Bittere Pille des Deutschen Apotheker Verlages

"Barrierefreiheit? Das sagt mir jetzt gar nichts", so ein Verantwortlicher des Deutschen Apotheker Verlages im Interview. Wie schlecht darf ein Internetangebot in Bezug auf Barrierefreiheit in Deutschland im Jahr 2010 noch sein?

Geldscheine und Tabletten
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„Seit 2001 versorgt der Deutsche Apotheker Verlag mit seinem Portal www.apotheken.de die Besucher mit aktuellen Notdienstplänen, einer Rezept-Vorbestellung und einem Arzneibringdienst. Nach acht Jahren sei es Zeit, frischen Wind in die Website zu bringen, so die Meinung der Betreiber“, ist einem entsprechenden Artikel von Sebastian Böttger und Jörn Steinhauer beim „t3n-Magzin“ zu entnehmen.

Dieser Schritt ist natürlich zu befürworten, ebenso wie die Ankündigung, dass bei der Überarbeitung des Angebotes „auf aktuelle Technologien“ gesetzt werde.

Bedeutung der Seite

„Die Website umfasst alle wichtigen Informationen von rund 21.500 Apotheken und mehr als 6.000 Fachartikel“, ist im oben erwähnten Artikel zu lesen. Kurzum: Bei www.apotheken.de handelt es sich um ein wichtiges Angebot, das sich an eine große Öffentlichkeit richtet.

Wie steht es um die Barrierefreiheit?

Fast noch spannender als der Artikel zur Überarbeitung der Homepage sind die zahlreichen Kommentare, die sich in der Zwischenzeit unter dem Artikel angesammelt haben.

Grundtenor anhand von vielen Beispielen: Warum ist die Seite so schlecht und nicht barrierefrei? Zur Klarstellung: Die Kritik bezieht sich nicht auf kleine Fehler hier oder dort, sondern auf die Tatsache, dass die grundlegendsten Anforderungen an Barrierefreiheit von Internetangeboten zur Gänze ignoriert wurden.

Barrierefreiheit nur ein freundliches Entgegenkommen?

Wirklich bemerkenswert sind folgende zwei Kommentare einer Person, die anscheinend Hintergrundwissen zur Überarbeitung der Seite preisgab: „Barrierefreiheit war explizit nicht gefordert, da es Designanforderungen gab, die höher gewichtet wurden.“ sowie „Der Auftraggeber hat kein zusätzliches Budgets zur Verfügung gestellt, um die Inhalte a) barrierefrei zu gestalten, b) auf Barrierefreiheit zu prüfen.“

Recht schnell entspann sich in den Kommentaren die Frage, ob dies nicht eine Diskriminierung sei bzw. sogar gesetzwidrig ist. Die Bandbreite der Ansichten ist insoweit interessant, als die einen Barrierefreiheit als Recht sehen, die anderen als allfällige Zusatzaufgabe.

„Barrierefreiheit? Das sagt mir jetzt gar nichts“

„Barrierefreiheit? Da bin überfordert. Das sagt mir jetzt gar nichts“, erklärte Herr Curkovic, Vertretung des in Urlaub befindlichen Projektleiters, Dr. Hermann Vogel, ganz offen im Rahmen der telefonischen kobinet-Anfrage und bat um die Möglichkeit, zurückrufen zu dürfen.

Wenige Minuten später meldete sich der Technische Leiter, Herr Steinhauer, und bestätigte, dass die Barrierefreiheit „in der Phase 1“ keine Anforderung gewesen sein. Dies vor allem, weil sie „nicht umfassend erreichbar gewesen wäre“ und sie „in Deutschland nicht verpflichtend sei“.

Man habe sich daher entschlossen, Barrierefreiheit „erst mal nicht zu berücksichtigen“, denn man möchte „wenn barrierefrei, dann aber richtig“ sein, hielt er im Gespräch fest und kündigte an, dass Barrierefreiheit aber „in Phase 2“ erreicht werde. Als Zeithorizont gab er auf Nachfrage an: „Vermutlich April und Mai“

Verwunderlich

„Ich finde es verwunderlich, dass man auch 2010 noch glaubt, Barrierefreiheit könne man im 2. Durchgang – falls es denn einen solchen geben sollte – aufpropfen, etwa wie bei der Veredelung von Bäumen. Zugänglichkeit muss bekanntlich in die Planungsphase einfließen. Kein Architekt würde allen Ernstes nach Aufsetzen des Dachstuhls überlegen, ob das Haus vielleicht einen Lift benötigt hätte“, meint Eva Papst, Expertin für barrierefreies Internet und Vorsitzende von accessible media, zu dem Vorfall.

Doch sie lenkt die Aufmerksamkeit noch auf einen anderen Punkt: „Noch erstaunlicher finde ich, dass man die vorrangige Zielgruppe (behinderte, kranke und ältere Menschen) nachrangig sieht und sich auf eine Gesetzesdebatte zurückzieht, wo es doch nicht um Gesetzestreue, sondern um den Dienst am Kunden geht.“

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