Barrierefreiheit anders denken

Die Übergangsfristen im Behindertengleichstellungsgesetz für die Beseitigung baulicher Barrieren von Unternehmen sind Ende Dezember 2015 abgelaufen. Darüber wurde und wird noch immer in den Medien sehr ausführlich berichtet. Ein Kommentar.

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Es wird viel über Barrieren, Hindernisse, Hürden, Behinderungen, Grenzen und Vorschriften gesprochen.

Wie wäre es, im Rahmen der Diskussion auch die Begriffe Herausforderung, Möglichkeiten, Chancen, Bereicherung, Wege und Aussicht zu verwenden?

Es geht auch anders

Im Sommer 2015 fand vor dem Wiener Rathaus eine Reihe von Open-Air-Veranstaltungen statt. Da war für jeden Geschmack etwas dabei, kulturell und kulinarisch gesehen.

Doch die Kojen der Aussteller bzw. die der Gastronomie waren fast durchgehend so gestaltet, dass mobilitätseingeschränkte Personen ohne Begleitung die dargebotenen Dienstleistungen gar nicht oder wenn, dann nur sehr schwer in Anspruch nehmen konnten.

So blieb mir dann oft nichts anderes übrig, als den Kojenbetreuern gebetsmühlenartig die Vorteile von Barrierefreiheit darzulegen, ihnen Informationen und Tipps zu geben, auf die Rechte und die gesellschaftliche Teilhabe von behinderten Menschen zu verweisen oder frustriert abzuziehen.

Umso mehr überraschte dann ein Hersteller eines hochprozentigen Getränkes mit seinem Aufbau. Auf den ersten Blick schien die mit Palmen und bequemen Sitzgelegenheiten ausgestattete Konsumations- und Kommunikationsfläche nur über etliche Stufen erreichbar zu sein.

Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich aber einen kleinen Lift, den ich ohne Hilfe selbst bedienen konnte und der mich langsam, aber sicher in ungeahnte Höhen brachte. Im Gespräch mit den Mitarbeitern erfuhr ich, dass man sich bei der Planung bewusst über Möglichkeiten informiert hat, um allen Kunden einen entsprechenden Zugang bieten zu können.

Ich habe mir in diesem heißen Sommer ein paar Mal eine erfrischende Pause in dieser Oase gegönnt – wenn gleich nur mit Mineralwasser, da ich grundsätzlich keinen Alkohol trinke.

Des Pudels wahrer Kern

Die Diskussion über Barrierefreiheit erinnert mich immer wieder sehr stark an den Diskurs über Sonderschulen. Fast reflexartig kommen gleich am Anfang Einwände wie: „Man kann einfach nicht alles barrierefrei umbauen. Es gibt auch Grenzen.“ Oder: „Es gibt so schwer behinderte Kinder und Jugendliche. Die können ganz einfach keine Regelschule besuchen.“

Es sind Totschlag-Argumente, die Möglichkeiten schon im Keim ersticken. Die Gegner von Barrierefreiheit und schulischer Inklusion können sich durch ihr zwanghaftes Festhalten an eigentlich antiquierten Bildern und Vorstellungen dann bequem zurücklehnen.

Ihre Welt soll bleiben, wie sie ist. Dem müssen wir energisch und konsequent dagegen halten: Fangen wir am richtigen Ausgangspunkt an. Setzten wir das um, was möglich ist und das ist sehr viel. Vielleicht entpuppt sich ja so manch starres Hindernis als Trugbild, das sich schließlich in Luft auflöst.

Und ich möchte noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hinweisen. Auch Barrierefreiheit hat etwas mit dem Thema „Behinderung“ zu tun, wenn gleich wir natürlich wissen, dass letztendlich alle in einer Gesellschaft davon profitieren. Und mit Behinderung möchte sich der Großteil der Bevölkerung nicht auseinandersetzen. Aus Unsicherheit und Angst.

Behinderung ist immer noch mit etwas Negativem konnotiert. Barrierefreiheit heißt auch, Türen zu öffnen und Neues herein zu lassen. Und gleichzeitig will sich die Mehrheitsgesellschaft von behinderten und/oder chronisch kranken Menschen abgrenzen. Vor kurzem habe ich im Fernsehen einen Beitrag über Krebs gesehen.

Eine Ärztin erzählte, dass krebskranke Frauen auf eine möglicherweise lebensrettende Chemotherapie verzichtet haben, aus Angst, ihre Haare könnten ausfallen. Denn dann würden sie leichter als krebskrank zu identifizieren sein. Diese Frauen möchten wenigstens nicht als krank erkannt werden.

Und weiter …?

Wir müssen weiter kämpfen, auch wenn das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (fehlender Rechtsanspruch auf Beseitigung der Barriere) keine allzu große Hilfe ist. Wir müssen weiter informieren und unwillige Mitbürger konfrontieren.

Wir müssen uns weiter auch auf die UN-Behindertenrechtskonvention berufen und: Jeder von uns sollte und kann das Instrumentarium „Schlichtung“ verwenden.

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