Chefin von Duisburger Werkstatt fristlos entlassen

Im Duisburger Werkstätten-Skandal haben sich nach Meldungen in verschiedenen Medien, dass die Werkstattleiterin über 350.000 Euro im Jahr verdient, in den letzten Tagen die Ereignisse überschlagen.

Viele 500 Euro Banknoten
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Erst trat die Chefin selbst vor die Medien und bestätigte, dass sie insgesamt 376.000 Euro im Jahr verdient und verteidigte die Höhe und Angemessenheit dieses Gehalts.

Nun hat der Aufsichtsrat der Dusiburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung verkündet, dass das Arbeitsverhältnis mit der Werkstattleiterin mit sofortiger Wirkung beendet wurde.

Die Vorfälle in Duisburg haben kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul zu folgendem Kommentar veranlasst.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Buhfrau gefunden – überkommenes System bleibt unangetastet

Der Skandal der weit überzogenen Vergütung einer Geschäftsführerin in der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung gleicht vielen anderen Skandalen, die vor allem die Medien in den letzten Jahren dankenswerter Weise aufgedeckt haben.

Lange werden Missstände verschwiegen und gedeckt, dann dringt davon etwas an die Öffentlichkeit – in diesem Fall im Dezember 2017, wie T-Online berichtet. Es wird dann versucht, die Sache klein zu halten und es soll geprüft werden. Irgendwann lässt sich die Sache nicht mehr klein halten und der Skandal wird in seiner ganzen Breite öffentlich.

Schließlich muss man handeln und einer oder mehrere Köpfe rollen. Damit hofft man dann, dass die Sache schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwindet und man eigentlich so weitermachen kann, wie bisher, also an den Grundfesten des Systems nicht gerüttelt wird.

Im Fall der überhöhten Zahlungen für die Chefin der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung hat man nun mit der bisherigen Geschäftsführerin Roselyne Rogg die vermeintlich Schuldige und eine Buhfrau gefunden. Sie hat in der von ihr in dieser Woche angesetzten Pressekonferenz auch das Ihrige dazu getan, dass man sie als Buhfrau nehmen kann.

„Meine Leistungen rechtfertigen mein Gehalt“, wird Roselyne Rogg in einem Bericht der Neue Rhein/Neue Ruhr Zeitung (NRZ) zitiert. Ein Unrechtsbewusstsein über zu hohe Gehaltszahlungen in einer sozialen Organisation scheint bei ihr also nicht vorzuliegen.

Beim Duisburger Werkstätten-Skandal geht es jedoch um viel mehr als eine überbezahlte Geschäftsführerin – es geht um ein System, das so abgeschafft gehört und durch echte Alternativen für behinderte Menschen schon längst ersetzt werden sollte. 

Doch erst einmal zurück zur Geschäftsführerin. Ihre Aussagen während ihrer Pressekonferenz von dieser Woche werden in der NRZ so wiedergegeben, dass sie 2009 mit einem Gehalt von 85 000 Euro plus 30 000 Euro Altersvorsorge plus 24 000 Euro Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen plus Dienstwagen eingestellt wurde.

Schon damals habe sie nur mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Reinhold Spaniel über ihr Gehalt verhandelt. Nach weiteren Einkommenssteigerungen liegt ihr Gehalt dem NRZ-Bericht zufolge seit 2016 bei 200 000 Euro, plus 100 000 für Altersvorsorge plus 24 000 für die Sozialversicherung plus 15 Prozent Tantieme, plus Dienstwagen, also unterm Strich bei 376 000 Euro.

Soweit nun also die offiziellen Fakten, die die Geschäftsführerin selbst offengelegt hat und wie sie in der NRZ wiedergegeben wurden. (Link zum entsprechenden Artikel in der NRZ)

Behindertenpolitisch interessant wird es an dem Punkt, wie Roselyne Rogg die Erhöhungen ihres Gehaltes rechtfertigt. Im Bericht der NRZ klingt dies so, „dass die Werkstatt besser da steht, als je zuvor“. Die Einnahmen hätten sich seit 2009 von 18 auf 26,7 Millionen Euro um 49 % erhöht.

