Behindertenbenachteiligende Regelungen in der Rechtsordnung – Teil 2

Regierung legt Nationalrat Bericht der Arbeitsgruppe vor

Parlament
BIZEPS

Mobilität
Ein barrierefreier Zugang zu allen öffentlichen Verkehrsmitteln und zu öffentlich zugänglichen Gebäuden war Thema der Unterarbeitsgruppe „Mobilität, Verkehr, Wohnen, Bauen, Freizeit, Kommunikation“, die unter federführender Zuständigkeit des Verkehrsministeriums stand. Dabei beurteilten die Behindertenvertreter es als Manko, daß das Recht aller Menschen, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, nicht explizit festgeschrieben ist, was insbesondere Rollstuhlfahrer benachteilige.

Die Behördenvertreter können sich eine Lösung dieses Themenbereichs, wie es im Bericht heißt, jedoch nur nach Festlegung eines wirtschaftlich realistischen Umsetzungszeitraumes und nach Klärung der Finanzierungsfrage vorstellen. Einvernehmen bestand allerdings darüber, daß es ein guter Ansatz sei, im Nahverkehrsfinanzierungsgesetz eine Bestimmung vorzusehen, wonach die Bereitstellung von Bundesmitteln unter anderem an die Zugänglichkeit der Systeme für in ihrer Mobilität physisch beeinträchtigte Personen geknüpft wird.

Was die Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude (z.B. Amtsgebäude, Kinos, Restaurants, Bibliotheken etc.) betrifft, erachten die Behindertenvertreter die Erstellung einer Art Musterbauordnung für sinnvoll und regen darüber hinaus entsprechende Rechts- bzw. Ö-Normen an, die eine ungehinderte Erreichbarkeit aller Bedienelemente – z.B. Liftknöpfe, Bankomaten, Notrufsäulen, Schalter, Fahrscheinautomaten – verpflichtend vorsehen.

Von Seiten der Regierung wurde allerdings darauf hingewiesen, daß es nicht möglich sei, alle öffentlich zugänglichen Gebäude barrierefrei zu gestalten, da besonders im Bundesbereich zahlreiche Objekte mit historischer, unter strengem Denkmalschutz stehender Bausubstanz existieren. Wo immer möglich, insbesondere bei Neu- bzw. Umbauten, werde aber auf eine behindertengerechte Bauausführung höchster Wert gelegt.

Hinsichtlich des Teilbereiches Kommunikation beklagten die Behindertenvertreter, daß das Rundfunkgesetz kein Recht für Gehörlose auf eine Untertitelung von Fernsehprogrammen beinhalte, und verlangten zumindest eine Untertitelung aller Informationssendungen. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes hielt dazu fest, daß der ORF diesem Anliegen bereits in weitem Ausmaß Rechnung trage und z.B. im Rahmen des ORF-Teletextes die Nachrichten und weitere Informationssendungen untertitle.

Berufsausbildung – Beschäftigung – Altersvorsorge – Gesundheit
Eine unter Federführung des Sozialministeriums eingerichtete Untergruppe befaßte sich mit den Rechtsvorschriften auf den Gebieten Berufsausbildung, Beschäftigung, Altersvorsorge und Gesundheit.

Dabei kam sie einhellig zur Auffassung, daß der Pflichtzahlschlüssel für die Beschäftigung begünstigter Behinderter gesenkt werden sollte. Nach der geltenden Rechtslage sind prinzipiell alle Unternehmer verpflichtet, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen begünstigten Behinderten einzustellen. Derzeit gibt es somit rund 68.000 Pflichtstellen, allerdings ist die Anzahl der begünstigten Behinderten in den letzten Jahren stark gestiegen und hat im Jahr 1998 71.000 betragen.

Berücksichtigt man die Doppelanrechnung mancher Gruppen von behinderten Menschen, erhöht sich die Lücke zwischen der Zahl der Pflichtstellen und jener der begünstigten Behinderten weiter.

In diesem Zusammenhang qualifizierten die Behindertenverbände die Ausnahmeregelungen für bestimmte Wirtschaftszweige trotz der mittlerweile verschärften Bestimmungen als nicht ausreichend und übten außerdem Kritik an der vom Gesetz geforderten Mindestleistungsfähigkeit, um als begünstigter Behinderter zu gelten. Durch diese verlangte Mindestleistungsfähigkeit wären vor allem geistig behinderte Menschen gegenüber anderen Behindertengruppen benachteiligt.

