Auf den Artikel "Wiens Talent", monat 2/2004, in dem die Mängel der von den ÖBB neu angekauften Nahverkehrszüge beschrieben wurden, reagierte mit einem Leserbrief Frau Manuela B.
Sie unterstellte der Redaktion mangelnde Sorgfalt, beschrieb ihre eigene Wahrnehmung und behauptete diese Fahrzeuge seien „eine Verbesserung für alle Menschen mit Behinderungen“ (siehe auch Forumsbeiträge zum Artikel „SPÖ beschließt: behindertenfeindliche Fahrzeuge werden mitfinanziert“).
Bedauerlicherweise findet sich die Vorstellung Bs. von dem was Barrierefreiheit sei, und für behinderte Menschen recht und billig, im besten Einverständnis mit dem „Personenverkehr“ der ÖBB, – also im Bereich von „billig“.
Was also ist geschehen: Die von technischen Detailkenntnissen unbelastete Frau B. hat in einer Schnellbahnstation einen Rollstuhlfahrer über eine Rampe in den neuen „Talent“ einfahren und an einer anderen wieder ausfahren sehen. Unterwegs haben sich beide offensichtlich ins WC gezwängt.
Angesichts dieser Erfahrung und der dabei gemachten Wahrnehmungen hätte Frau B. nun einige Fragen – wie zum Beispiel die folgenden – stellen können:
Auf welchen Bahnsteigen wurde das Experiment vorgenommen? (Antwort: Es wurden Stationen mit Bahnsteigen von 55 Zentimeter Höhe ausgewählt. Daher konnte der flotte Rollstuhlfahrer die Behelfsrampen bewältigen. Auf den vielen Bahnsteigen mit anderen Höhen (38 Zentimeter und darunter), die die Wiener Schnellbahn leider auch aufweist, wäre dieses Experiment kläglich gescheitert. Die kleinen Rämpchen wären nutzlos wie dürres Herbstlaub vom Zug gebaumelt).
Wie kann der Spalt von 20 Zentimetern und mehr entschärft werden? (Dieser Spalt stellt nicht nur für Rollstuhlfahrer, sondern auch für gehbehinderte und alte Menschen, aber auch für Kleinkinder eine eminente Gefahrenquelle dar).
Wie kann ein Rollstuhlfahrer in diesem kleinen WC die für ihn so wichtige, individuelle Position zum Umsetzen auf die WC-Schale einnehmen? Je nach Person und Behinderung kann die Stellung zwischen parallel und 90 und mehr Grad zur WC-Schale variieren. Ein WC-Raum in den gerade noch eingefahren, in dem aber nicht mehr gewendet werden kann, ist doch wohl untauglich. Daß dazu auch noch die Türe hinter dem Rücken nur von Akrobaten geschlossen oder geöffnet werden kann, ist schon fast ein nachrangiges Problem. Wie für die vielen Menschen, die Assistenz benötigen, die Hilfsperson in diesem WC Platz finden und arbeiten soll, wurde von Frau B. auch nicht hinterfragt.
All diese Fragen hätte ein kluger, kritischer Kopf gestellt.
Der von Frau B. hat nur einen Leserbrief hervorgebracht, der am Ende die berechtigte Kritik des Autors – stellvertretend für die Mehrzahl behinderter Menschen – mit dem Begriff „Unduldsamkeit“ niederzumachen versucht.
Der letzte Satz Bs. kann mangels Verständnis nicht beantwortet werden. Zitat: „Die Benutzung des TALENT durch behinderte Menschen sollte nicht durch Unduldsamkeit kontakarriert werden“. (konterkarieren: einem in die Quere kommen, einen gegnerischen Versuch durchkreuzen und ausgleichen, auszugleichen versuchen /Fremdwörterlexikon)
Will uns Frau B. sagen, daß der Einsatz des „Talent“ ein gegnerischer Versuch sei, also der ÖBB-Personenverkehr der Gegner behinderter Menschen?
Zum Abschluß: Die im Schreiben erwähnten, wirklich tadellosen Blindenleitsysteme und die Maßnahmen für hörbehinderte Menschen im Bahnhofsbereich sind der Infrastruktur der ÖBB zuzuordnen, die mit dem Ankauf dieser untalentierten Züge aber so gar nix zu tun hat.
(Der Autor dieses Artikels ist seit fast 25 Jahren mit Barriereabbau in baulichen und technischen Bezügen befaßt und hat mit den ÖBB gemeinsam schon in den 80er Jahren Waggons entwickelt, die benutzbare WCs aufweisen.)