Buchtip: Lebenskanditaten

"Wir lassen uns nicht begraben, ehe wir tot sind."

In vier Teilen gegliedert, schildert das Buch Grenzerfahrungen und Alltägliches von jungen Menschen mit Behinderung. Deren Leitgedanken auf der Titelseite folgendermaßen beschrieben wird:

Der erste Teil handelt von krebskranken Menschen. Bilder, Texte – hauptsächlich von Bea, einer sehr jungen Frau. Dazwischen Erklärungen von Freundinnen dieser Autorin, die hin und hergerissen von ihren Gefühlen sind. Bea hat die Herausgeberinnen, die Freundinnen, die Ärztinnen des Kinderkrankenhauses Tübingen getäuscht. Sie war gar nicht krank!

Sind die Aussagen der Gedichte und Bilder jetzt falsch? Lassen wir uns nur berühren, weil sie ein leidender, ein betroffener Mensch geschrieben hat? Wie konnte es Bea gelingen, sich so in das Denken und Leiden anderer hineinzufühlen, daß sie genau das in Wort und Bild umsetzen kann, was die anderen umtreibt? Und dies dann noch in einer Form, die Betroffene und Nichtbetroffene rührt. Beas Gedichte erzählen von dem, was in krebskranken Menschen vorgeht, die ahnen oder wissen, daß sie bald sterben müssen und die doch leben wollen.

Wir wissen heute längst, daß fast alle Kinder und Jugendliche um ihr Leben kämpfen, weil sie leben wollen. Das Schwierige ist, daß bei allen Betroffenen Zeiten der Hoffnung und solche der Mutlosigkeit – manchmal extrem rasch – wechseln.

Beas Gedichte und Bilder geben die Botschaft kranker Kinder und Jugendlicher wieder. Zusätzlich kann durch Beas Täuschung und die abgedruckten Reaktionen eine vertiefte Auseinandersetzung zum Umgang mit Diagnose und Krankheit gelingen.

„Zwischen Angst und Hoffnung“ ist der zweite Teil betitelt. Menschen mit Mukoviszidose und manchmal dadurch notwendigen Organtransplantationen beschreiben ihre Lebenssituation. Die Transplantation ist unter Mukoviszidose-Betroffenen erst seit wenigen Jahren ein Thema. An der Auseinandersetzung kommt man heute wahrlich nicht mehr vorbei. Die Beiträge handeln von der schweren Zeit vor der Transplantation, vom Warten auf die Spenderorgane nach der Operation, aber auch von Menschen die sich nicht entschließen können diesen Weg zu nehmen, für die das der allerletzte „Ausweg“ wäre, bzw. von Personen für die diese Möglichkeit zu spät kam.

„Transplantation“ ist ein existenzielles Thema. „Man kann nicht einfach sagen, dann wenn es mir schlecht genug geht, wenn mein krankes Organ kaputt ist, lasse ich mir ein neues einsetzen. Schlecht genug, bedeutet in diesem Fall: So, wie mein Leben jetzt ist, möchte ich nicht mehr weiterleben, es erscheint mir nicht mehr lebens-wert“ Wellendorf, S. 128. Aber wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert?

Gerade chronisch Kranke wissen, daß ihre besondere Fähigkeit darin besteht, sich immer wieder auf einem eingeschränkten Niveau arrangieren zu können und ihr Leben vielleicht oft mehr oder bewußter zu genießen, weil nichts selbstverständlich ist. Vom persönlichen Erleben her läßt sich nicht entscheiden, ob der Sonnenstrahl auf dem Bett eines kranken Menschen nicht genauso viel Glück hervorrufen kann, wie die Sonnenflut auf einer karibischen Insel. In diesen sehr persönlichen Beiträgen wird die Bedeutung klar, daß Bereitschaft und Fähigkeit notwendig sind, um den Sonnenstrahl wahrzunehmen.

Lebenswertes Leben mit Behinderung? Im dritten Teil unter dem Titel „Ein schicker Rolli ist wie eine gute Hose“ kommen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen zu Wort. In einer Wochenenddiskussion wurden alltägliche Erfahrungen und Auseinandersetzungen zu den Themen: Die Abgrenzung behinderter von nichtbehinderten Menschen. Die Frage nach der Abtreibung behinderter Kinder – Leben oder sterben lassen? Die Forschung einfach stoppen? Was bedeutet es für uns, behindert zu sein? Leben um jeden Preis? Leiden an der Behinderung, Glaube und Tod ausgetauscht und in Gesprächsform wiedergegeben.

Ergänzt wird dieser Abschnitt durch Steckbriefe von Heike, Oliver und Helga; erzählt aus ihrem Leben. Einem Leben als Spastikerin mit vielen typischen Stationen. Und von ihrer Freundschaft mit Winnie …

Daß an diesem Wochenende nicht nur in der Diskussionsrunde gearbeitet wurde, zeigt der vierte Teil des Buches. Sogar ein Märchenworkshop hatte noch Platz. Vier Geschichten werden abgedruckt.

Eine sehr schöne Idee, junge Menschen mit verschiedenen Krankheiten und Behinderungen in einem Buch zu Wort kommen zu lassen!

Attempto Verlag

Herausgegeben von Monika Quack-Klemm, Andreas Kersting-Wilmsmeyer und Michael Klemm.

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