Im Interview mit kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul wird deutlich, dass Constantin Grosch nicht nur gut in seiner neuen Funktion und im Landtag angekommen ist, sondern auch einiges vorhat, was er in den nächsten Jahren vorantreiben will.
Im Oktober 2022 wurde der Kommunalpolitiker und Aktivist der Behindertenbewegung Constantin Grosch aus Hameln in den niedersächsischen Landtag gewählt.
kobinet-nachrichten: Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr gekommen, nachdem das letzte Jahr für Sie mit der Wahl als Abgeordneter des niedersächsischen Landtags wahrscheinlich arbeitsreich verlaufen ist. Wie ist Ihnen der Start im Landtag gelungen?
Constantin Grosch: Der Start in den Landtag ist mir recht gut gelungen. Ich habe ein tolles Büroteam und die Landtagsverwaltung hat sich sehr bemüht, auf die Anforderungen eines rollstuhlfahrenden Abgeordneten einzugehen.
Natürlich waren die Wochen vor und nach der Wahl sehr arbeitsreich, aber ich habe die Herausforderungen gerne angenommen und bin dankbar für die Möglichkeit, mich für die Belange der Wählerinnen und Wähler einsetzen zu können. Dabei hilft es mir auch, dass die Zusammenarbeit sowohl in meiner eigenen Partei, als auch mit unserem Koalitionspartner von einer hohen Wertschätzung für die jeweiligen Erfahrungen und Qualifikationen geprägt ist.
kobinet-nachrichten: Als Abgeordneter der SPD gehören Sie ja der Regierungskoalition an, so dass Sie wahrscheinlich gleich gut gefordert sind. Welche Themenbereiche werden Sie im Landtag beackern und gibt es dabei Querverbindungen zur Behindertenpolitik?
Constantin Grosch: In der Tat gehöre ich als Abgeordneter der SPD der Regierungskoalition an und habe somit die Möglichkeit, aktiv an der Gestaltung der politischen Agenda in Niedersachsen mitzuwirken. Meine persönlichen Schwerpunktthemen sind Mobilität und regionale Infrastruktur.
Die Fraktion hat mich zunächst allerdings in den Ausschuss für Bundesangelegenheiten, Angelegenheiten der Europäischen Union und regionale Entwicklung, sowie in den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen benannt. Daneben bin ich noch ständiger Vertreter im Ausschuss für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung.
Da der Rechtsausschuss für jedes Gesetzesvorhaben einbezogen werden muss, kann ich in dieser ersten Legislatur viel lernen und gerade auch Fragen der Behindertenpolitik als Querschnittsthemen immer wieder einbringen.
kobinet-nachrichten: Hat sich der Landtag auf Sie als Rollstuhlnutzer gut eingestellt, bzw. hakt es da noch an einigen Ecken und Enden?
Constantin Grosch: Ich habe das große Glück, dass der niedersächsische Landtag vor einigen Jahren grundlegend saniert wurde und mein heutiger Wahlkreisnachbar Ulrich Watermann (SPD) bereits damals vehement für ein barrierefreies Parlament – nicht nur für Gäste – gekämpft hat. Insofern gibt es baulich nur im Altbautrakt und an anderen kleinen Stellen bzw. sehr individuellen Bedürfnissen Veränderungsbedarf. Entscheidender sind allerdings prozessuale Fragen. So haben wir nun die Geschäftsordnung geändert, da hier vorher ein Abstimmen durch Aufstehen oder Handzeichen festgelegt waren. Nun habe ich als einziger Abgeordneter eine digitale Schaltanlage um Redebeiträge oder Abstimmungsverhalten anzuzeigen.
Auch Fragen rund um die Anwesenheit von Persönlicher Assistenz, höheren Reisekosten oder dem enormen Aufwand für mein Büro zur Sicherstellung von barrierefreien externen Terminen sind Fragen, die völlig neu für das Parlament und die Verwaltung sind. Und auch der Umstand, dass ich meines Wissens nach der bisher einzige Abgeordnete bundesweit bin, der aufgrund der Einkommens- und Vermögensanrechnung einen beträchtlichen Teil seiner Diäten für die Persönliche Assistenz aufbringen muss, hat nicht zuletzt in der eigenen Partei dazu geführt, dass diese Regelung in Frage gestellt wird.
kobinet-nachrichten: Welche drei behindertenpolitischen Ziele möchten Sie im Landtag in dieser Legislaturperiode erreichen?
Constantin Grosch: Wir wollen bezahlbaren und barrierefreien Wohnraum schaffen. Dazu wird es eine eigene Landeswohnungsbaugesellschaft geben. Explizit haben wir aber auch im Koalitionsvertrag aufgenommen, dass wir uns die Landesbauordnung anschauen werden. Einerseits reicht es nicht aus, wenn nur kommunale oder landeseigene Betriebe barrierearme Wohnungen bauen und andererseits wird in der Bauordnung auch für viele weitere Bereiche unserer Gesellschaft normiert, wie zu bauen ist. Denn im 21. Jahrhundert dürften bauliche Barrieren eigentlich kein Problem mehr sein.
Schwieriger wird es da schon bei gesellschaftlichen Systemen. Wir wollen den Arbeitsmarkt offener gestalten. Auch wenn vieles davon nur auf Bundesebene entschieden werden kann, können wir im Land unseren Teil dazu beitragen, indem wir beispielsweise als Land mehr Menschen mit Behinderungen ausbilden und einstellen, das Budget für Ausbildung / Arbeit häufiger genutzt wird und ein genaues Auge auf Werkstätten haben.
Zum Schluss geht es aber natürlich auch um eine inklusive Bildung. Das ist Kernaufgabe der Länder. Auch wenn gerade große Kampagnen von Seiten der FDP, der CDU, einiger Eltern, sowie Lehrer*innen gestartet werden: Wir werden an einem inklusiven Schulsystem festhalten und das vereinbarte Auslaufen der Förderschule Lernen beibehalten. Stattdessen müssen endlich flächendeckend multiprofessionelle Teams in Schulen eingerichtet werden. Hier mangelt es uns an verschiedenen Professionen.
kobinet-nachrichten: Sie haben es nun geschafft, in den Landtag zu kommen. Haben Sie den einen oder anderen Tipp für diejenigen, die es ebenfalls mit einer Kandidatur für einen Landtag versuchen wollen?
Constantin Grosch: Rückblickend hatte ich Glück sehr früh kommunalpolitisch aktiv sein zu können. Die Erfahrungen, die ich in über 10 Jahren Kreistagsarbeit gesammelt habe, haben mir sowohl innerparteilich, als auch im Wahlkampf unglaublich geholfen.
Deshalb kann ich jeder und jedem nur raten, sich lokal in einer Partei oder Wählergemeinschaft zu engagieren. Viele Parteien lassen heute auch Personen auf ihren Listen für Orts-, Gemeinde oder Stadträte kandidieren, die (noch) nicht Mitglied der Partei sind. Wir brauchen Menschen mit Behinderungen auf allen politischen Ebenen. Nicht, um ausschließlich Interessen von behinderten Menschen zu vertreten, sondern weil erst in der Auseinandersetzung von Menschen mit verschiedenen Erfahrungshintergründen Probleme vernünftig analysiert und Lösungen erarbeitet werden können.
Demokratie – wenn sie richtig gelebt wird – ist pure Inklusion: frustrierend kurz vorm Scheitern, aber rückblickend und im Vergleich zu anderen Systemen eine konstante Verbesserung.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.