Eine Aufführung der Compagnie Marie Chouinard in Wien
Noch hängen die Plakate überall: eine Tänzerin in Spitzentanzschuhen, auf zwei Krücken und mit der Stirn auf einen Metallstab gestützt – verstörend. Ballett: die Kunst des leichtfüßigen Schwebens auf Zehenspitzen, der Gelenkigkeit, der Grazie schlechthin – dazu ist Behinderung ein denkbar harter Gegensatz.
Für die kanadische Choreographin Chouinard ist es eine Herausforderung, die Grenzen des Körperlichen in der Bewegung auszuloten. Ihr und ihren TänzerInnen sind viele Möglichkeiten eingefallen, Bewegungseinschränkungen und andere Handicaps darzustellen, und dabei die Lebensfreude nicht aus den Augen zu verlieren.
Zwei Tänzerinnen kommen, an aneinander gefesselt als „siamische Zwillinge“ mit drei Beinen, andere mit weißen Schleiern vor den Gesichtern fassen sich an den Händen wie Blinde. Andere tragen nur einen Spitzentanzschuh, der andere Fuß ist nackt: sie können nur hinken. Zur Steigerung ziehen sie den anderen Schuh auf der Hand an, es sieht wie ein verkrampftes „Pfötchen“. oder auch eine Hand ohne Finger aus.
Am eindrucksvollsten sind die Szenen mit Krücken und einem Rollator (ein Rollstuhl war nicht zu sehen): die Tänzerinnen zeigen, wie mühsam sie vorankommen, in den Knien einknicken, hinfallen, auf allen vieren kriechen. Tänzer tragen die reglosen Gestalten herum, legen sie wieder hin. Einer Frau wird ein Schuh ausgezogen, der Fuß gewaschen (sie wehrt ab, aber man bindet ihr das Handtuch wie einen Verband um) und trägt sie „operiert“ weg. Eine Tänzerin schleppt sich mit Krücken in die Mitte, liegt auf dem Boden, ein Tänzer kommt, legt sich dazu, sie wälzen sich fröhlich über die Bühne, die Krücken so über ihren Kopf gestreckt, dass sie nicht stören.
Die TänzerInnen begleiten sich auch mit Tönen, sie seufzen, kichern, stöhnen, jammern, einer verwendet den Mikrophonständer wie eine Flöte, andere werden mit Metallstäben im Mund ruhig gestellt. Metallstäbe sind häufig: die TänzerInnen tragen sie an die Stirn, and die Taille und an die Schuhe gebunden; man assoziiert: sie sind gepfählt, ein Stab geht durch den Körper durch. Im zweiten Teil tragen fast alle Geschirre (im Programm „Pferdegeschirre“ genannt, es sind aber Absturzgeschirre, wie Bergsteiger sie verwenden), die ein Anseilen und Hochziehen erlauben. Jetzt lassen die Gestalten ihre Erdenschwere, ihre Mühsal unter sich und schweben wirklich!
Der Bilderreigen dauert zwei Mal 45 Minuten, das Publikum ist begeistert, Marie Chouinard verneigt sich vor den ZuschauerInnen und ihren TänzerInnen.
ImpulsTanz hatte zwei Aufführungen im Programm, 26. und 28. 7. im Wiener Burgtheater. Der Hinweis auf den Lift war sehr dezent, fast unsichtbar. Vom Foyer auf der Landtmann-Seite geht es aber barrierefrei hinauf … wenn man es weiß.