Die altbekannte Methode, "man spiele einfach eine Gruppe behinderter Menschen gegen die andere aus, um Uneinigkeit der Behinderten zu dokumentieren" zieht nicht mehr!
Wie einer Aussendung des Vereines Blickkontakt jüngst zu entnehmen war, ist man in Wien am besten Wege, wieder einmal eine unfassbare gesetzliche Diskriminierung behinderter Menschen als Fortschritt verkaufen zu wollen; und das unter dem Motto: „Wir haben ja eh für die Körperbehinderten eine deutliche Verbesserung erreicht. Man kann halt nicht für alle Gruppen etwas tun.“
Doch da hat man sich seitens der Stadt Wien etwas verrechnet!
„Die Behindertenbewegung in Österreich ist kein loser Zusammenschluss verschiedenster Gruppierungen, die im Zweifel ihre eigenen Interessen stur verfolgen; die Behindertenbewegung ist – unabhängig von der Art der Behinderung – eine eng kooperierende Solidargemeinschaft, die insbesondere gegen derart krasse Diskriminierungen geschlossen auftritt“, erklärt Martin Ladstätter vom Verein BIZEPS und Mitarbeiter des „Forum Gleichstellung“.
Ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieses Novellierungsentwurfes zur Wiener Bauordnung und zum Wiener Garagengesetz macht wohl deutlich, weshalb die Behindertenbewegung so aufgebracht ist:
- Zunächst wurde vor über drei Jahren die Arbeitsgruppe „Bauordnung“ als Untergruppe der Arbeitsgruppe zur Durchforstung der Wiener Rechtsvorschriften nach behindertendiskriminierenden Bestimmungen von der Wiener gemeinderätlichen Behindertenkommission eingesetzt, und zwar mit dem Ziel, einen Entwurf für brauchbare Bestimmungen zum barrierefreien Bauen in der Wiener Bauordnung und verwandten Wiener Gesetzen auszuarbeiten.
- Dieser Arbeitsgruppe gehörten neben GemeinderätInnen auch Magistratsbeamte, insbesondere aus der Baurechtsabteilung, und behinderte ExpertInnen an.
- Vor zweieinhalb Jahren war der erste umfangreiche Entwurf einer Novelle zur Wiener Bauordnung fertig, der tiefgreifende Verbesserungen im Bereich barrierefreies Bauen für alle Gruppen behinderter Menschen vorsah.
- Dann wurde völlig überraschend im Jahr 2001 eine Bauordnungsnovelle im Landtag beschlossen, die wohl nur als müder Abklatsch des von den ExpertInnen der Arbeitsgruppe „Bauordnung“ ausgearbeiteten Entwurfes bezeichnet werden kann, denn die wesentlichen Verbesserungen wurden einfach wieder gestrichen.
- Aufgrund der zahlreichen Proteste der Behindertenbewegung gegen diese Vorgangsweise wurde die Arbeitsgruppe „Bauordnung“ neuerlich aufgefordert, einen Entwurf für Bestimmungen zum barrierefreien Bauen für die Wiener Bauordnung und verwandte Wiener Landesgesetze auszuarbeiten.
- Bereits im Jahr 2002 lag wieder ein umfangreicher Entwurf mit Bestimmungen zum barrierefreien Bauen für alle Gruppen behinderter Menschen vor.
- Im Mai 2003 wurde schließlich wieder die Arbeitsgruppe „Bauordnung“ einberufen, bei der ein völlig geänderter Entwurf präsentiert wurde, der nur noch auf „körperbehinderte Menschen“ bezug nimmt und insbesondere die bereits ausgearbeiteten Maßnahmen für sinnesbehinderte Menschen vermissen lässt; als Begründung gab man an, dass man die Maßnahmen für sinnesbehinderte Menschen gar nicht in der Bauordnung regeln könne, weil es sich dabei ja nur um „Ausstattungsmaßnahmen“ handle, die bundesrechtlich zu regeln seien.
