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Bundeskanzleramt: „Versuchen Sie es bitte später noch einmal“

Das Internet gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Dieser Satz ist nicht neu; doch hat er auch Konsequenzen? Das Bundeskanzleramt ist zuständig, aber anscheinend hoffungslos überfordert.

Barrierefreies Internet ermöglicht behinderten Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen. Daher ist es seit vielen Jahren das Ziel, behinderte Menschen nicht von der digitalen Informationsrevolution auszuschließen. Auch Verpflichtungen wurden in verschiedenen Gesetzen beschlossen. Doch die Realität sieht düster aus.

Heute, am 12. Mai 2007, begrüßte das Bundeskanzleramt die Besucherinnen und Besucher mit „Wir bedauern! Die von Ihnen gewählte Seite ist zur Zeit nicht erreichbar. Versuchen Sie es bitte später noch einmal.“

Dies wird keine großen Reaktionen hervorrufen. Einerseits ist heute Samstag und andererseits ist der Internetauftritt des Bundeskanzleramtes sicherlich sehr bald wieder uneingeschränkt verfügbar.

Ganz anders sieht es natürlich für behinderte Menschen aus. Sie haben bei vielen Internetangeboten des Bundes massive Nutzungseinschränkungen und auch wesentliche Angebote sind teils sogar unbenutzbar. Wer aber meint, dass dies umgehend behoben wird, der irrt.

Hier ein Rückblick auf bald neun Jahre, in denen behinderte Menschen benachteiligt werden. Für diesen Bereich ist kompetenzrechtlich das Bundeskanzleramt verantwortlich und daher säumig.

1999: Standards wurden geschaffen

Eine internationale Organisation – das World Wide Web Consortium (W3C) – hat im Jahr 1999 eine Richtlinie für barrierefreies Internet veröffentlicht. Diese „W3C Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG 1.0)“ – auch WAI-Leitlinien genannt – ist seither international anerkannt und in vielen Staaten dieser Erde als Maßstab der Gesetzgebung herangezogen worden.

Seit spätestens 1999 ist also klar, wie barrierefreies Internet auszusehen hat.

Die Initiative eEurope ist im Dezember 1999 von der Europäischen Kommission präsentiert worden, mit dem Ziel, bis 2001 barrierefreie Webangebote in den Mitgliedsstaaten anzubieten.

Mit ihrer Hilfe sollen die Vorteile der Informationsgesellschaft allen Europäerinnen und Europäern zugute kommen. Das Ziel wurde nicht erreicht. Österreich hat damals dieses Ziel auch in keinster Weise Ernst genommen.

2000: eEurope 2002 beschlossen

Der darauf folgende eEurope 2002 Aktionsplan, von den Staats- und Regierungschefs in Feira (Juni 2000) verabschiedet, legte ein Konzept vor, mit dem das Ziel von eEurope noch – wenn auch verspätet – erreicht werden kann.

Mit der Zunahme elektronischer Behördendienste (E-Government) wächst aufgrund technischer Hindernisse die Gefahr einer ernsthaften sozialen Ausgrenzung, die diesen Bevölkerungsgruppen die Nutzung des Internets erschwert, so schrieb die EU-Kommission damals in einer Aussendung. „Daher müssen Maßnahmen ergriffen werden, um diese Hindernisse aufzudecken und zu beseitigen“, erklärte Erkki Liikanen, EU-Kommissar für die Informationsgesellschaft.

2002: Umsetzungsbericht in Österreich

Das Bundeskanzleramt erstellte im Jahre 2002 erstmals einen „Bericht über die Umsetzung der WAI-Leitlinien„. Erwartungsgemäß wurde festgestellt, dass viele Web-Angebote der Ministerien noch nicht barrierefrei zugänglich sind. Häufig gibt es Beteuerungen, dass eine Barrierefreiheit angestrebt wird und diese bald erreicht werden sollte.

„Die Übernahme der Leitlinien hätte in den Mitgliedstaaten laut Aktionsplan bereits ab 1.1.2002 erfolgen sollen“, wird im Bericht kritisch angemerkt.

