauenberatung Notwohnungen an, wo jeweils drei Frauen wohnen. In der jetzt eingeführten Sozialhilfe werden diese unsachgemäß als WG bzw. Haushaltsgemeinschaft bewertet.

Die dritte Frau bekommt nur die Hälfte der Existenzsicherung, eine massive Kürzung, „zum Sterben zu viel ist, zum Leben zu wenig“.

Verwaltungsaufwand steigt, dafür werden Leistungen gekürzt

Die Sozialhilfe ist umständlich kompliziert. Die Folge: Der Verwaltungsaufwand steigt, dafür werden Leistungen gekürzt. Nach Schätzung der zuständigen Fachabteilung des Landes Kärnten werden die Leistungen für Sozialhilfeempfänger um rund 360.000 Euro sinken.

Im Gegenzug wird es in den Sozialämtern durch den erhöhten Verwaltungsaufwand zu Personalmehrkosten in Höhe von rund 1,06 Millionen Euro kommen. Wir zahlen demnach für den Untergang anderer. Die Allgemeinheit soll mehr bezahlen müssen, damit Hilfe suchende Personen weniger erhalten.

Uneinheitlich und zerstückelt

Zudem wird es eine so uneinheitliche und zerstückelte Sozialhilfe geben wie noch nie, also das genaue Gegenteil von „bundeseinheitlich“.

Gesamtreform und notdürftige Sanierung

„Es braucht eine Gesamtreform“, fordert die Armutskonferenz. „Das wird so nichts mehr – außer eine Katastrophe für Armutsbekämpfung und Hilfesuchende. Notdürftig muss man aber die ärgsten Probleme sofort sanieren“, legt die Armutskonferenz fünf Punkte zur notdürftigen Sanierung vor.

Diese umfassen das Pflegegeld, Zuverdienst und Taschengeld, teilbetreutes Wohnen, Menschen mit humanitärem Bleiberecht und die Wohnbeihilfe.

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3 Kommentare

  • Es ist frustrierend, wenn man als Betroffene:r weiß, dass dieses Problem schon seit Jahren besteht und auch von verschiedenen Seiten (z.B. eben Armutskonferenz, BIZEPS, Caritas, etc.) immer wieder darauf hingewiesen wird, aber die Verantwortlichen nichts dagegen machen und sich sogar quer stellen. Ekelhafte menschenfeindliche Politik!

  • Es ist einfach unfassbar

  • Schrecklich der Umgang mit Menschen und mit Behinderten noch um vieles widerlicher!