Buch: „Ich bin behindert, und Du?“

"Nichts über uns, ohne uns!" - Die Unumgänglichkeit dieses Grundsatzes der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung bestätigt sich bei der Lektüre des Buches "Ich bin behindert, und Du?" einmal mehr.

Buch: Ich bin behindert, und Du?
Wagner Verlag

Bezeichnenderweise heißt der Protagonist Hannes „Fortwill“ und dementsprechend ist bereits der Klappentext für mich als Betroffene „zum Davonlaufen“, wenn ich es könnte. Breitgetretene Vorurteile, die vom Autor mit Einfühlungsvermögen verwechselt werden, führen sicher nicht zum besseren Verständnis der Situation von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft.

Die Hauptfigur des fast hundertseitigen „Romans“ „leide“ an einer infantilen Zerebralparese. „Der Weg zum Eremit ist unausweichlich“, der „einzige Lichtblick“ eine platonische Liebe, natürlich zu jemandem mit der „selben Krankheit“, heißt es da und die lernt der „Romanheld“ natürlich, wie könnte es anders sein, im Wartezimmer eines Spitals kennen.

Ich leide nicht an meiner Behinderung, sondern an solchen Schauergeschichten, die über ein Leben mit dieser verbreitet werden. Dass sich ein nicht behinderter Autor anmaßt, einen inneren Monolog über jemanden in einer Lebenssituation, die er überhaupt nicht kennt, zu verfassen, empfinde ich als ausgesprochen überheblich.

Es mögen die besten Absichten dahinter stehen, da hilft es auch wenig, dass pro verkauftes Buch 2 Euro an den Verband für Spastiker-Eingliederung gehen. Diskriminierung – und dieses Wort verwende ich äußerst sparsam – bleibt Diskriminierung, ob mit oder ohne Absicht. Herr Jelinek sollte selbst die Ansicht seines „Romanhelden“ beherzigen, der feststellt: „[…] man wird oft mit Leuten konfrontiert, die vom tatsächlichen Leben keine Ahnung haben […] das Verständnis und das Einfühlungsvermögen fehlt zum Teil, oder manchmal sogar komplett.“

Hannes Fortwill versinkt am Anfang und Ende dieser Farce in Selbstmitleid mit der Feststellung: „Ich fühle mich in der Gesellschaft der Bienen, Käfer und ähnlicher Lebewesen, egal sogar ob sie lebenig oder tot sind, wohler als in der Menschheit“. Jelineks Fantasien gipfeln sogar darin, dass er meint, Menschen mit meiner Behinderung, die er mit chronischer Erkrankung mit „schlimmem Verlauf“ gleichsetzt, lieber auf einer Insel unter Ihresgleichen leben. Zwischendurch schwenkt er um und plädiert für Integration ab dem Kindergarten.

Ganz nebenbei werden auch der Holocaust und die scheinbare Abhängigkeit vieler Zeitgenossen vom Handy thematisiert. Wie schon erwähnt, gibt es kein Happy End, denn der einzige Lichtblick des Herrn Fortwill stirbt an ihrer tragischen „Krankheit“.

Ich finde es erschreckend, dass sich ein Verlag findet, der so skandalöse Texte in Zeiten der UN-Behindertenrechtskonvention publiziert. Ihm und Herrn Harald Jelinek ist die Lektüre von positiver, teils autobiografischer Literatur behinderter Menschen dringend nahe zu legen (zum Beispiel das kürzlich bei BIZEPS-INFO rezensierte Buch: „entfesselt im Rollstuhl“; ein Kinderbuch: „Meine Füße sind der Rollstuhl“ oder ein Tagebuch: „Mein Dämon ist ein Stubenhocker“ …).

In diesem Buch „stoßen die Ärzte an ihren Horizont“. Ich weiß zwar nicht, wie das geht, aber der Text überschreitet, sowohl sprachlich als auch inhaltlich, die Grenzen des für mich Erträglichen.

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