Die Umsatzerlöse sind in der Zeit von 1,1 auf 2,7 Millionen Euro gestiegen. Die Zahl der beschäftigten Menschen mit Behinderung sei um 20 Prozent auf 1.106 angewachsen. So wird die bisherige Geschäftsführerin zitiert. Immerhin wird in dem NRZ-Artikel auch darauf hingewiesen, dass die behinderten Beschäftigten in der Duisburger Werkstatt „weniger als in anderen Werkstätten im Landesvergleich verdienen“.

Und hier fragt man sich nun, welche Kriterien für die Entlohnung von Führungskräften und für die Beurteilung des Erfolgs einer Werkstatt für behinderte Menschen zugrunde gelegt werden. Ein Anreiz für eine möglichst gute Bezahlung von Leitungskräften scheint demnach zu sein, dass man immer mehr behinderte Menschen aufnimmt, anstatt diese auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren, wie es der eigentliche Auftrag der Werkstätten ist.

Soweit zur bisherigen Geschäftsführerin, die nun ihren sehr gut bezahlten Job verloren hat, in dem sie mehr verdient hat, als die Bundeskanzlerin, wie es in einem Bericht auf T-Online heißt. 

Doch welche Schlüsse zieht der Aufsichtsrat der Duisburger Werkstatt für Menschen mit Behinderung?

In der von der Stadt Duisburg als einer der Träger der Werkstatt veröffentlichten Presseinformation heißt es zu der Ankündigung der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit sofortiger Wirkung durch den Aufsichtsrat: „Obwohl Roselyne Rogg in den vergangenen Jahren fachlich gute Arbeit geleistet und die wfbm gut aufgestellt hat, sah sich der Aufsichtsrat zu diesem Schritt gezwungen. Nicht nur die zwischenzeitlich öffentlich gewordenen Erkenntnisse hinsichtlich der massiven Gehaltserhöhungen, sondern auch die gestrige Pressekonferenz ließen dem Aufsichtsrat, der vor allem im Wohle der Werkstatt für Menschen mit Behinderung und ihrer Mitarbeiter handelt, keine andere Entscheidungsmöglichkeit.“

Hier scheint sich wirklich jemand geärgert zu haben, dass die Geschäftsführerin an die Öffentlichkeit gegangen ist und die Zahlen über ihre Entlohnung nun unverhohlen das Licht der Öffentlichkeit erblickt haben.

An der Arbeit der Geschäftsführerin und dem damit verbundenen Kurs der enormen Expansion der Werkstatt, die sich ja eigentlich durch die Vermittlung auf den ersten Arbeitsmarkt überflüssig machen sollte, scheint der Aufsichtsrat demnach ja nichts auszusetzen zu haben.

Selbstkritik klingt hier auch nicht durch, dass man es als Aufsichtsrat schlichtweg verpennt hat, genauer auf die Vergütung der Geschäftsführerin zu schauen. Gut, dass es auch hier einen Buhmann gibt, der mittlerweile pensioniert ist. Es ging ja nur um 376.000 Euro pro Jahr, also um über 15 Prozent von dem, was diejenigen 1.106 Menschen, die von der Werkstatt unterstützt werden sollen, in einem Jahr für ihre Arbeit zusammen ausbezahlt bekommen.

Dies, wenn man ein durchschnittliches Monatsgehalt von ca. 180 Euro pro Monat – also 2.160 Euro pro Jahr – zugrunde legt, obwohl ja berichtet wurde, dass die Entlohnung der Werkstattbeschäftigten in der Duisburger Werkstatt niedriger als im Landesvergleich ist.

Wen wundert das, bei einer solch fürstlichen Vergütung einer Geschäftsführerin, gegen die der bisherige Aufsichtsrat anscheinend nichts einzuwenden und anscheinend auch keine Eile hatte, dies von sich aus aufzuklären und vor allem zu ändern.

Was wäre nun angemessen?