Das Sozialministerium argumentierte demgegenüber, daß das Behinderteneinstellungsgesetz die Unterstützung der beruflichen Eingliederung behinderter Menschen zum Zweck hat, dazu sei es erforderlich, daß der Behinderte über eine wirtschaftlich verwertbare Leistungsfähigkeit verfüge.

In den Bereichen Soziales und Gesundheit waren die Auffassungsunterschiede zwischen Behindertenverbänden und Ministerium auch sonst sehr groß. Beispielsweise wandte sich das Sozialministerium gegen die Forderung, allen Arbeitnehmern, die nach dem Anfall einer Invalididätspension wieder gearbeitet haben, im Falle von Arbeitslosigkeit generell Arbeitslosengeld zu gewähren, und begründete das damit, daß Personen, die invalid oder berufsunfähig sind, dem Arbeitsmarkt kaum zur Verfügung stünden.

Zur Kritik der Behindertenorganisationen, daß im Ärztegesetz kein barrierefreier Zugang zu Ordinationsstätten vorgesehen ist und behinderte Menschen dadurch in ihrem Recht auf freie Arztwahl eingeschränkt sind, merkte das Sozialministerium an, die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in die 1998 verabschiedete Novelle zum Ärztegesetz habe im Parlament keine Mehrheit gefunden.

Von einer Mehrheit der Unterarbeitsgruppe als benachteiligend erachtet wurden einige Regelungen hinsichtlich des Zugangs zu bestimmten Berufen. So verlangt das Schulorganisationsgesetz den Nachweis der körperlichen Eignung für die Absolvierung der Pflichtschullehrerausbildung an den Pädagogischen Akademien, wobei das Unterrichtsministerium dazu meint, nicht jede Behinderung solle ein Ausschlußgrund für die Aufnahme in eine Pädak sein.

Die Bestimmung im Richterdienstgesetz, wonach vor allem sinnesbehinderte Juristen vom Richteramt ausgeschlossen sind, wurde vom Justizministerium mit dem Argument verteidigt, daß sowohl die dem Richter vorgeschriebene Verfahrensführung als auch die ihm übertragene Entscheidung eine entsprechende körperliche Eignung voraussetzten.

Schulbesuch und Studium
Ebenfalls Meinungsunterschiede herrschten im Unterrichtsbereich. Die Behindertenverbände werteten es als schwere Benachteiligung, daß behinderten Kindern derzeit der Besuch der Volks-, Haupt- und allgemeinbildenden höheren Schule mit der Begründung verweigert werden kann, sie könnten an der fraglichen Schule nicht sonderpädagogisch gefördert werden; das Unterrichtsministerium verfocht hingegen in dieser Frage die Beibehaltung des bestehenden Konzeptes.

Auch der Forderung der Behindertenorganisationen, als Antwort auf das Fehlen jedweden Bildungsangebots für behinderte Kinder nach der Schulpflicht umgehend Schulversuche einzurichten, trat das Ministerium nicht bei und machte auf die Möglichkeit eines freiwilligen Schulbesuchs in einem 11. und 12. Schuljahr aufmerksam. Hinsichtlich des Vorschlags, in das Pflichtschulerhaltungsgrundsatzgesetz eine Pflicht zur Berücksichtigung des Prinzips des behindertengerechten Bauens aufzunehmen, wurde vom Ministerium auf die Gesetzegebungskompetenz der Länder für Angelegenheiten der Bauordnung verwiesen.

In bezug auf die derzeit geltende Gesetzeslage wird auf das Problem aufmerksam gemacht, daß Studierende mit Behinderung aufgrund der faktisch erschwerten Studienbedingungen Schwierigkeiten bei der Erbringung des günstigen Studienerfolgs haben und somit regelmässig ausserhalb des Förderungsbereiches geraten.

Zudem schlägt die Unterarbeitsgruppe „Bildung, Erziehung, Kultur“ vor, Studierenden an anerkannten Fernuniversitäten ebenfalls Studienbeihilfe zu gewähren, wenn den Betroffenen aufgrund einer schweren Behinderung ein Studium an einer österreichischen Präsenzuniversität nicht möglich oder zumutbar ist.

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