Dänemark: Schon damals ein Vorbild in Sachen Persönlicher Assistenz

Martin Ladstätter erinnert sich an eine Reise nach Dänemark vor knapp 30 Jahren, die schon damals gezeigt hat, was mit Persönlicher Assistenz so alles möglich ist.

Flagge Dänemark
Henrik Larsen on Unsplash

Während wir in Österreich noch immer für bundeseinheitliche Persönliche Assistenz und eine gute Finanzierung des Assistenzsystems kämpfen, gab es bereits im Jahr 1994 in Dänemark ein Assistenzsystem, an dem Österreich sich 2022 ein Beispiel nehmen könnte.

Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, fand kürzlich seine damaligen Mitschriften und erinnert sich:

Rückblick auf die Reise im Jahr 1994

Martin Ladstätter
BIZEPS

Für mich ist es spannend und auch erhellend, aus dem heutigen Blickwinkel meine Reise nach Aarhus, einem Teil von Dänemark, zu betrachten. Damals habe ich mit Wilfried Raith aus Salzburg, der im Juni 2022 leider schon verstorben ist, auf Einladung der Organisation Muskelsvindfonden Dänemark besucht.

Wir haben damals Besuche bei Personen gemacht, die schon in den 1990er Jahren mit Persönlicher Assistenz lebten. Manche von ihnen bekamen sogar mehr als 24 Stunden pro Tag bewilligt.

Sehe ich mir das österreichische Assistenzsystem an, können wir rund 30 Jahre später von so etwas nur träumen. Ich möchte einen Teil meiner Erlebnisse von damals teilen, um aufzuzeigen, wie das Leben und die Finanzierung von Persönlicher Assistenz aussehen kann. Die Namen der Personen sind anonymisiert, aber ihre Geschichten sind beispielhaft für ein selbstbestimmtes Leben.

Der Alltag mit Persönlicher Assistenz – anhand von 4 Beispielen:

Wir begegneten einer Person, die bereits über 50 war und ein Kind im Teenageralter hatte. Damals 134 Stunden pro Woche zugestanden bekam. Ihr ist Persönliche Assistenz wichtig, weil sie dann selbst entscheiden kann, wer was wie und wann macht. Es ist mein Leben, betont sie.

Monatlich schickt sie eine Stundenaufstellung an die Gemeinde, die dann die Gehälter überweist. Übrig gebliebene Stunden können auf den nächsten Monat übertragen werden. Sie schildert, dass Persönliche Assistenz einkommensunabhängig ist.

Der Preis für eine Stunde ist je nach Einsatzzeit unterschiedlich. Auch gibt es einen Tarif für Bereitschaften. Jede Person, die über 18 Jahre alt ist, kann eingestellt werden. Häufig werden auch Familienangehörige beschäftigt. Sollten Assistenten ausfallen, kann sie andere anrufen. Notfalls gibt es auch noch das Service Center.

Die zweite Person ist nach Aarhus umgezogen, um das System der Persönlichen Assistenz dort zu nutzen. Um Persönliche Assistenz zu nutzen, ist es nicht notwendig, dass man arbeitet, nur ein aktives Leben außerhalb der Wohnung sollte man anstreben.

Im Service Center gibt es auch zwei Leute zur Bereitschaft, die bei plötzlichen Ausfällen helfen. Das Center möchte auch Schulungen für neue Assistenznehmer:innen anbieten. Finanziert werden diese durch einen Verwaltungsbeitrag. Damals gab es ca. 500 Assistenznehmer:innen. 150 davon in Aarhus. Auch Arbeitsassistenz wurde finanziert.

Die dritte Person ist dreizehn Jahre alt. Er hat 40 Stunden pro Woche bewilligt bekommen. In der Schule hat er keine Assistenz, weil es morgens und abends Assistenz bekommt, lebt die Persönliche Assistenz mit im Haus. Die Assistent:innen mieten das Zimmer und bekommen ihre Assistenzzeit voll bezahlt.

Die Familie des Jungen erzählt, dass es für Eltern prinzipiell möglich wäre, ihren Job aufzugeben und Assistenz für ihre Kinder zu machen, ohne große Gehaltseinbußen zu haben. Manchmal kann es für Eltern schwierig sein, Assistent:innen im Haus zu haben. Um mit diesem schwierigen Verhältnis besser klar zu kommen, bietet eine Organisation Kurse für Familien an, die helfen sollen, mit Assistent:innen umzugehen.

Person vier ist 28 Jahre alt und auf ein Beatmungsgerät angewiesen. Er lebt seit 18 Jahren mit Persönlicher Assistenz. Jetzt lebt er in einer eigenen Wohnung und hat dadurch einen 24 Stunden Bedarf pro Tag. Früher leistete seine Mutter die Persönliche Assistenz. Jetzt hat er verschiedene Assistent:innen. Vier vollbeschäftigt und eine Teilzeit. Auch Arbeit hat ihm Persönliche Assistenz ermöglicht. Er arbeitet 15 Stunden pro Woche in einer Organisation am Computer. Weiters spielt er in einer Theatergruppe.

Die Organisation Muskelsvindfonden hat das Assistenzkonzept von Aarhus vorangetrieben und betreibt auch Schulungen. Der Gründer von Muskelsvindfonden erzählte uns, dass das Leben mit Persönlicher Assistenz billiger sei als ein Leben in Institutionen. Er selbst lebt ebenfalls mit Unterstützung und sagt, es ist nicht schön Hilfe zu brauchen, aber es eröffnet neue Möglichkeiten.

Vorbild Dänemark

Martin Ladstätter erinnert sich heute nicht ohne eine gewisse Sehnsucht an seine Erlebnisse in Aarhus. Damals in Dänemark habe er gesehen, wie selbstbestimmtes Leben mit Persönlicher Assistenz aussehen kann und aussehen sollte. Eine Assistenz, die nach den Bedürfnissen der Assistenznehmer:innen bewilligt wird und bedarfsgerecht ist.

Wenn ich meine Reise nach Dänemark Revue passieren lasse, frage ich mich, warum ist dort bereits in den 1990er Jahren möglich gewesen, was bei uns 2022 nicht möglich ist? Wenn es um selbstbestimmtes Leben mit Persönlicher Assistenz geht, sollte man sich bei uns an Dänemark ein Beispiel nehmen.

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4 Kommentare

  • Spannender Bericht! Da ich Wilfried Raith seit 40 Jahre kannte gefiel mir dieser Bericht.
    Ich glaube, dass Schweden im sozialen Bereich auch viel fortgeschrittener ist, als Österreich.

  • Welch ein vorbildliches Land!Traurig genug,was wir diesbezüglich zu „bieten“ haben!

  • danke für den informativen text! erstaunlich, wie weit wir in den letzten dreißig jahren NICHT gekommen sind.

  • Haben in Dänemark auch blinde Personen einen Anspruch auf Assistenz?
    (In Schweden ist das ja leider nicht der Fall. Frage mich schon länger, warum die dortigen Blindenverbände das anscheinend akzeptieren).