Der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte sowie der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter sind heute mit ihrer Verbandsklage gegen das Eisenbahn-Bundesamt vor dem deutschen Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gescheitert.
Die Leipziger Richter entschieden, dass Bahnunternehmen nicht verpflichtet seien, behindertengerechte Zugänge zu Bahnsteigen anzubieten oder diese zu erhalten (Az. 9 C 1.05 und 9 C 2.05).
„Die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung enthalte keine konkreten Vorgaben hinsichtlich Art, Umfang und zeitlicher Verwirklichung des anzustrebenden barrierefreien Zugangs zu Bahnsteigen. Dies näher festzulegen, habe der Gesetzgeber bewusst den Programmen überlassen, die die Eisenbahnen unter Beteiligung der Behindertenverbände zu erstellen haben. Nach den Kriterien des im Juni 2005 beschlossenen Programms der Deutschen Bahn, die sie auch im vorliegenden Fall angewandt habe, sei die schrittweise Herstellung von barrierefreien Zugängen zu Bahnsteigen derzeit in der Regel beim Neu- oder Umbau von Bahnhöfen ab 1000 Fahrgästen pro Tag vorgesehen. Diese Regel sei vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund nicht zu beanstanden“, so das Gericht in einer Pressemitteilung.
Die Behindertenverbände zeigten sich über den Ausgang des Verfahrens enttäuscht. „Das Behindertengleichstellungsgesetz erweist sich damit als zahnloser Tiger“, so Katja Kruse, Rechtsexpertin beim Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte. „Statt Menschen mit Behinderung eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen, erlaubt es das Beseitigen eines Bahnsteiges, der bislang für Rollstuhlfahrer/innen zugänglich und damit barrierefrei war.“
Durch das im Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz war unter anderem auch eine Vorschrift der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) geändert worden. Kernpunkt des Rechtsstreits war die Frage, ob sich aus dieser Vorschrift konkrete Anforderungen an die Barrierefreiheit beim Umbau einzelner Bahnsteige ergeben. Die Richter verneinten dies.
„Damit ist jetzt der Gesetzgeber aufgerufen, die EBO nachzubessern“, fordert Kruse. „Die Beseitigung behindertengerechter Zugänge zu Bahnsteigen schränkt die Mobilität ein und verhindert die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft. Im Eisenbahnrecht muss deshalb ein ausdrückliches Verschlechterungsverbot verankert werden.“
Hintergrund für die Verbandsklage ist der Umbau des Bahnhofes in Oberkochen (Baden-Württemberg). Der bislang ebenerdig zugängliche Bahnsteig ist nach dem Umbau nur noch über zwei Treppen sowie eine Fußgängerunterführung erreichbar. Der Einbau von Aufzügen soll nach den Richtlinien der Deutschen Bahn erst dann erfolgen, wenn die Station täglich von mehr als 1.000 Fahrgästen genutzt wird.