Autsch, die Betondecke!

Ex-Minister Erwin Buchinger wurde als Behindertenanwalt eingesetzt. Wieso der einzige nicht behinderte Kandidat? (Dieser Kommentar ist in der Presse erschienen)

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BIZEPS

Mittwochvormittag, ich bin in einer Sitzung, mein Handy will nicht aufhören zu vibrieren. Meine Assistentin liest mir das erste SMS vor: „Der Behindertenanwalt wurde eingesetzt, du bist es nicht!“ Die weiteren Nachrichten lese ich nicht. Ich bin wie gelähmt, was keiner merkt, da ich ohnehin gelähmt bin. Nach dem ersten Schock macht sich Enttäuschung in mir breit. Minderwertigkeitsgefühle und Resignation. Mir dröhnt der Kopf, als wäre ich gegen eine Betondecke geprallt, die es bei Karrieren behinderter Menschen ganz offenkundig gibt.

Ähnlich ist es wohl auch den anderen Bewerbern zur öffentlich ausgeschriebenen Stelle eines „Behindertenanwaltes“ im Sozialministerium ergangen. Behinderte Menschen machen bei Berufsaufstiegen oft analoge Erfahrungen wie Frauen, die gegen eine unsichtbare gläserne Decke prallen. Bei behinderten Menschen ist diese Decke stählern und sichtbar und konnte bisher nur von wenigen überwunden werden.

Das Behindertengleichstellungsgesetz sieht Schlichtungsverfahren bei Diskriminierungen vor. Von den insgesamt 603 Schlichtungsverfahren in den Jahren von 2006 bis 2009 gab es über 50 Prozent zum Arbeitsbereich: Benachteiligungen bei Bewerbungen, bei der Beförderung, bei Schulungsmaßnahmen und Mobbing. Ein Alarmzeichen, das mir nun auf drastische Weise vor Augen geführt wurde.

Intransparentes Verfahren

Die Besetzung des Behindertenanwaltes ist in §13d des Bundesbehindertengesetzes klar festgeschrieben: „Bei gleicher sonstiger Eignung ist einem Menschen mit Behinderung bei der Bestellung der Vorzug zu geben.“ Schon im Spätsommer tauchten Gerüchte auf: Erwin Buchinger soll es werden. Bewerbungen wären sinnlos. Interessierten behinderten Menschen wurde so und in persönlichen Gesprächen von einer Bewerbung abgeraten. Trotzdem gab es 13 Bewerber. An und für sich obliegt es dem Sozialminister, freihändig daraus eine Nominierung vorzunehmen.

Der Minister machte jedoch einen Schritt nach vorne und rief ein Hearing aus, zu dem vier Kandidaten eingeladen wurden. Doch wie transparent war dieses Auswahlverfahren? Neben mir waren zum Hearing auch der Präsident des Blindenverbandes, der rollstuhlfahrende Behindertenbeauftragte der ÖBB und Ex-Minister Erwin Buchinger eingeladen. An qualifizierten behinderten Kandidaten hat es sichtlich nicht gefehlt. Doch ausgerechnet der selbst nicht behinderte Kandidat wurde von der Kommission ausgewählt und vom Sozialminister mit der Funktion betraut.

Das Hearing war nicht öffentlich, wie sonst bei Bundesausschreibungen üblich. Die Kommission bestand aus drei Mitgliedern: zwei weisungsgebundenen Sektionschefs des BMASK und einem hochrangigen Vertreter der ÖAR. Die ÖAR lebt als Behindertendachverband überwiegend von Förderungen des Sozialministeriums. Eine unabhängige Entscheidung war daher schon vorab infrage gestellt, noch dazu, da die Wünsche des Ministers bekannt waren. Die Entscheidung fiel einstimmig.

Nichts für uns ohne uns

Es ist vor allem verwunderlich, dass die ÖAR dieser Reihung zustimmte, angesichts der vielen qualifizierten behinderten Bewerber. Gilt doch das Motto der Behindertenbewegung: „Nichts für uns ohne uns“, das mit dieser Entscheidung mit Füßen getreten wurde. Gleichzeitig ist die Entscheidung auch ein Verstoß gegen die von der ÖAR betriebene Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen, welche in Artikel 27 eine Chancengleichheit, die unmittelbare Partizipation von behinderten Menschen und gleichberechtigte Teilhabe bei Arbeit und Beschäftigung vorsieht.

Eines ist festzuhalten

Die Kritik geht nicht gegen Ex-Minister Erwin Buchinger als Person. Er ist bei Behindertenanliegen sicherlich engagiert und als Vater eines behinderten Sohnes mit dem Thema vertraut. Das Behinderteneinstellungsgesetz sieht jedoch klar und zu Recht vor, dass selbst behinderte Menschen bevorzugt mit dieser Stelle betraut werden sollen.

Dies auch, da behinderte Menschen generell wenig Karrierechancen haben und eine Selbstvertretung weitaus authentischer ist. Das hat sich auch bei meiner Tätigkeit als Abgeordneter zum Nationalrat gezeigt. Viele Gesetzesinitiativen, wie das Behindertengleichstellungsgesetz, die Anerkennung der Gebärdensprache und die Schaffung von Berufszugängen (z. B. blinder Richter) schienen zuvor unmöglich.

Die Symbolwirkung der Bestellung durch Bundesminister Hundstorfer ist fatal. Wie will der Arbeitsminister Unternehmen davon überzeugen, behinderte Menschen einzustellen, wenn nicht einmal er einen behinderten Menschen zum Behindertenanwalt macht?

Für viele Menschen mit Behinderung ist dies ernüchternd und zeigt, wie ernst es die SPÖ-Politik mit der Gleichstellung meint. Obwohl die SPÖ die größte Partei im Parlament ist, hatte sie noch keinen selbst betroffenen Behindertenvertreter. Auch bei dieser Bestellung mutmaßen viele Parteibuchwirtschaft, Versorgungsposten, Vetternwirtschaft.

Tatsächlich hörte man nur merkwürdige Argumente für die Nominierung Erwin Buchingers, wie „billige Bestellung, da Buchinger schon im BMASK beschäftigt ist“ oder „er ist auch qualifiziert“. Die scheinbar bessere Qualifizierung soll nun im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes geklärt werden. Ich habe ein Schlichtungsverfahren beantragt.

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