Was in Graz bereits im dritten Jahrzehnt erfolgreich läuft, wurde in Wien vor drei Jahren abgedreht. Schaut so eine erfolgreiche Behindertenpolitik aus?
In Graz existiert seit 1984 eine öffentliche Ansprechstelle für alle Menschen die sich zum Thema „Barrierefreies Bauen“ informieren und beraten lassen möchten – das Referat Barrierefreies Bauen.
Dessen Arbeitsschwerpunkte sind einerseits Beratung von Menschen mit Behinderung, deren Angehörigen sowie von älteren Grazer Bürgerinnen und Bürgern in ihrem persönlichen Bereich. Auf Wunsch werden Wohnungen und Arbeitsstätten besichtigt, Planskizzen erstellt sowie vorhandene Planungen und Angebote kontrolliert und Informationen über mögliche Förderungen gegeben.
Andererseits werden Planer, Architekten und Bauausführende beraten und erhalten Vorschläge für eine barrierefreie Umsetzung von Bauvorhaben einschließlich der Begutachtung von Plänen.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erstellung von Planungshilfen für barrierefreies Bauen in dessen Rahmen ein umfangreiches Handbuch sowie aktuelle Informationsblätter herausgegeben wurden. Als Ergänzung der Aktivitäten werden Schulungen angeboten und steht eine Fachbibliothek zur Verfügung.
Darüber hinaus existiert seit dem 1. Jänner 2008 beim Land Steiermark die neue Stelle eines Beauftragten für barrierefreies Bauen.
In Wien gab es einmal eine Fachstelle
Auch in Wien gab es einmal eine „Fachstelle der Stadt Wien für barrierefreies, behinderten- und generationsgerechtes Planen, Bauen und Wohnen.“ Diese wurde von der Stadt Wien im Laufe der Jahre allerdings personell systematisch ausgehungert und schließlich – als deren Leiter pensioniert wurde – Anfang 2005 ganz aufgelassen.
Das alles geschah nicht zufällig sondern hatte System: die Fachstelle wurde bei der Gemeinde Wien und vor allem bei deren politisch Verantwortlichen alsbald zum ungeliebten Kind, musste sie doch gravierende Versäumnisse der Stadt aufzeigen, gegen von ihr nicht barrierefrei geplante Bauvorhaben Protest einlegen und notwendige Lösungen, die nicht im Interesse der Stadtverwaltung waren, für die Betroffenen einfordern.
Ersatz: Ein Onlineformular
Als Ersatz für die Fachstelle wurde eineinhalb Jahre später von der Stadt Wien ein Online-Service ins Leben gerufen. Mit einem Onlineformular können Barrieren in öffentlichen Gebäuden, im öffentlichen Raum (Blindenleitsysteme, Parkplätze, Grünanlagen) sowie fehlende Gehsteigabsenkungen gemeldet werden. Weiters können Barrieren beim Webservice von „wien.at“ gemeldet werden.
Die Stadt Wien verspricht, dass die dafür verantwortlichen Stellen „die Anfragen gerne beantworten und an die zuständigen Dienststellen zur Bearbeitung weiterleiten.“
Habe Angebot getestet
Ich habe dieses verlockend klingende Angebot am 13. Oktober 2006 getestet, um zu sehen, wie es funktioniert und mit der Hoffnung, dass die von mir gemeldeten Barrieren wirklich beseitigt werden.
Das Ergebnis: Sowohl die von mir gemeldeten fehlenden Gehsteigabsenkungen als auch der nicht vorhandene barrierefreie Zugang zu einem öffentlichen Gebäude existieren noch immer. Auf meine Meldungen habe ich keinerlei Reaktionen erhalten und auch meine Urgenz am 23. November 2006 wurde bis heute nicht beantwortet.
Mittlerweile habe ich aber eingesehen, was mit diesem Service anscheinend wirklich bezweckt wird: Die Stadt Wien möchte den Eindruck erwecken, sie sei in diesem Sektor aktiv und kümmere sich darum, dass bauliche Barrieren in ihrem Bereich rasch beseitigt werden. Das genügt ihrer Meinung nach dann schon.
Onlinemeldedienst kein Ersatz für Fachstelle
Dass dieser beim ersten Hinsehen zwar gut wirkende aber nicht funktionierende und für die Betroffenen daher wertlose Onlinemeldedienst kein Ersatz für eine aktiv tätige und personell ausreichend ausgestattete Fachstelle sein kann, wurde den Betroffenen und einem Teil der politisch Verantwortlichen in Wien immer stärker bewusst und so brachten dann am 29. März 2007 die Grünen im Wiener Gemeinderat einen Antrag zur Einrichtung einer solchen Fachstelle ein.
Dies geschah in Erwartung einer Zustimmung aller Fraktionen im Gemeinderat zu diesem grundvernünftigen Anliegen. Diese Einschätzung erwies sich jedoch als unrichtig, denn die Wiener SPÖ wollte diesem Antrag nicht zustimmen, sondern brachte vielmehr unmittelbar danach einen eigenen Antrag ein, in welchem die Schaffung eines „Kompetenzzentrums“ angesiedelt beim Bürgerdienst der Stadt gefordert wird, weil dieser „bürgernah, niederschwellig und in engem Kontakt mit allen betreffenden Dienststellen des Magistrats ist“.
Da aber die SPÖ dem Antrag der Grünen nicht zustimmen wollte und einen eigenen Antrag einbrachte, gab es für den „grünen“ Antrag keine Mehrheit und wurde der zweite Antrag mit der Stimmenmehrheit der SPÖ beschlossen.
Was am 29. März 2007 im Wiener Gemeinderat geschah war zwar eine äußerst merkwürdige Vorgangsweise, aber vielleicht hat sie nun schlussendlich doch zu einem für alle Betroffenen positiven Ergebnis geführt.
Hier das Ergebnis meiner Recherchen
Mehrere Anrufe beim Bürgerdienst im Wiener Rathaus stellten eindeutig klar, dass hier niemand diese neu zuschaffene Stelle kennt und auch keine geplant ist.
Ich wurde aber vom Bürgerdienst zu Frau DI Brigitte Jedelsky, deren Aufgabe die Landschaftsplanung bei der MA 18 ist, weiter verwiesen, da sie in diesem Bereich aktiv sein soll. Aber auch diese Spur verlief im Sand, denn Frau Jedelsky musste mir leider mitteilen, dass sie mit der neuen Stelle nichts zu tun hat und auch nichts Näheres wisse.
Fazit
Nach beinahe drei Jahren gibt es in Wien noch immer keine Fachstelle und mehr als ein dreiviertel Jahr nach Einbringung des Antrags hat es die Wiener Stadtregierung, die sämtliche Möglichkeiten hat und der alle Mittel zur Verfügung stehen, nicht zustande gebracht, die alte Beratungsstelle zu reanimieren.