In Deutschland entsteht aus Reisen von Menschen mit Mobilitäts- oder Aktivitätseinschränkungen im Tourismus derzeit ein wachsender jährlicher Nettoumsatz von rund 2,5 Milliarden Euro.
Dies ergibt mindestens 65.000 Vollzeitarbeitsplätze. Österreich ist dabei, diesen Trend zu verschlafen.
„Rund 55% der zirka sieben Millionen schwer behinderten Menschen in Deutschland verreisen mindestens einmal pro Jahr und buchen insgesamt rund fünf Millionen Urlaubsreisen. Weiters werden jährlich 4,7 Millionen Kurzurlaubsreisen von behinderten Menschen unternommen. Verbesserte barrierefreie touristische Angebote können weitere volkswirtschaftliche Impulse von bis zu fünf Milliarden Euro bei 90.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen ergeben.“, führte Dr. Peter Neumann, Lehrbeauftragter an der Universität Münster, kürzlich bei der Tagung „Barrierefreier Kurzzeit-, Tages- und Städtetourismus“ in Salzburg aus. Die Tagung wurde von der „Infoplattform Barrierefreier Tourismus in Österreich“ (Wien) organisiert.
Bedeutender Zukunftsmarkt – Entwicklung nicht verschlafen
Rund 40% der behinderten Menschen hätten bereits zumindest einmal auf einen Urlaub verzichtet, weil passende barrierefreie Angebote oder Dienstleistungen gefehlt hätten. Dies zeige das unausgeschöpfte Kundenpotential im Tourismussektor, erklärte Peter Neumann weiter.
Barrierefreiheit ist derzeit für ungefähr 10% der Menschen im EU-Raum unentbehrlich und wäre für 30-40% notwendig. Barrierefreie Angebote betreffen als potentielle Kunden aber nicht nur Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch deren Familienmitglieder, Freunde und Arbeitskollegen. Eine Reisegruppe mit einem Rollstuhlfahrer wird eben nur dort übernachten oder essen, wo auch diesem der barrierefreie Zugang möglich ist. Weiters steigt der Anteil der Menschen im Alter von 60plus. Für diese sind künftige barrierefreie Angebote ebenfalls von großem Vorteil.
Dass die Touristiker in Österreich dabei sind, diese Entwicklung zumindest teilweise zu verschlafen bzw. das sich daraus ergebende Kundenpotential zu ignorieren, zeigt ein Beispiel aus Salzburg. In der Diskussion verwies Johann Kreiter, Vorsitzender der deutschen „Koordinierungsstelle Tourismus für Alle“ (NatKo), darauf, dass der von der „Tourismus Salzburg GmbH“ herausgegebene Salzburger Stadtführer für Menschen mit Behinderung bei einer Messe in Stuttgart nicht am Stand derselben zu erhalten gewesen sei – und dort auch niemand über dessen Existenz Bescheid gewusst hätte.
Deshalb sah die NatKo davon ab, den ansonsten sehr gut gelungenen Salzburger Tourismusführer auszuzeichnen.
Deutsche Beispiele: Stadt Erfurt und „Fränkisches Seenland“
„Unser Engagement für barrierefreien Tourismus bringt zusätzlichen Nutzen, auch für die wichtigste Zielgruppe des Städtetourismus, die Gäste ab 50plus“, meinte Dr. Carmen Hildebrandt, Geschäftsführerin der Tourismus GmbH Erfurt.
In Zusammenarbeit mit den lokalen Behindertenverbänden und engagierten Kooperationspartnern aus allen touristischen Bereichen optimiert man in Erfurt seit 1999 die Servicekette der Stadt für Menschen mit Behinderung und vermarktet die Ergebnisse effizient. Die notwendigen Investitionen dafür werden von den Unternehmern selbst getragen. Darüber hinaus bündelt der Reiseplaner „Erfurt erlebbar für Alle“ sämtliche Infos, die für Touristen mit Behinderungen relevant sind.
Dass Umstrukturierung und Neuplanung eine besondere Chance für die Umsetzung von barrierefreien Angeboten bieten, beweist die deutsche Tourismusregion „Fränkisches Seenland“. Die Kooperationspartner des Großprojektes entschieden sich ganz bewusst
für die Entwicklung einer barrierefreien Region und setzten erfolgreich auf das Alleinstellungsmerkmal dieses Angebotes. Eine ausreichende Anzahl von Unterkünften wurde geschaffen, Info- und Werbematerial musste ebenso entwickelt werden wie das Bewusstsein der Menschen für die Bedeutung des barrierefreien Tourismus in der Region selbst.
„Unser Ziel war ein integratives Urlaubsangebot im ländlichen Raum“, erklärte DI Ernst Birnmeyer vom Amt für Landwirtschaft und Forsten in Weißenburg, Leiter der Beratungsstelle „Mittelfränkisches Seengebiet“. Auch hier war die Vernetzung aller Anbieter in Stadt und Land wesentlich für das Funktionieren der touristischen Servicekette. Neben einem barrierefreien Internetauftritt gibt es ein
Verzeichnis sämtlicher Unterkünfte, die hinsichtlich Barrierefreiheit speziell gekennzeichnet sind. Mit dem neuen Tourismusangebot wird inzwischen doppelt soviel Umsatz gemacht als früher mit der Landwirtschaft.
Nichts ist schlimmer als enttäuschte Erwartungen
Besonders wichtig im Zusammenhang mit barrierefreien Angeboten sei die absolut wahrheitsgemäße Beratung der Kunden, meinte Dkfm. Joachim Bartels-Eß – kommunaler Behindertenbeauftragter des Landkreises Oberallgäu (Bayern) und Betreiber des barrierefreien Hotels Viktoria in Oberstdorf. Menschen mit Behinderung in ihren Erwartungen zu enttäuschen, sei – wie bei allen anderen Kunden auch – der schwerste Fehler eines Anbieters.
Ergebnis der Fachtagung
Konsequenter Qualitätstourismus sollte jeden Menschen in die Lage versetzen, an jeden gewünschten Ort zu verreisen, unabhängig von Alter oder Behinderung. Barrierefreiheit bedeutet Zugänglichkeit und Benutzbarkeit von Gebäuden, Dienstleistungen und Informationen für ALLE, egal ob es RollstuhlfahrerIn, Eltern mit Kleinkindern, schwangere Frauen, Personen nicht deutscher Muttersprache, blinde, gehörlose, psychisch beeinträchtigte, chronisch kranke oder alte Menschen sind.
Infoplattform Barrierefreier Tourismus in Österreich (IBFT)
Die Infoplattform Barrierefreier Tourismus in Österreich besteht seit 2003. Sie ist eine Initiative des ÖHTB (Österreichisches Hilfswerk für Taubblinde und hochgradig Hör- und Sehbehinderte). IBFT ist eine kostenlose Service- und Informationsstelle für AnbieterInnen und NutzerInnen, deren Vernetzung eines der Ziele der Plattform ist. Sie sammelt und sichtet Angebote für Barrierefreien Tourismus in Österreich.
Die Informationen werden unter www.ibft.at zur Verfügung gestellt und können nach Regionen selektiert werden. Darüber hinaus finden sich auf der Website Planungshilfen und Ratgeber sowie Studien, Literatur und Links zur Thematik. Finanziert wird das Projekt größtenteils vom BM für Wirtschaft und Arbeit.
Kontakt:
Dr. Angelika S. Laburda
Projektleiterin Infoplattform Barrierefreier Tourismus (IBFT)
ÖHTB, Humboldtplatz 6, 1100 Wien
Mobil: 0676 / 5427313
a.laburda@ibft.at