Als Experte der sehbehinderten und blinden Menschen war Wolfgang Kremser vom gemeinsamen Verkehrsgremium der Sehbehinderten- und Blindenorganisationen der Ostregion in der Arbeitsgruppe „Bauordnung“, der zur aktuellen Situation meint:
„Erst haben wir so viel Zeit und Energie in einen Gesetzesentwurf investiert, der auch für sehbehinderte und blinde Menschen absolut wichtige Verbesserungen gebracht hätte und jetzt sagt die Stadt Wien einfach: Tut leid, zurück an den Start. Ich kann es nicht glauben, dass man uns ernsthaft über drei Jahre an einem Novellierungsentwurf arbeiten lässt und nach drei Jahren kommen dann die Magistratsjuristen, die ja auch immer wieder in der Arbeitsgruppe „Bauordnung“ anwesend waren und die Entwürfe gekannt haben, drauf, dass man Sicherheits- und Orientierungsmaßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen, wie Sprachausgaben und tastbare Beschriftungen in Aufzügen, tastbare Bodenleitsysteme oder Absicherungseinrichtungen bei freitragenden und unterlaufbaren Rampen oder Treppen etc, in der Bauordnung ja gar nicht regeln könne, weil das ja nur Ausstattungsmaßnahmen wären. Das kann nur ein schlechter Scherz sein!“
Die Empörung über diese drohende Diskriminierung sinnesbehinderter Menschen ließ sich bald in der gesamten Behindertenbewegung erkennen. Im Falle des derzeit vorliegenden Novellierungsentwurfs zur Wiener Bauordnung und zum Wiener Garagengesetz kann man die Solidarität der Behindertenbewegung wohl eindrucksvoll beobachten.
Zunnächst sprach sich der Verein Blickkontakt – Interessensgemeinschaft sehender, sehbehinderter und blinder Menschen – vehement dagegen aus, dass diese Novelle lediglich Maßnahmen der Barrierefreiheit für körperbehinderte Menschen bringen soll. Die so wichtigen Sicherheits- und Orientierungsmaßnahmen für sinnesbehinderte Menschen wurden einfach im letzten Moment seitens der Stadt Wien wieder aus dem Entwurf eliminiert und der Entwurf dann sogleich in Begutachtung geschickt.
Blickkontakt gelang es noch am letzten Tag der Begutachtungsfrist, dem 6. Juni 2003, eine offizielle Stellungnahme im Begutachtungsverfahren abzugeben.
Diesem Protest des Vereines Blickkontakt schloss sich auch die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation mit einer Stellungnahme im Begutachtungsverfahren zur Wiener Bauordnungsnovelle am 6. Juni 2003 an:
„Die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (ÖAR), Dachorganisation der österreichischen Behindertenverbände, schließt sich den Forderungen des Vereins Blickkontakt an und fordert das Land Wien auf, seine Vorgangsweise noch einmal zu überdenken und den Entwurf wieder um die bereits erarbeiteten Maßnahmen für sehbehinderte und blinde Menschen zu ergänzen.“
Und auch der Verein BIZEPS – Behindertenberatungszentrum und Zentrum für selbstbestimmtes Leben – sprach sich in der jüngst veröffentlichten Stellungnahme zur Bauordnungsnovelle unmissverständlich gegen diese Behindertendiskriminierung aus.
Nun ist die Stadt Wien am Zuge, dem klaren Signal der österreichischen Behindertenbewegung zu entsprechen und diese drohende Diskriminierung sehbehinderter und blinder Menschen zu verhindern; ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht ja noch, denn auch zur Frage, ob man ÖNORMEN in Wiener Landesgesetzen für verbindlich erklären könne, wurde nach langjähriger Verneinung seitens der Stadt Wien dann im Jahr 2002 letztlich doch von einem der ranghöchsten Magistratsjuristen die Rechtsmeinung vertreten, dass man ÖNORMEN unter Einhaltung bestimmter Regeln sehr wohl in Wiener Landesgesetzen für verbindlich erklären könne.
Wie auch immer; die Frage, ob Maßnahmen für sinnesbehinderte Menschen in der Wiener Bauordnung Platz haben, wird jedenfalls geklärt werden, denn der Verein Blickkontakt kündigte ja in seiner Stellungnahme auch an, diese Novelle nötigenfalls auch auf seine Verfassungskonformität im Sinne des Art. 7 Abs. 1 vierter Satz der österreichischen Bundesverfassung vom Verfassungsgerichtshof prüfen lassen zu wollen.