Bundespflegegeldgesetz: Was sagen die Parteien dazu?

Muskel Aktiv befragte die Behindertensprecherinnen und Behindertensprecher zum Bundespflegegeldgesetz.

Fragen rund ums Bundespflegegeldgesetz
Scharl, Magdalena

Unsere Fragen:

  1. Ihre Einschätzung des Bundespflegegeldgesetzes. Entspricht es den Bedürfnissen der betroffenen Menschen? Kann mit einem Stundensatz von cirka S 40,– der Pflegeaufwand bedarfsgerecht gedeckt werden?
  2. Welche Schwachstellen des derzeitigen Gesetzes sollten in der 1. Novelle beseitigt werden?
  3. Welche Punkte der Verordnung des BMAS sind nicht bedarfsgerecht? Wo liegen die Schwachstellen des § 15a Vertrages?

NR Mag. Walter Guggenberger (SPÖ):

Das Bundespflegegeldgesetz schließt eine der letzten großen Lücken des Systems unserer sozialen Sicherheit.

Daß der deutsche Arbeitsminister Blüm seinem österreichischen Ressortkollegen Josef Hesoun zu dieser beispielhaften sozialpolitschen Errungenschaft gratuliert hat, beweist einmal mehr, die internationale Vorbildlichkeit unserer Regelung.

Dennoch räume ich gerne ein, daß mit den Geldleistungen nach diesem Gesetz der Pflegeaufwand nicht zur Gänze abgedeckt wird. Dies hätte einen finanziellen Aufwand erfordert, der ganz erheblich über den acht Milliarden Schilling jährlich liegen würde, die für das Bundespflegegeldgesetz aufzubringen sind.

Eine Schwachstelle des Gesetzes liegt sicher darin, daß vorerst lediglich auf das Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 und 2 ein Rechtsanspruch besteht. Mangels richterlichen Personals beim Arbeits- und Sozialgericht können daher Rechtsmittel bis auf weiteres (1.1.1997) nur beschränkt eingebracht werden.

Leider war es nicht möglich, bundesweit geltende Qualitätsstandards für ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtungen zu verankern. Dies hätte eindeutig den Intentionen der Bundesregierung entsprochen.

NR Dr. Gottfried Feurstein (ÖVP):

Das Pflegegeld bildet einen Beitrag zur Abgeltung der pflegebedingten Mehraufwendungen, um pflegebedürftigen Personen ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu ermöglichen.

Eine volle Abdeckung des Pflegeaufwandes ist dadurch nicht möglich.

Die pflegebedürftigen Personen erhalten aber zusätzliche finanzielle Mittel zur Finanzierung dieser Kosten, und zwar bis zur Höhe von S 20.000,– monatlich.

Die Vollziehung dieses Gesetz wird durch eine wissenschaftliche Untersuchung begleitet. Inhalte einer künftigen Novellierung, deren Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden kann, werden die Ergebnisse dieser Studie sein, sowie Erfahrungen bei den Betroffenen und bei den Institutionen, die für die Vollziehung des Gesetzes zuständig sind.

Eine wesentliche Schwachstelle bei der Koordinierung zwischen dem Bund und den Ländern bilden derzeit die beabsichtigten Änderungen bei der Gewährung von Landes-Blindenbeihilfen. Ich bedauere es sehr, daß einzelne Länder die Absicht verbreiten, diese Leistungen zu kürzen. Ich werde alles unternehmen, daß die Landes-Blindenbeihilfen ohne Einschränkungen parallel zum Bundespflegegesetz gewährt werden.

NR Dr. Helene Partik-Pable (FPÖ):

Seit 1986 kämpfen Behinderte um ein Pflegegeldgesetz. Diesen Kampf habe ich jahrelang unterstützt und mich wiederholt für die Einführung des Bundespflegegeldgesetz ausgesprochen, bevor sich die Regierung endlich damit befaßte. Nun ist das Gesetz endlich da und das sollte eigentlich ein Grund zur Freude sein. Oberflächlich betrachtet ist es das freilich auch. Bei genauerer Betrachtung allerdings offenbaren sich gravierende Mängel.