Auch die Qualität wird besprochen. Teilweise wird nur das absolut niedrigste Umsetzungsniveau – nämlich „A“ (das höchste ist „AAA“) – erreicht. Dies ist so, als würde man in Ermangelung einer ordentlichen Rampe einfach ein Holzbrett an Stufen anlegen.

Vorsichtig – aber doch deutlich – wird daher im Bericht formuliert: „Alle, ab 2002 neuen entwickelten Inhalte auf Bundesebene sollten daher A-Niveau aufweisen. Langfristig sollten die Konformitätsstufe AA bis AAA für den gesamten Web-Bestand angestrebt werden.“ Der Absatz zeigt das damalige Bewusstsein – oder eigentlich genau genommen das Fehlen des selbigen – deutlich. Den Ministerien wird nahe gelegt, doch bitte zumindest NEUE Seiten minimalst zugänglich zu gestalten. Aber man wies wenigstens gleichzeitig darauf hin, dass als Ziel „AA“ bzw. „AAA“ umzusetzen sind.

Um zu erkunden, inwieweit sich die Bundesministerien an die internationalen Standards von barrierefreien Webseiten halten, hat die Abg.z.NR Theresia Haidlmayr (GRÜNE) im Jahr 2002 eine Anfragenserie gestartet.

Dies wird im Umsetzungsbericht gewürdigt und dazu festgehalten: „Die parlamentarische Anfrage an alle BundesministerInnen und den Bundeskanzler zur barrierefreien Gestaltung der Webangebote im April 2002 hat auf technischer Ebene zu einer erneuten Sensibilisierung geführt.“

Der Bericht zeigt sich an manchen Stellen aber auch optimistisch, wenn er beispielsweise anführt: „Viele Bundesministerien streben mittel- bis langfristig eine Umsetzung der WAI-Leilinien auf AA- und AAA-Level an. … Nach bisherigen Angaben, sollten alle Ressorts die komplette Umsetzung bis spätestens Ende 2003 durchgeführt haben.“

2003: e-Government Gesetz

Im ÖVP-FPÖ Regierungsprogramm aus dem Februar 2003 wird die „Ermöglichung eines barrierefreien Zugangs zum e-government“ festgeschrieben. Dieses Ziel klingt gut, doch spielte es in der Praxis keine Rolle.

Wenige Monate später legt die Regierung einen „Entwurf eines e-Government Gesetzes“ vor, der diskriminiert. Die Behindertenbewegung ist ziemlich verärgert und erst im Verfassungsausschuss, knapp vor Beschlussfassung kann erreicht werden, dass zumindest folgender Satz ins Gesetz aufgenommen wird: „Bei der Umsetzung der Ziele dieses Bundesgesetzes ist Vorsorge dafür zu treffen, dass behördliche Internetauftritte, die Informationen anbieten oder Verfahren elektronisch unterstützen, spätestens bis 1. Jänner 2008 so gestaltet sind, dass internationale Standards über die Web-Zugänglichkeit auch hinsichtlich des barrierefreien Zugangs für behinderte Menschen eingehalten werden.“

Um es zu verdeutlichen: Österreich hätte im Jahr 2002 gemäß der mitunterstützten Initiative bereits eEurope nur mehr barrierefreie Internetangebote des Bundes haben sollen. Nun schreibt man in ein Gesetz, dass dies erst im Jahr 2008 (!) der Fall sein soll.

Für die Opposition sei hier die SPÖ-Behindertensprecherin, Mag. Christine Lapp, zitiert. Sie kritisiert: „Die lange Übergangsfrist, die gegen behinderte Menschen eingeführt wurde, ist ein Punkt, gegen den die SPÖ auftritt.“

2004: Umsetzungsbericht in Österreich

Im vom Bundeskanzleramt erstellten „Bericht über die Umsetzung der WAI-Leitlinien in Österreich“ wird u. a. auf diese Verpflichtung hingewiesen: „Seit dem 1.3.2004 ist das E-Government-Gesetz in Kraft. Mit dem Gesetz werden geeignete rechtliche, technische und organisatorische Rahmenbedingungen für die elektronische Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Behörden geschaffen. Zu einer dieser Rahmenbedingungen zählt der barrierefreie Zugang behinderter Menschen zu Webinhalten der öffentlichen Verwaltung. Konkret wird in §1 (3) die Web-Zugänglichkeit von behördlichen Internetauftritten festgelegt, die bis 1.1.2008 nach internationalen Standards der Webzugänglichkeit umzusetzen ist.“

Auch wenn Fortschritte erkannt werden, wird resümiert: „Die Umsetzung der WAI-Leitlinien muss bis dahin mit noch grösserem Engagement als bisher verfolgt werden.“

2005: Behindertengleichstellungsgesetz

Das Behindertengleichstellungsgesetz hält fest, dass auch Internetseiten barrierefrei zu sein haben.

