Behindertenbenachteiligende Regelungen in der Rechtsordnung

Regierung legt Nationalrat Bericht der Arbeitsgruppe vor

Parlament
BIZEPS

Mitte 1997 wurde die österreichische Verfassung um ein ausdrückliches Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen erweitert und eine Art Staatszielbestimmung festgeschrieben. „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten“, heißt es nun im Artikel 7 B-VG.

Auf Basis dieses Beschlusses hat Bundeskanzler Klima den Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt beauftragt, eine Arbeitsgruppe einzurichten, um die Bundesrechtsordnung nach Bestimmungen zu durchforsten, die eine potentielle Benachteiligung für behinderte Menschen bedeuten können. Der Bericht dieser Arbeitsgruppe, der Vertreter der Parlamentsklubs, der Ministerien sowie von Behindertenorganisationen angehörten, liegt nunmehr dem Nationalrat vor.

Aus den einzelnen Berichten der vier Unterarbeitsgruppen – Rechtsschutz; Beschäftigung, Altersvorsorge, Gesundheit; Bildung, Erziehung, Kultur; Mobilität, Verkehr, Wohnen – geht hervor, daß hinsichtlich mancher Gesetzesbestimmungen Einigkeit über einen Novellierungsbedarf herrscht, in anderen Bereichen werden jedoch zum Teil erhebliche Divergenzen zwischen den Standpunkten des jeweils zuständigen Bundesministeriums und der Behindertenverbände ersichtlich.

Verwaltungsverfahresrecht, Verfahrensordnungen der Gerichte
Einig ist man sich darüber, daß die gerichtlichen und die verwaltungsrechtlichen Verfahrensordnungen – Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Strafgesetz, Außerstreitgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung etc. – faktisch zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen, sei es, daß die Betroffenen zusätzlichen Aufwand tragen müssen, wenn sie an Verfahren beteiligt sind, sei es, daß ihnen die Teilnahme an einem Verfahren durch äußere Umstände (z.B. bauliche Barrieren) erschwert wird.

Konkret kann sich etwa die Anordnung mündlicher Verfahrensschritte für Gehörlose bzw. Hörbehinderte nachteilig auswirken, außerdem wird dieser Personenkreis durch kurze Fristen generell benachteiligt, weil er sich, wenn er z.B. von der Behörde vorgelegte Schriftstücke (Formulare) nicht versteht, mit einer sachkundigen Vertrauensperson in Verbindung setzen muß. Im Zivil- und im Strafprozeß, wo die Einleitung des Verfahrens grundsätzlich durch Schriftsätze erfolgt, sind sehbehinderte Personen auf eine Hilfsperson angewiesen, um vom Inhalt der angeführten Schriftsätze Kenntnis zu erlangen bzw. um schriftliche Eingaben zu verfassen.

Das Recht auf Akteneinsicht umfaßt weder nach den gerichtlichen noch nach den verwaltungsrechtlichen Verfahrensordnungen einen ausdrücklich geregelten Anspruch Sehbehinderter auf Aktenabschriften in für sie lesbarer bzw. sonstiger wahrnehmbarer Form. Schließlich stellt auch die Zustellung behördlicher Schriftstücke sehbehinderte Personen vor Probleme.

Zu Schwierigkeiten in der Praxis kann es darüber hinaus dadurch kommen, daß für die Wahl des Ortes einer mündlichen Verhandlung weder hinsichtlich eines barrierefreien Zuganges zum Verhandlungsort noch hinsichtlich der behindertengerechten Adaptierung des Verhandlungssaales zwingende gesetzliche Vorschriften bestehen.

Zur Behebung der Probleme wurde von der Unterarbeitsgruppe Rechtsschutz eine Reihe von Vorschlägen gemacht. So wird angeregt, eine verfahrensrechtliche Norm zu schaffen, die in allen behördlichen Verfahren hörbehinderten Personen einen Anspruch auf kostenlose Beistellung eines Gebärdendolmetschers und sehbehinderten Personen einen Anspruch auf kostenlose Bereitstellung einer Ausfertigung in Blindenschrift einräumt.

Behördliche Schriftstücke könnten durch erhabene Schriftzüge speziell gekennzeichnet werden, um sehbehinderten oder blinden Personen die Möglichkeit zu geben, diese durch tasten sofort als solche zu erkennen.

Darüber hinaus schlägt die Unterarbeitsgruppe vor, Menschen mit Behinderung bereits bei der Einleitung von Verwaltungsverfahren das Recht zuzugestehen, daß sie alle während des Verfahrens ergehenden schriftlichen Mitteilungen auf Diskette oder Kassette erhalten.