In der von der Stadt Duisburg veröffentlichten Presseinformation über die Entscheidung des Aufsichtsrats wird darauf verwiesen, dass die Wirtschaftsprüfer Vinken, Görtz, Lange und Partner zuvor in ihrem Gutachten vom 28. Juni 2018 zu dem Ergebnis kamen, dass ein angemessenes Geschäftsführungsgehalt für die wfbm maximal zwischen 150 000 Euro und 180 000 Euro liegen könne.

Das aktuelle Gehalt Roselyne Roggs, welches anscheinend ohne Kenntnis des Aufsichtsrats ausgezahlt wurde, betrage jedoch 376 000 Euro und sei damit inakzeptabel. 150.000 bis 180.000 Euro werden also von den Wirtschaftsprüfern für die Geschäftsführerin einer Werkstatt als angemessen betrachtet.

Das sind heruntergerechnet also 12.500 bis 15.000 Euro pro Monat, immer noch eine Menge Holz für einen vermeintlichen Sozialbetrieb, der hohe staatliche Vergütungen für die „Betreuung“ behinderter Menschen in den Werkstätten erhält.

Zum Vergleich seien hier die Informationen des Bund der Steuerzahler im Hinblick auf die Vergütung der Bundeskanzlerin und der BundesministerInnen genannt.

Dort heißt es: „Die Gehälter der Minister werden Amtsbezüge genannt, die sich aus verschiedenen Komponenten zusammensetzen. Die Bundeskanzlerin bezieht derzeit rund 18.851 Euro monatliches Amtsgehalt. Hinzu kommt eine steuerfreie Dienstaufwandsentschädigung von rund 12.271 Euro im Jahr. Die Bundesminister verdienen etwas weniger, erhalten aber mit rund 15.311 Euro pro Monat immer noch ein stattliches Salär. Auch ihnen steht eine jährliche steuerfreie Pauschale zu, in Höhe von etwa 3.681 Euro.“

Da ist eine Geschäftsführerin einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer also ganz nah an den Gehältern derjenigen dran, die ein Land mit über 80 Millionen Menschen regieren und fast ständig in der Öffentlichkeit Rede und Antwort stehen müssen. Die bisherige Geschäftsführerin kam mit ihrem Gehalt sogar an die Vergütung eines US-Präsidenten heran.

Gut, dass die Forderung nach der Überprüfung und Veröffentlichung der Gehälter von Leitungspersonen in Werkstätten, Wohnheimen und bei anderen sozialen Einrichtungen immer lauter wird. Gut vor allem, dass angemessene Gehälter gefordert werden, denn immerhin geht es hier nicht um Betriebe der freien Wirtschaft, sondern hochsubventionierte bzw. aus Mitteln der sozialen Hilfen geförderte Anbieter.

Soviel zum Geld, worüber man bereits trefflich streiten und sich empören kann. Empörung gibt es jedoch noch viel zu wenig über das aussondernde System der Werkstätten für behinderte Menschen und der miserablen Bezahlung für die Arbeit der über 300.000 behinderten Menschen, die in Deutschland in solchen Werkstatten arbeiten.

Und wie man an der Werkstatt in Duisburg mit über 20 Prozent mehr behinderten Menschen, die von der dortigen Werkstatt unterstützt werden, in den letzten Jahren sieht, werden es sozusagen täglich immer mehr behinderte Menschen, die unter solchen Bedingungen arbeiten müssen.

Der Skandal in Duisburg und der damit verbundene öffentliche Aufschrei wird daran wohl kaum etwas ändern, denn es gibt eine „unheilige“ Allianz zwischen tief verwickelten PolitikerInnen, die von der kommunalen, über die Landesebene, bis zu den BundespolitikerInnen reicht, die in verschiedenen Funktionen diese Aussonderungssysteme stützen, fördern und für ihr Image wahrscheinlich auch selbst davon profitieren.

Auch in Duisburg haben die KommunalpolitikerInnen verschiedener Ausrichtungen das System und die überhöhte Bezahlung der Geschäftsführerin bisher toleriert bzw. sogar vorangetrieben. Dort sind sogar noch zwei sogenannte Behindertenorganisationen als Anteilseigner mit im Boot.

