Unter dem Motto "Bilanz 2014" lud der Behindertenanwalt Dr. Erwin Buchinger am 4. Februar 2015 zu einem Pressegespräch ein.
Erfreulich war, dass der Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderung (so die genaue Bezeichnung) es nicht bloß bei der Aufzählung von Zahlenmaterial über das vergangene Jahr beließ, sondern klare kritische Worte vor allem bei den so wichtigen Themenbereichen „Arbeit“ und „Bildung“ fand. (Siehe Fotos)
Der Behindertenanwalt äußerte sich auch kritisch zum seit 1.1.2015 wirkenden erschwerten Zugang zum Pflegegeld der Stufen 1 und 2.
Klares Scheitern der Beschäftigungspolitik
Die Lage behinderter Menschen am Arbeitsmarkt hat sich auch im Jahr 2014 weiter verschärft. Die Arbeitslosigkeit von Personen „mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen“ ist um 21,6 % gestiegen (im Vergleich: „nur“ 9,1 % Steigerung bei gesunden Arbeitslosen).
Auch die „Lockerung des Kündigungsschutzes“ (seit dem Jahr 2011) hat keinerlei Trendumkehr oder Verbesserung für behinderte Menschen gebracht. Dr. Buchinger richtet seine Kritik an den Sozialminister und das AMS, die beide die große Gruppe behinderter arbeitsloser Menschen viel zu wenig beachteten.
Er stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis aus: „Stellt man dieser Entwicklung die Zielsetzung im Nationalen Aktionsplan Behinderung aus dem Jahr 2012 entgegen, wonach die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen verringert werden soll (Pkt. 5.1.2.), dann kann nur von einem klaren Scheitern der Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarktpolitik für Menschen mit Behinderungen gesprochen werden.“
Und auch Buchingers Prognose für das Jahr 2015 schaut dementsprechend düster aus: „Unter den Bedingungen stagnierender Budgetmittel für aktive Arbeitsmarktpolitik und einer anderen Schwerpunktsetzung des Arbeitsmarktservice ist somit zu befürchten, dass die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen auch in diesem Jahr weiter übermäßig, nämlich stärker als die nicht behinderter Menschen, steigen wird.“
Zahl der Kinder in Sonderschulen gestiegen
Im Bildungsbereich vermisst Dr. Buchinger (selbst Vater eines Kindes mit Lernschwierigkeiten) ausreichend Anstrengungen, inklusive Bildung von behinderten Kindern umzusetzen.
Er konstatiert: „Trotz politischem Bekenntnis der Bundesregierung und der Bildungsministerin zum Ziel der Inklusion im Bildungsbereich entfernt sich die Realität jährlich weiter von diesem Ziel. Laut Daten der Statistik Austria ist im letzten Schuljahr (2013/2014) die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Sonderschulen weiter gestiegen.“
D.h. es ist sowohl die Zahl von Schülern gestiegen, bei denen „sonderpädagogischer Förderbedarf“ festgestellt wurde, als auch die Zahl der Schüler, die in Sonderschulen unterrichtet werden (statt einem inklusiven Unterricht in Regelschulen).
Angesichts der wiederholten Kritik von Dr. Buchinger am Sozialminister, der Bundesregierung und der Bildungsministerin wäre eine entsprechende Antwort bzw. Reaktion der eben Genannten wünschenswert. Ist aber leider – bis dato – ausgeblieben.
Ausgewählte Zahlen
Für Statistikliebhaber noch einige ausgewählte Zahlen von 2014:
- Es wurden insgesamt 668 Akten über Sachverhalte protokolliert.
- Im Durchschnitt nahmen 56 Betroffene pro Monat das Beratungsangebot des Behindertenanwaltes in Anspruch.
- Überdurchschnittliche Anhäufung von protokollierten Fällen in der Bundeshauptstadt.
- Interessant auch, dass „nur“ 286 Sachverhalte einen deutlichen Bezug zum Behindertengleichstellungsrecht hatten (die drei stärksten Themenkomplexe waren Arbeitswelt, Alltagsleben, Bildung). 382 Sachverhalte hatten keinen oder nur einen untergeordneten Bezug (die drei TOP-Themen waren Pension/Pflege/Rehabilitation, Leistungen des Sozialministeriums, Arbeitssuche/Beschäftigung/Betreuung).
- Zusätzlich haben 656 telefonische Beratungen, die eine besondere Zeit- und Ressourcenintensität aufwiesen, stattgefunden.
- Schließlich nahm die Behindertenanwaltschaft an 31 Schlichtungsverfahren teil (als Vertrauensperson).
- In den Bundesländern (ohne Wien) fanden 16 Sprechtage statt (Anmeldung von 88 Bürgern und Bürgerinnen).
- In Wien wurden 111 Besprechungen mit Beratungscharakter abgehalten.
- Insgesamt haben sich im vergangenen Jahr 1.324 behinderte Menschen an die Behindertenanwaltschaft gewandt (Steigerung von 20 %).