Bilderwerfer: DAILY SECRETS

Wir, die ZuschauerInnen warten vor verschlossener Türe. Es ist schon nach 20 Uhr. Ein Mann spricht. Es wird kaum Sesseln geben, wir können im Raum umher gehen, sagt er und die Türe öffnet sich.

Aufführung der Bilderwerfer
Anguera de Sojo, Maria

Wir treten ein, gehen in den Raum und schauen. Tägliche Geheimnisse um uns, verpackt in Cellophan, hinter Jalousien, auf Rollstühlen, in düster beleuchteten Ecken, entlang an den Wänden …

Behinderte und nicht behinderte Körper, sexuelles Verlangen, um zu erobern, sich erobern zu lassen oder durch den Wunsch stimuliert zu werden.

Sexualität mit sich, dem eigenen Körper, mit Barbiepuppen, mit anderen Körpern; mit Körpern, die der gängigen Norm entsprechen und mit Körpern, die wir behindert nennen. Exotische Früchte in Rollstühlen, Tanzperformance auf Krücken, Erotik in Windeln.

Sexualität als Sprache des Körpers, machtvoll und dominant, zärtlich und frei schwebend – erotisierend. Tägliche Geheimnisse um mich, tägliche Geheimnisse in mir. Schon lange bin ich nicht mehr ausschließlich Zuschauerin, ich wirke auf der Bühne, kommuniziere, trete in Aktion und kartographiere meine Landschaft der Fleischeslust.

Vieles berührt mich. Darf es mich berühren? Warum bin ich berührt? Was berührt mich? Plötzlich ein Schauer der Erregung. Ich fange wieder zu analysieren an: Warum? Was steckt dahinter? Ist mein Verhalten passend? Merken es die anderen? Ich durchforste meine Landkarte der Fleischeslust und meinen Normen- und Wertekodex. Ich interpretiere laufend.

Eine Vielzahl an Szenen, Choreographien, Reden und Gesten, unterschiedliche Begegnungen … Wer ist Performer, wer nicht? Eine neue Szene, ich fühle Abwehr, Schrecken und Verunsicherung. Wieder Neues! Belustigung macht sich in mir breit. Ein ständiger Wechsel meiner Stimmungen und Gefühlsregungen inmitten der Performance.

Ich objektiviere, deformiere, verdingliche Menschen Kraft meiner Begierde, meiner eigenen Körpererfahrungen und meiner (sexuellen) Ideale öffentlich vor Performers und vor ZuschauerInnen, die längst nicht mehr – so wie ich – nur ZuschauerInnen sind.

Wir agieren, sind selbst Akteure, wir sind die, die Körper attraktiv, erschreckend, erotisch oder langweilig machen. Das Verhältnis von Sexualität und (behinderter) Körper ist keine Frage der Darstellung allein.

Die Wahrnehmung eines Körpers ist oftmals mächtiger als dieser selbst. Sexualität, Körper und Behinderung stehen im sozialen Kontext, entstehen durch unsere Interaktionen und Übertragungen.

Meinen sexuellen Idealen stelle ich nicht nur meine eigenen Körpererfahrungen gegenüber, sondern auch Körper mit Behinderung(en). Ich erzeuge neue „Besonderheiten“, neue Geheimnisse und gehe mit einer veränderten Bewußtheit in den nächtlichen Alltag. Applaus und Danke.

Anmerkung: Die Tanz/Performancegruppe „Bilderwerfer“, die aus behinderten und nichtbehinderten KünstlerInnen besteht, erarbeitete daß Stück „Daily Secrets“, das im Oktober 1998 im Wiener dietheater Künsterhaus sehr erfolgreich lief.

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