Erich Wahl ist für die Bewohnervertretung von VertretungsNetz tätig. Er kritisiert das vom Land Salzburg betriebene Konradinum scharf und benennt die Gründe, die auch in Gerichtsgutachten festgehalten sind.
Die BewohnervertreterInnen sind beim Verein VertretungsNetz angestellt, arbeiten im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz und vertreten seit dem Jahr 2005 Menschen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen, die von Freiheitsbeschränkungen betroffen sind.
Video: Was ist die Bewohnervertretung?
Was sind Freiheitsbeschränkungen?
Im Heimaufenthaltsgesetz werden unter Freiheitsbeschränkungen verstanden: Mechanische, elektronische und medikamentöse Beschränkungen der Bewegungsfreiheit oder deren Androhung. Dies sind beispielsweise Bettseitenteile, Fixierung am Bett oder Rollstuhl, Versperren von Türen, Codierungs- und Überwachungssysteme, Hindern am Verlassen der Einrichtung, Wegnahme von Gehhilfen. Auch sedierende Medikamente können eine Freiheitsbeschränkung darstellen, informiert VertretungsNetz.
Ziele des Heimaufenthaltsgesetzes sind der Schutz der Betroffenen bei Eingriff in ihre Freiheitsrechte sowie klare gesetzliche Vorgaben für alle mit Betreuung und Pflege befassten Berufsgruppen. Ziel ist daher auch, Freiheitsbeschränkungen zu vermeiden oder Alternativen zu Freiheitsbeschränkungen zu finden und umzusetzen.
Warum die Bewohnervertretung von VertretungsNetz mit dem Konradinum ein Problem hat?
„Zwei unabhängige Kontrollmechanismen und ein österreichisches Gericht sind zur Ansicht gekommen, dass hier Mängel bestehen“, sagt Erich Wahl, Bereichsleiter der Bewohnervertretung von VertretungsNetz in Salzburg, zur APA und bezieht sich damit auf Missstände im Salzburger Behindertenheim Konradinum.
Er ergänzt: „Das Fehlen an modernen sonder- und heilpädagogischen Methoden hat zuletzt in gerichtlichen Verfahren zur Unzulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen im Heim geführt, unter anderem durch Psychopharmaka.“
Die Bewohnervertretung spricht daher von “schlimmen und dramatischen” Zuständen. Das Land Salzburg – es betreibt das Konradinum – bestreitet hingegen noch immer diese Missstände. „Den Menschen, die hier wohnen, geht’s gut“, schreibt die Salzburger Landeskorrespondenz.
Bewohnervertretung brachte mehrere Vorfälle schon zu Gericht
Die Bewohnervertretung kann auch die gerichtliche Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen einleiten. Beim Konradinum musste dies sogar schon mehrfach gemacht werden.
„Es wurden vier Anträge bei Gericht Ende August 2015 eingebracht, einer im November 2015 und zwei weitere Anträge im Februar 2016“, erfährt BIZEPS auf Anfrage bei VertretungsNetz: „Derzeit (Stand Februar 2016) sind bei mehr als 23 BewohnerInnen insgesamt 52 Beschränkungsmaßnahmen gemeldet (Psychopharmaka, Gurtfixierungen im Rollstuhl/Sitzgelegenheit und Seitenteile). Viele Freiheitsbeschränkungen werden aufgrund struktureller Mängel (u.a. veraltetes/fehlendes pädagogisches Konzept) gesetzt.“
Erich Wahl dazu: „Die Bewohnervertretung hat lange mittels außergerichtlicher Überprüfungsschritte versucht, Verbesserungen herbeizuführen – was aber nicht gelang. Wir schulden den BewohnerInnen einer solchen Einrichtung den Rechtsschutz durch das Heimaufenthaltsgesetz.“
Die Gerichtsverfahren – unter Beiziehung von Sachverständigen aus dem Bereich der Sonder- und Heilpädagogik und Psychiatrie – haben klare Unzulässigkeiten ergeben, besonders die mangelhafte Patientendokumentation und fehlende sonder- und heilpädagogische Förderpläne wurden kritisiert, erfährt BIZEPS.
