Das genaue Gegenteil und die Menschenrechte

Ein kurzer Text zur Umbenennung der Erstaufnahmezentren

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Wir erinnern uns wohl noch alle an das Jahr 2015. Damals kamen viele Menschen aus anderen Ländern nach Österreich. Und sie wurden willkommen geheißen. Das heißt: diese Menschen wurden freundlich aufgenommen. Dafür wurde ein bestimmtes Wort verwendet – das Wort Willkommenskultur.

Mit dem 1. März 2019 wurden die Erstaufnahmezentren in Ausreisezentren umbenannt. Erstaufnahmezentrum bedeutet: hier kommen die Menschen zuerst hin, wenn sie nach Österreich kommen. Sie werden in Österreich aufgenommen. Und dann wird geschaut: ist das zum Beispiel ein Mensch, der als geflüchteter Mensch (Flüchtling) gilt? Ein geflüchteter Mensch muss aus seinem Land weg. Weil es dort viele Gefahren gibt. Und weil sie/er dort nicht sicher ist. Diese Menschen suchen Schutz in einem anderen Land, zum Beispiel in Österreich. Diesen Schutz nennt man Asyl.

Geflüchtete Menschen haben Rechte wie alle anderen Menschen auch. Das steht in der so genannten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Diese Erklärung stammt aus dem Jahr 1948. Und darin steht zum Beispiel in Artikel 14: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“

Geflüchtete Menschen kommen also in Österreich zuerst in die Erstaufnahmezentren. Da wird geschaut: Brauchen sie Asyl oder nicht?

Nun wurden diese Zentren umbenannt. Seit 1. März 2019 heißen sie Ausreisezentren. Ausreisen bedeutet: jemand verlässt das Land, jemand reist aus, jemand reist weg.

Das ist weitaus mehr als nur eine Umbenennung dieser Zentren. Aufnehmen heißt: ich anerkenne, dass jemand zu uns kommt. Ich nehme diese Person bei uns auf. Ausreisen heißt: diese Person soll bald wieder weg. Ich nehme diese Person also erst gar nicht richtig auf. Die geflüchteten Menschen dürfen zwar nach wie vor nach Österreich kommen. Aber klar ist zugleich: sie sollen möglichst schnell möglichst alle wieder weg.

Das widerspricht aber der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Diese Erklärung sagt ja: geflüchtete Menschen haben das Recht auf Schutz (Asyl). Und Staaten wie zum Beispiel Österreich müssen dieses Recht gewähren. Das heißt: die Staaten müssen es den geflüchteten Menschen möglich machen, ins Land zu kommen.

Was heißt diese Umbenennung nun also?

Nehmen wir einen Vergleich her:

Angenommen, wir nennen eine Geburtsstation in Totenkammerl um. In einer Geburtsstation werden Menschen am Beginn des Lebens geboren. Im Totenkammerl liegen Menschen am Ende ihres Lebens vor dem Begräbnis. Das stimmt zwar eigentlich: wir werden geboren und sterben am Ende. Aber dazwischen ist ‚etwas’ – und dieses ‚Etwas’ ist nicht mehr und nicht weniger als das Leben. Also alles, was wir haben.

Nun wurden also am 1. März die Erstaufnahmezentren in Ausreisezentren umbenannt. Die Erstaufnahme ist so etwas wie eine Geburtenstation: Menschen kommen in Österreich an. Ausreise ist dabei so etwas wie das Totenkammerl, es bedeutet: Menschen verlassen Österreich. Aber auch da ist ‚etwas’ dazwischen – und dieses ‚Etwas’ ist in diesem Fall nicht mehr und nicht weniger als ein Menschenrecht. Weil eben alle Menschen Menschenrechte haben. Und daher müssen wir alle nach den Menschenrechten handeln.

Mit der Umbenennung von Erstaufnahmezentren in Ausreisezentren wird etwas vorgezogen, was (vielleicht) erst folgt: nicht alle Menschen werden Schutz (Asyl) bekommen, etliche Menschen werden wieder ausreisen müssen. Aber eine Ausreise folgt einer Aufnahme. Eine Ausreise kann eine Aufnahme nicht ersetzen.

Mit der Umbenennung von Erstaufnahmezentren in Ausreisezentren wird nicht nur das genaue Gegenteil zur Willkommenskultur deutlich. Mit dieser Umbenennung wird auch deutlich: mit den Menschenrechten scheint man es nicht so genau zu nehmen. Und das ist erschreckend. Da geht es jetzt weniger um die Nichtanerkennung der Menschenrechte (das heißt: ich bestimme, wer Menschenrechte hat und wer nicht) – Menschenrechte können auch in einem Ausreisezentrum anerkannt werden. Sondern es geht um die Verachtung der Menschenrechte (das heißt: ich nehme Menschenrechte nicht so ganz ernst).

Die Präambel (das ist der einleitende Text) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spricht im zweiten Absatz über diese Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte. Nichtanerkennung und Verachtung haben beide zu schrecklichen Taten von Menschen an Menschen geführt. Deshalb ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte überhaupt geschrieben worden (das nennt man Entstehungsgeschichte, warum es also diese Erklärung überhaupt gibt).

Solche Umbenennungen (wie am 1. März in Ausreisezentren) sind ein Hinweis auf eine gewisse Verachtung der Menschenrechte. Menschenrechte sind aber nicht beliebig!

Menschenrechte stehen allen Menschen zu, weil wir eben Menschen sind. Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben wir aus der Geschichte gelernt. Und es ist heute und nach wie vor unsere Aufgabe als Menschen, die Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nie zu vergessen und danach zu handeln: Wir müssen dabei Menschen nicht unbedingt überschwänglich willkommen heißen. Aber wir müssen Menschen in jedem Fall ihre Rechte zugestehen und danach handeln.

Siehe auch: „Wir korrigieren Innenminister Kickl“

SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak hilft dem Innenministerium, einen Fehler zu korrigieren. Er macht Traiskirchen wieder zu dem, was es ist und sein soll: eine Aufnahmestelle für Asylsuchende. 

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Ein Kommentar

  • Vielen Dank für diese Klarstellung. Sie tut mir im Herzen wohl.