Behindertengleichstellung in Wien – Ist-Stand und Notwendigkeiten

Rund 60 behindertendiskriminierende Wiener Rechtsvorschriften und zahlreiche faktische Benachteiligungen behinderter Menschen in Wien sind bekannt - das Ziel muss ein Wiener Behindertengleichstellungsgesetz sein!

Jagd nach dem Recht
Krispl, Ulli

Aufgrund eines Beschlusses der Interessensvertretung der behinderten Menschen – einem offiziellen behindertenpolitischen Gremium nach § 46 des Wiener Behindertengesetzes – konstituierte sich am 22. Oktober 2002 das Komitee „Behindertengleichstellung in Wien“ als Unterarbeitsgruppe der Interessensvertretung unter dem Vorsitz von Mag. Michael Krispl (Verein Blickkontakt). Das Komitee, bestehend aus 11 Mitgliedern, erarbeitete in nur drei Sitzungen einen Bericht unter dem Titel „Behindertengleichstellung in Wien – Ist-Stand und Notwendigkeiten“, der von der Interessensvertretung der behinderten Menschen in der Sitzung vom 28. November 2002 einstimmig angenommen wurde. In diesem Bericht wird die derzeitige Lage der „Behindertengleichstellung in Wien“ gleichermaßen anschaulich wie drastisch dokumentiert.

Rund 60 behindertendiskriminierende Wiener Rechtsvorschriften sind bislang bekannt und harren ihrer Bereinigung (etwa in der Wiener Bauordnung, dem Veranstaltungsstätten-, Garagen-, Krankenanstalten-, Behinderten-, dem Personalvertretungsgesetz, den Beförderungsbedingungen der Wiener Linien, der Verordnung über Werbeständer …).

Aber auch zahlreiche faktische Diskriminierungen und Benachteiligungen behinderter Menschen gehören zur Lebensrealität in Wien:

  • akustische Ampeln fürblinde und sehbehinderte Menschen werden immer wieder zu leise eingestellt und damit für behinderte Menschen zu einer zusätzlichen Gefahrenquelle oder gänzlich unbrauchbar gemacht
  • Induktionsanlagen in Veranstaltungsstätten (Kinos, Theatern, Konzerthäusern) für gehörbehinderte Menschen sind in Wien Mangelware und, wenn sie schon einmal zufällig vorhanden sind, weist keinerlei Kennzeichnung darauf hin, so dass gehörbehinderte Menschen gar nicht die Möglichkeit haben, zu erkennen, dass ein Induktivhören möglich wäre
  • Menschen im Rollstuhl müssen Veranstaltungsstätten oftmals über einen Notausgang betreten, da der reguläre Eingang häufig nicht barrierefrei benutzbar ist (Stufen, Drehkreuze, Türen mit Selbstschließer …)
  • Rollstuhlplätze in Veranstaltungsstätten sind oftmals in Bereichen mit schlechter Sicht und noch dazu so eingerichtet, dass eine Begleitperson nicht unmittelbar daneben sitzen kann
  • geistig behinderte Menschen werden bei Arztbesuchen immer wieder dazu gezwungen, sich nur mit Vollnarkose behandeln zu lassen, auch wenn das gar nicht nötig wäre
  • ein eklatanter Mangel an Gebärdensprachdolmetschen in Wien schränkt gehörlose Menschen in ihrer Kommunikation ein
  • die Wiener Cityterminals verfügen über Touchscreen, jedoch weder über Sprachein- noch über Sprachausgabe oder eine Tastatur, so dass sie für blinde Menschen nicht benützbar sind
  • Schaukästen in Museen sind oftmals in einer Höhe angebracht, dass man als RollstuhlfahrerIn kaum eine Chance hat, gut hineinschauen zu können
  • Ausstellungsstücke in Wiener Museen und Ausstellungen dürfen von sehbehinderten und blinden Menschen zumeist nicht betastet werden
  • das größte Wiener Spital verfügt in seinen Abteilungen über keine behindertengerechten WCs …

Alle diese und noch viele andere Diskriminierungen und Benachteiligungen behinderter Menschen in Wien ließen das Komitee „Behindertengleichstellung in Wien“ zum Schluss kommen: Das Ziel muss ein Wiener Behindertengleichstellungsgesetz sein, das diese ernüchternden Lebensrealitäten behinderter Menschen in Wien zu verbessern vermag! Deshalb enthält der Bericht des Komitees auch die unabdingbaren Eckpunkte für ein künftiges Wiener Behindertengleichstellungsgesetz (WBGG). Neben Begriffsdefinitionen für „Behinderung“, „Gleichstellung“, „Benachteiligung“, „Diskriminierung“ und „Lebensbereiche“ gehören insbesondere nach Lebensbereichen differenzierte und detaillierte Gleichstellungsrechte, Klags-/Beschwerdemöglichkeiten, Instanzenzüge, eine Beweislastumkehr, ein Verbandsklagerecht, eine außerstreitige Schlichtungsstelle – die überwiegend durch behinderte Menschen besetzt ist – und vertretbare Umsetzungsfristen zu diesen unabdingbaren Eckpunkten.

Die Interessenvertretung der behinderten Menschen beschloss daher in ihrer Sitzung am 28. November 2002, sich am internationalen Tag der Menschen mit Behinderung – 3. Dezember – mit drei Empfehlungen an die Wiener Landesregierung und den Wiener Landtag zu wenden:

  • 1. Die Wiener Landesregierung möge in der Magistratsdirektion eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Entwurfes für ein Wiener Behindertengleichstellungsgesetz einrichten, in der Mitglieder/Ersatzmitglieder der Interessenvertretung der behinderten Menschen und sonstige Expertinnen sowie VertreterInnen der Wiener Gemeinderätlichen Behindertenkommission maßgeblich eingebunden sind.
  • 2. Die Wiener Landesregierung und der Wiener Landtag mögen umgehend die Bereinigung der aus dem Bericht „Behindertengleichstellung in Wien – Ist-Stand und Notwendigkeiten“ ersichtlichen behindertendiskriminierenden Wiener Rechtsvorschriften veranlassen.

  • 3. Die Wiener Landesregierung möge die Arbeitsgruppe „Rechtsbereinigung behindertendiskriminierender Wiener Rechtsvorschriften“ als permanente Arbeitsgruppe im Bereich der Magistratsdirektion einrichten, der VertreterInnen der behinderten Menschen als ExpertInnen und Mitglieder der Wiener Gemeinderätlichen Behindertenkommission angehören sollen.

Nun ist die Wiener Stadtpolitik am Zuge; am deutlichsten hat sich in den letzten Monaten die zweite Landtagspräsidentin und Vorsitzende der Wiener Gemeinderätlichen Behindertenkommission, Prof. Erika Stubenvoll (SPÖ), geäußert, die die Schaffung eines Wiener Behindertengleichstellungsgesetzes noch im Jahr 2003 anstrebt.

Mag. Michael Krispl: „Alle politischen Parteien sprachen sich im Nationalratswahlkampf für die Schaffung eines Behindertengleichstellungsgesetzes auf Bundesebene aus. Es dürfte daher vorsichtiger Optimismus angezeigt sein, dass sich auch in der Wiener Stadtpolitik eine satte Mehrheit für diesen zukunftsorientierten behindertenpolitischen Schritt finden wird, noch dazu, wo Wien österreichweit als Vorreiter mit der Schaffung eines Wiener Behindertengleichstellungsgesetzes vorangehen könnte und mit dieser legistischen Initiative darüberhinaus auch den Erwartungen der Europäischen Kommission für das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung 2003 vollinhaltlich entsprechen würde.“

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