BIZEPS: Erhält Österreich nun eine moderne Behindertenpolitik?

Bei der Durchsicht des umfangreichen Regierungsprogramms "Aus Verantwortung für Österreich." von ÖVP und GRÜNEN fallen interessante Punkte auf; allerdings auch manche Stellen, die vage und mutlos wirken.

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Wie bei jeder neuen Regierung hat BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben als Interessensvertretung jene Stellen des Regierungsprogramms zusammengeschrieben, die für behinderte Menschen von besonderem Interesse sind. Auch eine erste kompakte Bewertung stellen wir hiermit zur Verfügung:

Das menschenrechtliche Fundament passt, aber …

„Es fällt positiv auf, dass Behindertenpolitik in dem Programm als Querschnittmaterie gesehen wird“, so BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter. Dies sei begrüßenswert, weil in der Vergangenheit häufig der Fehler begangen wurde nur an einer Stelle ein Kapitel „Menschen mit Behinderung“ einzufügen und ansonsten Menschen mit Behinderungen nicht mitzudenken.

An mehreren Stellen im aktuellen Regierungsprogramm wird festgehalten, dass Maßnahmen zur Inklusion gesetzt werden müssen. Basis dafür sollen die UN-Behindertenrechtskonvention sowie die Umsetzung „bedarfsgerechter Finanzierung“ eines Nationalen Aktionsplans (NAP) sein.

„Dies kann man sicherlich als Fundament einer modernen Behindertenpolitik sehen“, hält Ladstätter vom Behindertenberatungszentrum BIZEPS erfreut fest und verweist ergänzend auf die Notwendigkeit der Partizipation mit der Zivilgesellschaft, die leider nur mitgemeint sein dürfte, sich aber im Regierungsprogramm unzureichend widerspiegelt.

… in den Details teilweise vage und mutlos

 „Allerdings – und dies sind die Schattenseiten des nun vorliegenden Programms – gibt es eine Reihe von Passagen, die sehr vage und mutlos formuliert sind, dass erst die Zukunft zeigen wird, ob es substantielle Fortschritte gibt.“

Wie schon in früheren Regierungsprogrammen wird erwähnt, dass bundeseinheitliche Rahmenbedingungen zur Persönlichen Assistenz erarbeitet werden sollen. „Diese schwache Formulierung fällt negativ auf, weil unklar ist ob es wirklich umgesetzt wird. Genauso irritiert, dass die Schaffung eines Inklusionsfonds nur geprüft werden soll, obwohl die Notwendigkeit völlig unbestritten ist“, hebt Martin Ladstätter hervor.

Der Bereich inklusive Bildung zeigt deutlich das Ringen zweier Parteien, die aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Das Ergebnis ist dementsprechend vage und umfasst Worthülsen wie „Weiterentwicklung“, „Überarbeitung“ oder „Stärkung“. „Wer im Regierungsprogramm die menschenrechtskonforme Umsetzung der Inklusion im Bildungsbereich und auch die konkreten Schritte dahin sucht, der wird nicht fündig“, kritisiert Ladstätter.

An einigen Stellen (Weiterentwicklung der Pflegegeldzuerkennung, Reform des Maßnahmenvollzugs, Erarbeitung von Umsetzungsschritten von Taschengeld zu Lohn, Lohnkostenförderung, Stärkung sozialökonomischer Betriebe, Pflegeversicherung, OneStop-Shop für Hilfsmittel uvm.) zeigt sich jetzt schon, dass die konkrete Umsetzung erst erarbeitet werden muss.

Hier werden erst die nächsten Jahre und die dafür notwendigen Gesetzesänderungen zeigen, ob aus Worthülsen interessante Punkte werden.

Fazit: Ein inhaltlicher Fortschritt

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das vorliegende Regierungsprogramm in manchen Bereichen deutlich Luft nach oben gehabt hätte. Im Vergleich zum ÖVP-FPÖ Programm 2017 sowie dem Programm SPÖ-ÖVP 2013 ist es allerdings ein inhaltlicher Fortschritt“, analysiert Ladstätter abschließend.

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7 Kommentare

  • Lieber Martin!
    Mir ist es lieber die neue Regierung verspricht wenig und erfüllt dann vielleicht mehr als wir uns als Menschen mit Behinderung erhoffen.
    Frühere Regierungen haben viel versprochen und wenig umgesetzt.
    Wir werden auch weiterhin die Politiker auf unsere Anliegen aufmerksam machen müssen.
    Dir und Deiner Familie wünsche ich ein Gutes und vor allem gesundes 2020. Danke das Du unermüdlich für unsere Gruppe eintrittst.

  • Das Wort Inklusion im Regierungsprogramm ist sehr gut und wichtig, jedoch das Wort „Behinderung“ sollte durch „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ ersetzt werden.

    • „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ ist keine gute Bezeichnung für behinderte Menschen bzw. Menschen mit Behinderung. Auch Menschen, die nicht behindert sind, haben „besondere Bedürfnisse“. Diese Bezeichnung ist schon ein Unwort in der Behinderten-Szene geworden. Also bitte nicht ins Regierungsprogramm hineinschreiben.

      Ob die neue Regierung den Stellenwert inklusiver Behindertenpolitik ernst nimmt, wird sich weisen. Eine Anlaufstelle bzw. ein Staatssekretariat für diese wichtige Thematik wäre wünschenswert.

  • Das Regierungsprogramm insgesamt scheint unter dem Motto „Alles für die Wirtschaft“ zu stehen und auch der massive Hang zur Expertokratie ist auffallend. Wer sich gerne befürsorgen lässt, wird wohl neue Angebote finden. Wer ein menschenwürdiges Leben auch ohne Zwang bloß ein Teil der Wertschöpfungskette zu sein, wird wenig Positives finden. Eine Bankrotterklärung der Grünen die sich nun voll dem neoliberalen Mainstream unterordnen. Die Sideletters mit dem Postenschacher werden ja wohl nicht öffentlich gemacht …

  • Worin genau besteht dieser inhaltliche Fortschritt?

    • Ich hab das im Vergleich der letzten Programm so bemerkt. Siehe alte Programme: https://www.bizeps.or.at/wissenswertes/bundespolitik/

      Spannend finde ich die angebliche Finanzierung der NAP-Maßnahmen (sowas gab es noch nie). Auch die PA österreichweit „unabhängig von der Art der Behinderung“, Lohn statt Taschengeld, Inklusion (und nicht Integration). Es gibt schon ein paar Dinge, die ein Fortschritt wären – wenn sie kommen.

    • Danke Martin, werde es mir anschauen.