Wieder einmal wurden Halbheiten als Endprodukt verkauft. Auf die Bedürfnisse der Betroffenen hingegen nahm man kaum Rücksicht.

So ist es mehr als unrealistisch, anzunehmen, daß mit einem Stundensatz von maximal ca. 50 Schilling der Pflegeaufwand bedarfsgerecht gedeckt werden kann. Wie soll ein Behinderter eine Person finden, die seine Betreuung für eine derart geringe Bezahlung übernimmt? Dazu findet eine Anpassung an die Inflation nur bis 1995 statt; danach wird das Pflegegeld de facto noch weniger.

Behinderte Kinder erhalten erst ab dem vierten Lebensjahr das Pflegegeld, wobei übersehen wurde, daß die finanzielle Belastung der Eltern gerade in den ersten Lebensjahren besonders hoch ist. Daher meine ich, daß das Pflegegeld spätestens ab dem zweiten Lebensjahr des Kindes ausbezahlt werden sollte.

Erst durch meinen Protest wurde eine andere, ausgesprochen familienfeindliche Regelung zumindest entschärft: Ursprünglich war vorgesehen, die erhöhte Familienbeihilfe für Familien mit behinderten Kindern vollständig in die Pflegevorsorge einzurechnen. Nun, nach meinem vehementen Einspruch, wird nur die Hälfte eingerechnet.

Was den Rechtsanspruch betrifft, so besteht ein solcher derzeit nur für die ersten zwei Stufen des Pflegegeldes. Jene, die höher eingestuft wurden, haben somit erst am 1.1.1997 die Möglichkeit, gegen ihre Einstufung Rechtsmittel zu ergreifen. Auch die Finanzierung des Gesetzes ist nicht in unserem Sinne: Statt durch Umstrukturierungen oder Einsparungen wird wieder einmal der Steuerzahler zur Kasse gebeten, um die Pflegevorsorge zu finanzieren.

All diese Schwachpunkte des Gesetzes sollten in der ersten Novelle beseitigt werden. Sowohl ich selbst, als auch meine Fraktion werden uns dafür einsetzen, daß aus dem bis jetzt quasi provisorischen Gesetz nach der ersten Novelle ein Gesetzeswerk wird, zu dem wir mit gutem Gewissen unsere Zustimmung geben können. Es ist erfreulich, daß überhaupt ein Bundespflegegeldgesetz geschaffen wurde – unsere nächste Aufgabe wird es sein, Schwachpunkte auszumerzen.

Besonders paradox ist die Handhabung des § 15a Vertrages: Nachdem der Ministerrat die Verträge mit den Ländern im November bewilligte, haben bis heute noch nicht alle Bundesländer unterzeichnet. Über die Inhalte der Verträge bin ich noch nicht informiert worden, da wir diese erst bekommen, wenn sie unterschrieben sind.

Mit dem Bundespflegegeldgesetz ist es den Behinderten gelungen, einen Fuß in die Tür zu stellen. In den nächsten Jahren wird es unser Bestreben sein, diese Tür ganz zu öffnen. Meiner Unterstützung können sich die Behinderten auf ihrem Weg sicher sein.

NR DSA Manfred Srb (Grüne Alternative):

Zentrale Forderung der Betroffenen ist nach wie vor ein Pflegegeld in der Höhe des tatsächlichen Bedarfes. Weiters müßte dieses 14 mal jährlich und ab Feststellung einer Behinderung ausbezahlt werden. Eine weitere Schwachstelle, die dringend beseitigt werden muß, ist die Bezahlung von 80% des Pflegegeldes an das Land im Falle eines stationären Aufenthaltes, denn es ist nicht einzusehen, warum der Bund die unmenschlichen und rückständigen Großheime der Länder noch einen Tag länger finanzieren soll. Weiters muß die halbe Anrechnung des Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder wegfallen.

