Buchtipp: Freie Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz

Können Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen mit einer psychischen Erkrankung, die eine Erwachsenenvertretung benötigen, selbst bestimmen wo sie leben möchten?

Buch: Freie Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz
Linde Verlag

Darüber hat Ilse Zapletal in ihrer Masterarbeit geschrieben. Diese ist nun in der Schriftenreihe der Interdisziplinären Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) veröffentlicht worden.

Aufarbeitung der historischen Entwicklung

Knapp zwei Drittel des Buches widmet die Autorin der historischen Entwicklung der Rechte von Menschen in Österreich, die im Laufe der Zeit von unterschiedlichen staatlichen Institutionen, als nicht selbst entscheidungsfähig beurteilt wurden. Insbesondere hinsichtlich des Rechts über den eigenen Aufenthalt und Wohnsitz zu entscheiden.

Die Rechtsquellen, die sie dazu heranzieht, bieten ausführliche Informationen darüber, wie Menschen mit Behinderungen über die letzten zweihundert Jahre vermutlich mehrheitlich in der Gesellschaft wahrgenommen und dementsprechend behandelt wurden.

Das reicht von der Betrachtung als Objekte und kompletter Fremdbestimmung des Aufenthalts ohne jeglichen Rechtsschutz, über die systematische Ermordung in der Zeit des Nationalsozialismus und anschließend langer Zeit der Vernachlässigung von Reformen durch die Politik, bis zum langsamen und schrittweisen Entstehen von gesellschaftlichem Bewusstsein für die Situation der betroffenen Menschen und damit einhergehenden rechtlichen Zugeständnissen ab Mitte der 1980er Jahre.

Die Rechtslage war aber immer noch weit davon entfernt Menschen mit Behinderungen die selbstbestimmte Wahl von Aufenthalt und Wohnsitz zu ermöglichen. In der Praxis sah es nach wie vor so aus, dass diese, von der Gesellschaft separiert, in Institutionen lebten.

Das Aufzeigen dieser historischen Entwicklung ist meiner Meinung nach sehr wichtig für die Beurteilung der aktuellen Situation, da sich im gesellschaftlichen Bewusstsein festgesetzte Rollenzuweisungen nicht sehr schnell verändern. Da es sich um Muster handelt, besteht die Neigung Kategorisierungen nicht ständig zu hinterfragen und als gegeben hinzunehmen.

Die Situation heute

Das letzte Drittel des Buches gibt Aufschluss über die derzeitige Situation von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit einer psychischen Erkrankung, die eine gesetzliche Vertretung benötigen.

Es bietet einen guten Überblick darüber welche Maßnahmen die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht, um Menschen mit Behinderungen im Allgemeinen ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft, außerhalb von Institutionen, zu ermöglichen.

Dem wird gegenüber gestellt inwieweit Österreich diese Vorgaben bereits in nationales Recht umgesetzt hat. Dabei zeigt sich, dass das Recht auf freie Wahl des Wohnsitzes und Aufenthalts zwar mit dem zweiten Erwachsenenschutzgesetz gewahrt ist, in der Realität aber viele andere Faktoren dies oft erschweren. Beispielsweise Mangel an finanziellen Mitteln für frei gewählten Wohnort und Unterstützung.

Im Fazit am Ende des Buches werden konkrete Vorschläge für Maßnahmen gemacht, die umgesetzt werden müssten, um dies zu ändern. Beispielsweise wohnortnahe und finanzierbare Unterstützungsangebote und leistbarer barrierefreier Wohnraum.

Besonders notwendig wäre dafür die komplexe unübersichtliche Gesetzeslage für Menschen, die Unterstützung benötigen zu vereinfachen und bundesweit einheitlich zu gestalten.

Fazit

Ilse Zapletal gibt mit dem vorliegenden Buch einen ausführlichen Überblick über die rechtliche Situation in Österreich in Bezug auf ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen. Dabei wird deutlich, wie komplex und unübersichtlich die derzeitige Situation ist.

Die Autorin fügt immer wieder Exkurse zwischen die Aufarbeitung der, recht trockenen und für Laien nicht leicht verständlichen, Rechtsmaterie. Dabei handelt es sich unter anderem um Zeitzeugendokumente über die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen in der jeweiligen Zeit und um Berichte über das Publikwerden von Missständen, das meist notwendig war um die Politik zum Handeln zu bewegen.

Die Gliederung der Kapitel ist etwas unübersichtlich gestaltet. Von Vorteil ist in diesem Fall, dass die wichtigsten Aussagen immer in kurzen Zwischenfazits am Ende der Kapitel zusammen gefasst sind.

Etwas verwunderlich ist, dass im gesamten Buch Menschen mit Lernschwierigkeiten als Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung bezeichnet werden. Des Weiteren wird im Vorwort, das nicht von der Autorin verfasst wurde, der Begriff Menschen mit besonderen Bedürfnissen als aktuelle Terminologie dargestellt. Richtigerweise heißt es Menschen mit Behinderungen. 

Sympathisch finde ich die Widmung „Für uns“ am Anfang des Buches. Diese verdeutlicht, dass die Gestaltung unseres Zusammenlebens, im gegebenen Fall durch Gesetze, uns alle betrifft. Selbst wenn gewisse Regelungen explizit eine Gruppe von Menschen betreffen, haben sie dennoch Einfluss auf die Qualität unser aller Leben.

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