Die Lebenshilfe Duisburg und der Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Duisburg. Welche Rolle diese bei dem Skandal spielen und warum diese nicht für angemessene Gehälter im Sinne der behinderten Menschen hervorgetreten sind, bleibt mit einem großen Fragezeichen versehen.

Fakt ist, dass derzeit so viele von dem gewachsenen System der Aussonderung in den Werkstätten und sogenannten Heimen profitieren, dass die Rufe des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen weitgehend ungehört verhallen.

In den abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands, die der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen am 13. Mai 2015 veröffentlichte, wurde unter Punkt 49 und 50 der Bundesrepublik Deutschland, und damit auch den Ländern und Kommunen, folgendes ins Stammbuch geschrieben:

„Der Ausschuss ist besorgt über die ‚Segregation auf dem Arbeitsmarkt des Vertragsstaates‘, ‚über finanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hindern‘; den Umstand, dass segregierte Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern‘.“ Darauf aufbauend empfiehlt der Ausschuss der Bundesrepublik Deutschland, „durch entsprechende Vorschriften wirksam einen inklusiven, mit dem Übereinkommen in Einklang stehenden Arbeitsmarkt zu schaffen“, „die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten an barrierefreien Arbeitsplätzen gemäß der Allgemeinen Bemerkung Nr. 2 (2014) des Ausschusses, insbesondere für Frauen mit Behinderungen“; „die schrittweise Abschaffung der Werkstätten für behinderte Menschen durch sofort durchsetzbare Ausstiegsstrategien und Zeitpläne sowie durch Anreize für die Beschäftigung bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt“ und „die Sicherstellung, dass Menschen mit Behinderungen keine Minderung ihres sozialen Schutzes bzw. der Alterssicherung erfahren, die gegenwärtig an die Werkstätten für behinderte Menschen geknüpft sind“.

Über diesen Zwischenruf des UN-Ausschusses sollte man also verstärkt auch in Duisburg diskutieren, statt auf Expansion der Werkstatt zu setzen und diese noch direkt oder indirekt in einer solchen Krise zu bejubeln.

Die Entlassung der bisherigen Geschäftsführerin ist dabei lediglich die Reaktion auf ein Symptom, das Problem liegt aber vielmehr an der Wurzel und an den vielen Fehlanreizen für aussondernde Einrichtungen, immer krakenhafter zu expandieren, ohne Rücksicht auf solch hehre Ziele wie Inklusion oder faire Beschäftigung im Arbeitsleben.

Die Entlassung einer Frau, die sehr viel Geld verdient hat, ist also eher der Anfang einer Aufarbeitung der Geschehnisse in Duisburg anstatt deren Ende. Und wo bleibt hier der Aufschrei all der so engagierten SozialpolitikerInnen angesichts solch miserabler Bezahlung in Werkstätten für behinderte Menschen?

Keiner von diesen würde für solche Arbeitsbedingungen und eine solch miese Entlohnung wahrscheinlich überhaupt morgens aufstehen.

Links zu aktuellen Berichten über den Werkstätten-Skandal in Duisburg

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2 Kommentare

  • Sehr sehr lesenswert! Jeder einzelne Satz sitzt perfekt. Dieser krasse Auswuchs an extremer Überbezahlung im Management ist hoffentlich seit dem Tiroler Lebenshilfe-Skandal vor mehreren Jahren in Österreich nicht mehr anzutreffen aber alle sonstigen Argumente und Aufhellung von Hintergründen sind auch auf das österr. Behindertenverwertungs-Unwesen übertragbar.

    • …das sehe ich auch so! Österreich ist diesbezüglich auch kein Land der Seeligen. Und eilig hat es auch niemand in Österreich, dass Lohn statt Taschengeld für die betroffenen Menschen mit Behinderungen zur Realität wird. Lieber abhängig halten die Betroffenen, dann können sie auch nicht aufmucken.