Das Pflegegeld wird in den meisten Fällen nicht einmal annähernd den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen. Ein Stundensatz von etwa 40 Schilling ist bestenfalls ein Zuckerl für die Pflegeperson aus dem Familienkreis. Für diesen Bettel findet man keine fremde Person, welche die Hilfe und Pflege auch wirklich verbindlich macht.

Die direkte Folge davon ist, daß schwerbehinderte Menschen nach wie vor in unmenschliche Pflegeheime u. ä. abgeschoben werden müssen. Sieht so ein „Jahrhundertgesetz“ aus? Zudem ist dieses Gesetz in mindestens einem Punkt verfassungswidrig (kein Klagerecht) und darüber hinaus verstößt es auch noch gegen den Gleichheitsgrundsatz (geringere Leistungen wie bei den Versorgungsgesetzen des Bundes, z. B. Kriegsopferversorgungsgesetz etc.).

Verordnung: Diese wimmelt nur so von nicht bedarfsgerechten Punkten: Die Richtzeiten sind vielfach zu niedrig angesetzt, wichtige Verrichtungen fehlen überhaupt, 10 Stunden pro Monat für eine Außer-Haus-Mobilitätshilfe sind ein blanker Hohn. Diese Zeitvorgaben passen vielleicht gerade noch bei Menschen, die kaum mehr Ansprüche an ihr Leben stellen. Sonst wird uns das Recht abgesprochen, am Leben teilzunehmen.

Weiters fehlen die Mindesteinstufungen für hochgradig Sehbehinderte und blinde Menschen in die Stufen 3 bzw. 5 und jene für Personen mit leichtem Ausfall der Armkräfte (Fingerfunktionen) in der Stufe 5 und jene mit deutlichem Ausfall von Funktionen der oberen Extremitäten in der Stufe 6. Es fehlen auch Mindesteinstufungen für gehörlose Menschen. Ferner müssen die in § 9 vorgesehenen Begutachtungen in Form einer paritätisch besetzten Kommission durchgeführt werden, in der es keine einseitige Dominanz eines Arztes gibt und in welcher u. a. auch eine Vertrauensperson des Antragstellers mitwirken kann.

15 a Vertrag: Zentrale Schwachstellen sind vor allem die von den Ländern im vergangenen Sommer wieder hinausreklamierten Heimgrößen sowie der Personalschlüssel von 1:2,5. Weiters fehlen Bestimmungen im Bereich der Patientenrechte, Heime müssen nicht mehr behindertengerecht (!) gebaut und im Gemeindebereich integriert sein. Sogar die psychologische und seelsorgerische Betreuung fehlt.

Nr Klara Motter (Liberales Forum):

Das Gesetz entspricht den Bedürfnissen der behinderten Menschen, da es grundsätzlich den wichtigen Schritt von der Bevormundung zur Eigenverantwortung oder mit anderen Worten von der Sachleistung zur Geldleistung tut.

Daß den Bedürfnissen wohl nur zum Teil entsprochen wird, hängt mit der prekären Budgetsituation zusammen.

Die Rechnung bezüglich S 40,– pro Pflegeaufwand stimmt weder mathematisch noch sachlich. Mathematisch wären S 50,– richtig und sachlich ist die Rechnung deshalb abzulehnen, weil ein Gesamtbetrag zur freien Verfügung des Berechtigten geleistet wird.

Die wesentlichen Schwachstellen sind die § 4 Abs. 4 (Anmerkung: Rechtsanspruch) und § 22. Die Novellierung des § 4 Abs. 4 sollte raschestens geschehen, um die Aufhebung dieser Bestimmung durch den Verfassungsgerichtshof vorwegzunehmen. Sie eröffnet der Willkür Tür und Tor und verletzt den Gleichheitsgrundsatz.

Da die Verordnung des Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch nicht erschienen und der 15 a Vertrag noch nicht rechtskräftig ist und dem Parlament noch nicht vorliegt, da er von den Bundesländern noch nicht unterschrieben wurde, kann ich dazu keine Stellung nehmen.

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