„Das Vorliegen von Barrierefreiheit ist nach dem Stand der technischen Entwicklung zu beurteilen. Herangezogen werden dafür können beispielsweise die einschlägigen ÖNORMEN in den Bereichen Bauen und technische Ausstattung sowie die WAI-Leitlinien betreffend Angebote im Internet“, ist den Erläuterungen zum Gesetz zu entnehmen.

2006: Schlichtungen

Wegen nicht barrierefreier Intenetseiten werden von behinderten Menschen Schlichtungen – als Vorstufe zu einer allfälligen Klage gemäß Behindertengleichstellungsgesetz – eingeleitet.

Das Bundeskanzleramt hat seit dem Umsetzungsbericht 2004 keine sichtbaren Aktivitäten mehr gesetzt und das Thema „barrierefreie Internetseiten des Bundes“ in den letzten drei Jahren völlig verschlafen, obwohl es dafür zuständig gewesen wäre.

2007: Regierungsprogramm

Im aktuellen Regierungsprogramm von SPÖ und ÖVP wird – zum wiederholten Male – ein Ziel festgehalten: „Grundsätzlich soll jeder Bürger bei jeder Gemeinde Zugang zu jeder Form von e-government auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene haben.“

Das Bundeskanzleramt beginnt sich langsam wieder an die vor Jahren festgeschriebene Verpflichtung zu barrierefreien Internetseiten zu erinnern.

Staatssekretärin Heidrun Silhavy (SPÖ) hat diesem Projekt „höchste Priorität eingeräumt, damit die Selbstverpflichtung des Bundes, die geeigneten und konkret erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, diesen Menschen den Zugang zu den Leistungen und Angeboten der staatlichen Verwaltung zu ermöglichen, raschest umgesetzt wird„, ist ihrer Aussendung zu entnehmen.

Am 9. März 2007 lud das Bundeskanzleramt zu einer ganztägigen Veranstaltung unter dem Titel „Kick Off – Barrierefreiheit 2007“. Das Ziel war eine „gemeinsame Initiative zur Erhebung der Barrierefreiheit von öffentlichen Internetangeboten der Bundesverwaltung“. Diese Erhebung wurde von der zuständigen Plattform auf Bundesebene am 21. Februar 2007 beschlossen und ist – nach 2002 und 2004 – die dritte dieser Art in Österreich.

„Etwas abweichend zu anderen Workshops und Veranstaltungen, an denen ich bisher schon mitgewirkt habe, war eine offenbar andere Schwerpunktsetzung als üblich bei den Fragen“, zeigt sich Eva Papst, Obfrau von „accessible media“ erstaunt und erläutert: „So stand als dominierende Frage im Vordergrund: Müssen wir wirklich und wenn ja, in welchem Umfang?“

Auch die Opposition befürchtet, dass die Regierung säumig ist. Abgeordnete Theresia Haidlmayr (GRÜNE) hat angekündigt, wieder eine Anfrageserie an die einzelnen Ministerien zu starten.

2008: Endlich barrierefrei?

Knapp neun Jahre nach Einführung von internationalen Standards für barrierefreie Internetseiten bleibt zu befürchten, dass in Österreich – trotz einiger positiver Beispiele wie dem Auftritt des Sozialministeriums oder wien.at – eine Vielzahl der Bundes- und Landesangebote im Internet nicht barrierefrei sein werden.

Weil es erwartbar – eigentlich vorhersehbar – ist, hier eine abschließende Bemerkung: „Nein, nach neun Jahren ist die Verpflichtung zu barrierefreien Internetseiten nicht überraschend gekommen. Sie wurde einfach nur verschlafen.“

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