„Mit gezielten Maßnahmen könnte man vor allem die Freiheitsbeschränkungen durch Medikamente reduzieren bzw. ganz vermeiden. Die Dauermedikation könnte geringer gehalten, Bedarfsmedikation nur mehr in extrem seltenen Fällen erforderlich sein“, betont Erich Wahl.
Vielzahl von Versäumnissen im Konradinum
Die Versäumnisse betreffen – laut Information durch VertretungsNetz – auch den pädagogischen Bereich. Den BewohnerInnen fehlen Erfahrungen außerhalb des Heimes weitgehend, heißt es und BIZEPS wird informiert: „Nur ein einziger Bewohner besucht eine Förderwerkstätte und hat damit auch regelmäßig eine Lebens- und Erfahrungswelt außerhalb des Konradinums. In der Regel befinden sich die BewohnerInnen in einem geschlossenen System.“
Land Salzburg ist noch immer säumig
Trotz hartnäckiger Interventionen der Bewohnervertretung auch direkt bei Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl und Landesrat Heinrich Schellhorn und vorliegender Gerichtsentscheidungen wurde vom Land Salzburg seit August 2015 nichts Substantielles unternommen, um die Situation für die BewohnerInnen des Konradinums zu verbessern, lautet der Vorwurf der Bewohnervertretung.
„Im Gegenteil wurde von der zuständigen Abteilung des Landes versucht, die Arbeit der Bewohnervertretung zu erschweren bzw. zu behindern“, bedauert Erich Wahl. Deshalb entschloss sich die Bewohnervertretung, gemeinsam mit der Volksanwaltschaft und deren Besuchskommission an die Öffentlichkeit zu gehen.
Situation stellt „einen nicht zu vertretenden und umgehend zu beseitigenden Missstand in der Betreuung“ dar – Maßnahmen könnten sofort umgesetzt werden
Die notwendigen Maßnahmen, wie Intensivbetreuung, spezielle Förderprogramme und externe Strukturen wurden in den Gerichtsbeschlüssen benannt und sind dem Land seit einem halben Jahr bekannt, erfährt BIZEPS.
In den dem Gericht zugänglichen Unterlagen werden Versäumnisse aufgelistet und Verstöße gegen Bestimmungen des Heimaufenthaltsgesetzes penibel dokumentiert. Der Einsatz von Medikamenten in dieser Menge wird anhand von konkreten Beispielen auf unzureichende Betreuung zurückgeführt.
Zur derzeit verschriebenen Medikation heißt es etwa: „Dringlich notwendig ist eine Entwicklungsförderung im Sinne von basaler Förderung, basaler Kommunikation … Es bedarf eines umfassenden längerfristigen Förderkonzeptes (individueller Förderplan, individuelle Förderdiagnostik) – allenfalls unter Einbeziehung einer externen Fachkraft.“
Die Situation stellt „einen nicht zu vertretenden und umgehend zu beseitigenden Missstand in der Betreuung“ dar. Die „derzeit angebotenen und zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmaßnahmen sind nicht ausreichend“, daher werden Aggressionen in manchen Situationen aus purer Langeweile gesetzt. Es fehlt ein professionelles Betreuungskonzept.
Laut Bewohnervertretung könnten bei entsprechendem Willen des Trägers – nämlich des Landes Salzburg – die Maßnahmen sofort umgesetzt werden.
Ein barrierefreier Neubau – wie von der Politik angekündigt – ist für die Bewohnerinnen und Bewohner im Vergleich zur jetzigen Situation sicher von Vorteil, löst aber nicht die aktuellen strukturellen Versäumnisse in der Einrichtung und ist auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention kritisch zu sehen, teilt VertretungsNetz abschließend BIZEPS mit.
