Der Standard: Der Glaube an den Schöpfergott als einziges Argument gegen die Sterbehilfe
Philosophische Betrachtungen im „Der Standard“ erschienen: Ideengeschichtlich ist die Sache klar. „Es gibt“, sagte der Wiener Philosoph Rudolf Burger im August 1999 in Alpbach, „nur ein einziges stichhaltiges Argument gegen den Suizid und gegen den Beistand dazu, und das ist kein aufgeklärt moralisches, sondern ein religiöses.“ Das Recht, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, hänge nämlich vom moralischen Recht zum Suizid ab, und man sollte, so Burger, „wissen, welche Sicht man wählt, wenn man in dieser Frage Stellung bezieht: eine christliche oder eine humanistische. Sie schließen einander aus.“
Denn aus christlicher Sicht ist das Leben des Menschen ein „Geschenk Gottes“, über das der Mensch nicht verfügt. Die Selbsttötung, die man im antiken Denken als Inanspruchnahme der menschlichen Freiheit interpretierte, ist daher Sünde (Selbstmörder durften nicht innerhalb der Friedhofsmauern begraben werden), die Selbst-Tötung wird zum Selbst-„Mord“, die Beihilfe zur Selbsttötung „Beihilfe zum Mord“. Der aufgeklärte, agnostische Mensch sieht das Leben als schiere Faktizität, die Frage, ob er sein Leben leben oder es beenden soll, entscheidet er autonom. Die Beihilfe zur Selbsttötung wäre daher eine Hilfeleistung bei der Verwirklichung dieser Autonomie.
Der Glaube an den Schöpfergott ist also tatsächlich das einzige in sich logische Argument gegen die Legalisierung der Sterbehilfe. Umso erstaunlicher ist es, dass es von ihren kirchlichen Kritikern nicht ins Treffen geführt wird. Der evangelische Theologe Ulrich Körtner etwa betont stets, dass es gar nicht um die Frage Selbstmord ja oder nein gehe, sondern um die Frage, wie wir die Ausbildung im Bereich der Palliativmedizin verbessern und überhaupt eine humanere Kultur des Sterbens etablieren können.
Stimmt, aber das ist maximal ein additives Argument: Unabhängig davon, ob die Beihilfe zur Selbsttötung straffrei ist oder nicht, ist der verstärkte Einsatz der palliativmedizinischen Möglichkeiten auch wichtig – nicht zuletzt, weil sich dadurch der Wunsch nach einem vorzeitigen Ende eines kurz vor dem Ende stehenden Lebens nicht so oft einstellen wird.
Ähnliches gilt für das Argument, wonach mit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ein Dammbruch zu befürchten sei und der gesellschaftliche Druck auf alte, kranke und behinderte Menschen, sozusagen aus Kostengründen vorzeitig aus dem Leben zu scheiden, zunehmen werde.
Man spricht hier von slippery slope-Argumenten: Es wird befürchtet, dass unsere Gesellschaft auf einem „rutschigen Boden“ in Richtung Sozialdarwinismus gleiten könnte, der in einem nächsten Schritt etwa generell die „Aussonderung lebensunwerten Lebens“ zur Folge hätte. Die Schwäche des slippery slope-Arguments liegt nicht zuletzt darin, dass der Gesetzgeber, wenn er es akzeptiert, damit ein tiefes Misstrauen sich selbst gegenüber zum Ausdruck brächte.
Den Druck auf Kranke, Alte und Behinderte, sie mögen durch „sozialverträgliches Frühableben“ (ein sarkastisch-ironischer Begriff, den der Präsident der deutschen Ärztekammer prägte) das Gesundheits- bzw. das Sozialsystem entlasten, gibt es übrigens längst, und es wäre geradezu naiv zu glauben, dass er dadurch verringert wird, dass das gesetzliche Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung auf Verlangen im Falle von unmittelbar vor dem Tod stehenden Patienten aufrecht bleibt.
Ob sich ein Land für den christlich inspirierten „unbedingten Lebensschutz“ entscheidet oder für das Konzept des autonomen Menschen, ist eine Frage der Mehrheiten. Der „Dammbruch“ in den Niederlanden ist also nicht zuletzt ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der Kirchen.
In Österreich wird sich die Frage auf der Ebene des Gesetzgebers so schnell nicht stellen, es herrscht breiter Konsens darüber, dass eine Legalisierung der Euthanasie nicht erwünscht ist. Der Gewinn einer breiten öffentlichen Debatte könnte darin liegen, sich darüber klar zu werden, woher das kommt.