Das ist behindertenfeindlich!

Für großen Unmut sorgt ein in der Printausgabe der Kronen-Zeitung veröffentlichter Leserbrief. Ein Leser möchte die Kosten der Dolmetschung sparen und hätte daher gerne, dass die gehörlose Mag. Helene Jarmer nicht Abgeordnete wird.

Leserbrief gegen Jarmer in der KRONE
Kronenzeitung

„Hier gäbe es einmal die Möglichkeit, durch die EU-Wahl wirklich Steuergeld zu sparen. Nicht die Grünen wählen. Dadurch Lunacek nicht nach Brüssel, sondern verbleibt im Parlament. Jarmer kommt dadurch nicht ins Parlament“, meint ein Leserbriefschreiber in der Kronen-Zeitung am 25. Mai 2009. (Hier ein großes Bild des Leserbriefes in der Printausgabe.)

Es versetze ihm als „Steuerzahler schon einen Schlag“, wenn er von 200.000 Euro Dolmetschkosten pro Jahr lese. „Die Frage muss erlaubt sein, wer diese Summe bezahlt. Frau Jarmer, der Steuerzahler oder vielleicht doch die Grünen? Wetten, der Steuerzahler bleibt übrig“, tut der Leserbreifschreiber wortgewaltig seine Meinung kund.

Heftige Reaktionen

Innerhalb der Behindertenbewegung gibt es seit Erscheinen des Leserbriefes heftige Reaktionen, über die wir hier auszugsweise berichten.

Über eine offizielle Reaktion der Grünen ist der Redaktion bisher leider nichts bekannt.

Krone transportiert Behindertenfeindlichkeit

„Ich frage mich, ob dies ein ‚echter‘ Leserbrief ist. Es gibt Zeitungen, wo Redakteure als ‚Leserbriefschreiber‘ agieren“, gibt Andreas Pöschek zu bedenken.

So spannend diese Frage gerade bei der für ihre „redaktionell betreuten“ Leserbriefe bekannten Kronen-Zeitung auch ist; in Wirklichkeit ist die Antwort zweitrangig. Wie auch immer der Text entstanden ist, sollte eine Tageszeitung bei der Auswahl der Leserbriefe – bei aller Würdigung der Vielfalt – diskriminierende Äußerungen besonders kritisch begutachten, damit so etwas nicht unkommentiert in das Blatt kommt. Daher ist es so widerlich, wenn die Kronen-Zeitung den Text groß aufmacht und als bedeutend präsentiert.

„Kosten-Nutzen-Analyse“

„Die abgedruckte Aufforderung, die Grünen nicht zu wählen, damit Helene Jarmer ins Parlament nicht einzieht und 200.000 Euro jährliche Dolmetschkosten einzusparen, halte ich für eine pure Behindertenfeindlichkeit“, schreibt Ing. Lukas Huber vom Österreichischen Gehörlosenbund in einer Replik.

Er erinnert daran, „dass im Juli 2005 alle Parlamentsabgeordneten dafür gestimmt haben, die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) in der Bundesverfassung anzuerkennen. Das schließt auch das Recht auf Dolmetschung für alle Gehörlosen mit ein, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören“.

Auch wenn solche Erinnerungen unangenehm sind, so verweist er doch auf die Geschichte in diesem Land. „Erbkranke fallen dem Volk zur Last“, zitiert er und meint, dass es heute eben heißt: „Die Behinderten verschlingen Unsummen“.

„Schon die Nationalsozialisten machten es mit ihrer Kosten-Nutzen-Analyse vor, um die Ausgrenzung behinderter Menschen aus der Gesellschaft scheinbar rational zu begründen. Auch die Frage muss erlaubt sein, ob die Kronen-Zeitung die Behindertenfeindlichkeit fördern will“, zeigt sich Huber verärgert.

„Dagegen ankämpfen!“

„Schon bei meinem Einzug ins Parlament im Jahr 1986 gab es Stimmen, die sich gegen den notwendigen barrierefreien Umbau aussprachen“, berichtet DSA Manfred Srb, der als erster Rollstuhlfahrer für die Grünen ins Parlament einzog.

Seiner Meinung nach ist jetzt solidarisches Handeln gefragt. „Derartige Meinungen sind ein Anschlag gegen unser Recht auf Leben und wir müssen gemeinsam dagegen ankämpfen!“, hält er gegenüber BIZEPS-INFO fest.

„Eine wirklich unmögliche, arrogante und herablassende Einstellung“

DI Richard Weißnar schreibt in einer Reaktion, dass es seiner Meinung nach nur eine einzige Antwort geben kann: „Das ist eine wirklich unmögliche, arrogante und herablassende Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung.“

Die Auforderung ist „ein typisches Beispiel der latenten Behindertenfeindlichkeit mancher Staatsbürger“, meint er und ergänzt: „Ich als Schwerhöriger, der gerne bei begründeten und sinnvollen Ausgaben (ÖGS-Dolmetscher, Schriftdolmetscher sowie Hilfsmittel sind immer eine sinnvolle Ausgabe) seine Steuern zahlt, bin von einer solchen Aufforderung angewidert.“

Auch er ist schockiert vom Verhalten der Kronen-Zeitung und gibt zu bedenken, ob sie so „nicht ein Klima der Aussonderung gegenüber Menschen mit Behinderung erzeugt“.

„Einige solcher Stimmen“

„Ich finde den Leserbrief skandalös!“, zeigt sich Mag. Monika Haider, Geschäftsführerin des Schulungszentrums equalizent, entsetzt: Sie prophezeit aber, dass in Zukunft „einige solcher Stimmen laut werden“.

Grundsätzliche Regelung angestrebt

Nationalratspräsidentin Mag. Barbara Prammer (SPÖ) „will künftig in Abänderung des Bezügebegrenzungsgesetzes auch allgemein Vorsorge für die Unterstützung von Abgeordneten mit Beeinträchtigung treffen. Bisher gab es Einzellösungen von Fall zu Fall, wie jetzt bei Jarmer und davor für die Rollstuhlfahrer.

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