Otto Westreicher
11.03.2016, 10:17
Die einzige Möglichkeit, um das menschenunwürdige System in Österreich zu kippen, sehe ich, als Mitglied des Monitoringausschusses für Tirol, dass der Klagsverband endlich eine Klage unterstützt, es wird sich sicher eine einzelne Person in den Heimen finden, die sich diskriminiert fühlt: SELBSTBESTIMMTES LEBEN UND INKLUSION IN DER GEMEINSCHAFT (ART. 19) 37. Sicherstellung, dass die Bundes und die Landesregierungen ihre Anstrengungen verstärken, die DeInstitutionalisierung voranzutreiben und Personen mit Behinderungen die Wahl ermöglichen, wo sie leben wollen. 39. Der Ausschuss empfiehlt, dass Ö sicherstellt, dass die Programme persönlicher Assistenz ausreichende finanzielle Unterstützung bieten, um zu gewährleisten, dass eine Person selbstbestimmt in der Gemeinschaft leben kann. ebenso Programme persönlicher Assistenz harmonisieren und erweitern soll, indem er persönliche Assistenz allen Personen mit intellektuellen und psychosozialen Behinderungen zur Verfügung stellt.
Ebenso:FREIHEIT VON FOLTER UND GRAUSAMER, UNMENSCHLICHER ODER ERNIEDRIGENDER BEHANDLUNG ODER STRAFE (ART. 15) 33. Empfehlung, dass die Verwendung von Netzbetten,
Fixierungen und anderen nicht einvernehmlichen Praktiken abschafft, die bei Personen mit intellektuellen,
psychischen und psychosozialen Behinderungen in psychiatrischen Spitälern und Einrichtungen eingesetzt
werden.Darüber hinaus, dass die Schulung von medizinischen Fachkräften und von Personal in Pflege- und anderen ähnlichen Einrichtungen über die Verhütung von Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe entsprechend den Vorkehrungen im Übereinkommen fortsetzt.
usf.:
bernhardjenny
10.03.2016, 21:00
das ist wirklich unbegreiflich, wie passiv sich hier die unverantwortlichen verhalten!!!
https://bernhardjenny.wordpress.com/2016/02/20/inklusion-ist-sicher-kein-heim/
Otto Westreicher
10.03.2016, 17:43
Die inadäquate Medikation durch Psychopharmaka in Heimen, psychosozialen Einrichtungen und Psychiatrien ist eine Menschenrechtsverletzung durch Einschränkung der Lebensqualität, der persönlichen Freiheit, der Würde und begleitet von psychischen und physischen Schäden, die sogar tödlich verlaufen können; die Gründe dafür liegen vor allem in strukturellen Defiziten und Organsiationsmängeln (Personal,Tagesablauf, etc.)
und muss als Verletzung ethischer Prinzipien und als Instrumentalisierung der Menschen gewertet werden. Das strenge Heimaufenthaltsgesetz und Unterbringungsgesetz schützen eigentlich die Betroffenen vor solchen schweren Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte und Freiheitsrechte, indem vor allem zuerst gelindere Mittel, Alternativen anzuwenden sind. Die Realität sieht anders aus: Besonders in der Nacht oder an Wochenenden: Wieviel Personal ist für die Betreuung von Menschen mit schweren Behinderungen bzw. multimorbiden PatientInnen da? Betreuungsschlüssel 1:40??) Die Verantwortung für die Qualität der Betreuung besteht neben einer gesamt-gesellschaftlichen und politischen Verantwortung auch in der Verantwortung der Heimbetreiber bzw. der Geldgeber, um Arbeitsbedingungen für Pflegende, Ärzte und Betreuer zu schaffen, die es ihnen möglich macht ihrem Ethos entsprechend pflegen mit Zuwendung betreuen können, und den Bedürfnissen der Menschen nach Würde und Selbstbestimmung entsprechen. Diese alternativen
Konzepte zu fördern, in denen der Mensch und seine Vorstellungen im Vordergrund stehen, ist die Herausforderung, die sich die Länder unter Einbindung der Betroffenen! stellen muss. Inklusion und De-Institutionalisierung sind die Vorgaben der UN-Konvention, sind auch im nationalen Aktionsplan Menschenrechte enthalten. Das Ruhigstellen ist eine verachtenswerte, menschenunwürdige Vorgehensweise gegenüber Personen, die sich nur sehr schwer äußern und wehren können.