Im Rahmen der Enquete "Barrieren behindern Leben", die von der Caritas Wien und den Vereinen BIZEPS und Blickkontakt am 26.11.2003 veranstaltet wurde, standen die wirtschaftlichen Aspekte der Behindertengleichstellung im Vordergrund.
Wer kennt sie nicht, die von Politikern und der Wirtschaft immer wieder geäußerten Ängste, wenn über die Schaffung durchsetzbarer Gleichstellungsrechte für Menschen mit Behinderungen diskutiert wird:
- Barrierefreies Bauen können wir uns nicht leisten; das würde ein Bauvorhaben massiv verteuern.
- Wollte man alle Geschäfte, Restaurants, Unternehmen etc. barrierefrei umgestalten, dann wäre das eine ernsthafte Bedrohung für die Wirtschaft.
Doch die Österreichische Behindertenbewegung – vertreten durch BIZEPS und Blickkontakt – wollte diese vorgefassten und durch Fakten nicht belegten Ängste nicht einfach so im Raum stehen lassen. Darum lud man mit Unterstützung der Caritas Wien und der Amerikanischen Botschaft einen der führenden Experten auf diesem Gebiet, Dr. David Capozzi vom US Architectural and Transportation Barriers Compliance Board, ein, um die Erfahrungen aus 13 Jahren mit dem amerikanischen Behindertengleichstellungsgesetz – Americans with Disabilitys Act (ADA) – zu referieren und zu diskutieren.
Die wesentlichsten Erfahrungen mit den wirtschaftlichen Auswirkungen des ADA, die Dr. David Capozzi referierte, waren absolut erfreulich und motivierend:
- Auch in den USA wurden vor der Verabschiedung des ADA immer wieder Horrorszenarien seitens der Wirtschaft und der Politik geäußert, wie z. B. dass es bei Bauvorhaben zu Kostenexplosionen kommen würde und Wirtschaftsbetriebe in ihrer Existenz bedroht würden. Doch 13 Jahre ADA beweisen genau das Gegenteil!
- Um dieses Horrorszenario nicht Wirklichkeit werden zu lassen, hat man selbstverständlich steuerliche Anreize, realistische Übergangsfristen und wirtschaftliche Zumutbarkeitsklauseln bei der barrierefreien Umgestaltung vorgesehen, die auch Wirkung zeigten. Nur bei Neuanschaffungen – z. B. von Verkehrsmitteln – oder Neubauten ist völlig außer Diskussion, dass das jedenfalls barrierefrei zu geschehen hat.
- Behinderte Menschen bei der Teilhabe am Gesellschaftsleben zu diskriminieren, ist in den USA nicht gesellschaftsfähig!
- Nach aktuellen Meinungsbefragungen im Jahr 2003 unterstützten rd. 88% der Befragten den Grundsatz, dass öffentliche Plätze, also auch Amtsgebäude, Theater, Kinos, Restaurants, Kaufhäuser etc., für behinderte Kunden nicht diskriminierend gestaltet sein dürfen. 87% der Befragten unterstüzen auch das Prinzip, dass neu angeschaffte Verkehrsmittel jedenfalls barrierefrei zu sein haben und 85% vertraten die Ansicht, dass qualifizierte behinderte Jobwerber nicht wegen ihrer Behinderung abgelehnt werden dürfen.
- Es stellte sich auch heraus, dass bei Neubauten die Maßnahmen des barrierefreien Bauens lediglich 1% der Gesamtkosten des Bauvorhabens ausmachen.
- Es stellte sich ferner heraus, dass die mühsamen Ermittlungen und Berechnungen der Mehrkosten für barrierefreies Bauen mehr kosten, als die Maßnahmen des barrierefreien Bauens selbst; darum hat man sich in den USA vorbehaltlos dazu entschlossen, bei Neubauten ohne jegliche Diskussion von vornherein barrierefrei zu bauen.
- Es zeigte sich auch, dass man in rd. 76% der Fälle schon mit geringfügigen Adaptierungsmaßnahmen – die nicht mehr als $500 an Kosten verursachten – Barrierefreiheit erreichen konnte.
- Die Wirtschaftsbetriebe wurden durch das amerikanische Behindertengleichstellungsgesetz ebenfalls nicht in ihrer Existenz bedroht; im Gegenteil, die Wirtschaft hat behinderte Menschen als wertvolle Mitarbeiter im Betrieb und zahlungsfreudige Kunden erkannt.
- Behinderte Menschen nicht zu diskriminieren gehört in den USA zum guten Ton!
Deshalb machen Wirtschaftsbetriebe gezielt Werbung damit, dass ihre Gebäude oder Dienstleistungen barrierefrei zugänglich und benützbar sind oder auch, dass sie behinderte Mitarbeiter beschäftigen und dass das positive Wirkung auf das Arbeitsklima und das Image des Unternehmens hat.
- Durch das ADA, das einklagbare Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in den verschiedensten Lebensbereichen enthält, ist aber keine Klagsflut entstanden, sondern es wurde vielmehr ein gesellschaftlicher Lern- und Umdenkprozess gefördert und beschleunigt.
Nun, diesen belegbaren Erfahrungen aus der nunmehr 13jährigen Geschichte des wohl bisher schlagkräftigsten Behindertengleichstellungsgesetzes kann sich wohl auch die österreichische Politik und Wirtschaft bei der aktuellen Diskussion um die Erarbeitung eines Österreichischen Behindertengleichstellungsgesetzes nicht verschließen.
In diesem Sinn war wohl die Enquete „Barrieren behindern Leben“ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz.
Und die Behindertenbewegung ist damit ganz beim Direktor der Caritas Wien, DDr. Michael Landau, wenn er mehrfach betonte: „Wir brauchen einklagbare Gleichstellungsrechte und nicht Mitleid.“