Zudem könnte das AVG so adaptiert werden, daß bei der Wahl des Ortes der mündlichen Verhandlung auf (körperliche) Behinderungen von Parteien oder Beteiligten zwingend Rücksicht zu nehmen ist. Mängelbehebungsaufträge sollten bei Bedarf auch mündlich oder in Blindenschrift zu erteilen sein.

Disrkimierende sprachliche Ausdrücke
In vielen Fällen bemängelt wurden diskriminierende sprachliche Ausdrücke wie „Wahnsinnige“, „Blödsinnige“, „Raserei“ usw., die historisch begründet sind und beispielsweise in der Strafprozeßordnung oder im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) vorkommen. Es ist geplant, diese Begriffe an den neuen Sprachgebrauch anzupassen. Außerdem arbeitet das Justizministerium an einer Novellierung des im ABGB verankerten Sachwalterrechts.

Wahlen
Bereits reagiert hat der Gesetzgeber auf die Benachteiligung sehbehinderter Personen bei der Ausübung des Wahlrechtes. Nachdem die Europawahlordnung bereits seit längerem eine zwingende Verwendung von Stimmzettelschablonen bei Europawahlen vorsieht, wurde eine entsprechende Bestimmung kürzlich auch in die Nationalratswahlordnung eingefügt.

Darüber hinaus beabsichtigt das Innenministerium – unabhängig von gesetzlichen Vorgaben – Stimmzettelschablonen auch bei Bundespräsidentenwahlen, Volksabstimmungen und Volksbefragungen zur Verfügung zu stellen und so Sehbehinderten und Blinden die selbständige Ausübung des Wahlrechtes zu ermöglichen.

Normiert wurde auch, daß nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten in jeder Gemeinde, in Wien in jedem Bezirk, zumindest ein für Körperbehinderte barrierefrei erreichbares Wahllokal vorhanden ist, um eine leichtere Zugänglichkeit von Wahllokalen für Körperbehinderte zu erreichen. Eine Vorschrift, sämtliche Wahllokale zwingend barrierefrei auszugestalten, konnte, so der Bericht, nicht festgeschrieben werden, da eine faktische Umsetzung bis zur nächsten Nationalratswahl unmöglich wäre.

Blinde als Zeugen bei Eheschließungen?
Zur Frage, ob sehbehinderte Personen, die derzeit aufgrund der Personenstandsverordnung als Zeugen für den Eheschließungsakt ausgeschlossen sind, zugelassen werden sollen, wurden in der Unterarbeitsgruppe Rechtsschutz unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Das Justizministerium betonte nachdrücklich die besondere Bedeutung der Beweisbarkeit einer erfolgten Eheschließung und die den Trauzeugen dabei zukommende Rolle und wies darauf hin, daß sehbehinderte Personen einen Teil des Eheschließungsaktes – etwa die Eintragung in das Ehebuch, aber auch die Person des Standesbeamten – nicht unmittelbar wahrnehmen können.

Dagegen wurde eingewandt, daß z.B. sehbehinderte Verwandte des Brautpaars aufgrund ihrer engen Beziehung zu den Trauenden eine zuverlässigere Aussage machen könnten als dem Brautpaar völlig fremde nichtbehinderte Personen, die sehr wohl als Trauzeugen zugelassen sind.

Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
Uneinig ist die Arbeitsgruppe in der Bewertung jener Bestimmung des Strafgesetzbuchs, die Frauen Straflosigkeit bei einem Schwangerschaftsabbruch zusichert, wenn eine ernste Gefahr besteht, daß das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird.

Während einige Mitglieder der Arbeitsgruppe meinten, diese Bestimmung sei dazu geschaffen worden, um behindertes Leben zu verhindern, sie bringe somit eine Geringschätzung und Diskriminierung behinderten Lebens zum Ausdruck, vertrat das Justizministerium die Position, man müsse die sogenannte „embryopathische Indikation“ – ebenso wie die „Fristenlösung“ – im Zusammenhang mit der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der schwangeren Frau in bestimmten Konfliktsituationen sehen.

Der Indikationsgrund sei nicht auf die Verhinderung erbkranken Nachwuchses gerichtet, vielmehr sollte die Entscheidung der Frau zum Austragen des Fötus in einer besonderen, belastenden Konfliktsituation nicht im Wege des Strafrechts erzwungen, sondern der individuellen Verantwortung der Frau überlassen werden.

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