Dauerthema Sterbe“hilfe“ und kein Ende in Sicht

Der Stein rollt. Die Sterbehilfe und der Niedergang des Humanen.

Monitor zeigt Herzschlag
BIZEPS

Die Sterbe“hilfe“-Debatte in der EU nimmt immer besorgniserregende Auswüchse an. Die Verschnaufpause zu Weihnachten war nur kurz, die kurzfristige Beruhigung erhitzter Gemüter trügerisch. In den letzten Wochen ging die mediale und politische Sterbe“hilfe“-Debatte in Österreich und Deutschland in die nächste Runde.

Und eines ist gewiss: die Lobby der Sterbehilfebefürworter lässt nicht locker und wird versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Es liegt an uns allen, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Noch kann der rollende Stein (auf der schiefen Ebene „slippery slope“) gestoppt werden. Viel Zeit bleibt jedoch nicht mehr.

Mediale Wortgefechte über die Würde menschlichen Lebens

In Deutschland hat der Kommentar des ehemaligen Intendanten des Mitteldeutschen Rundfunks Udo Reiter „Mein Tod gehört mir“ in der Süddeutschen heftige Reaktionen hervorgerufen. Der Sterbehilfebefürworter U. Reiter, übrigens seit vielen Jahren selbst auf den Rollstuhl angewiesen, schrieb: „Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen, frisiert und abgeputzt wird. Ich möchte mir nicht den Nahrungsersatz mit Kanülen oben einfüllen und die Exkremente mit Gummihandschuhen unten wieder herausholen lassen. Ich möchte nicht vertrotteln und als freundlicher oder bösartiger Idiot vor mich hindämmern.“

Die adäquate Reaktion auf diese m.E. sehr menschenverachtende Äußerung von U. Reiter lieferte der ehemalige Politiker Franz Müntefering ebenso in der Süddeutschen z.B. mit dem Satz: „Die Würde des Menschen hat nichts zu tun damit, ob er sich selbst den Hintern abputzen kann. Nichts damit, ob er bis 100 zählen und ob er sich erinnern kann. Es gibt Menschen, die können das nie, und solche, die können das nach Krankheiten oder Unfällen oder altersbedingt nicht mehr. Lebten sie nicht in Würde?“

Die Diskussion ging schließlich im deutschen Fernsehen bei Günther Jauch weiter. Auch im Österreichischen Fernsehen wurde bei Ingrid Thurnher „ORF Im Zentrum“ unter dem Titel „Leben und Sterben lassen – Gibt es ein Recht auf den selbstbestimmten Tod? Diskutiert. Dank behindertenarbeit.at bei YouTube zum Nachschauen.

Akzeptanz von Sterbehilfe erschreckend hoch. Hintergrundwissen fehlt oft

Eine große deutsche Wochenzeitschrift hat sich unter dem Titel „Letzte Hilfe: Plädoyer für ein Sterben in Würde.“ ebenso in die Diskussion eingeklinkt. Die Artikel sind – verglichen mit anderen Medien – relativ ausgewogen und lassen auch mit einigen kritischen Tönen gegen die Sterbehilfe-Euphorie aufhorchen. „Jeder zweite Deutsche kann sich einen Selbstmord vorstellen, wenn er zum Pflegefall wird … doch die Forderung nach einem selbstbestimmten Tod bringt die Gefahr, dass sich alte Menschen aus dem Leben gedrängt fühlen.“

Auch eine österreichische Wochenzeitschrift, die das Thema Sterbehilfe immer wieder reißerisch aufgreift, hat entsprechende Zahlen veröffentlicht. Demnach können sich z.B. „69% der Österreicher vorstellen, ihrem Leben wegen schwerer Krankheit oder Demenz ein Ende zu setzen.“

Zwei Drittel wären darüber hinaus gegen eine Verankerung des Verbots der Sterbehilfe in der österreichischen Verfassung. Und: „49 % … glaubt außerdem nicht, dass sich Schwerkranke durch eine Freigabe der Sterbehilfe zum Sterben gedrängt fühlen könnten.“ Meine Kritik: Die Zahlen entstammen nicht aus einer objektiven Studie, denn es handelt sich um eine Umfrage der Wochenzeitschrift selbst. Die Tendenz dieser Zeitschrift ist eindeutig pro Sterbehilfe. Ein Foto des genauen Tötungsmittels, das in der aktiven Sterbehilfe in anderen Ländern angewendet wird, neben die Umfragezahlen zu veröffentlichen, ist m.E. mehr als unangebracht.

Grundsätzlich ist anzumerken, dass die Formulierung der Fragestellungen bei Umfragen eine entscheidende Rolle für das Ergebnis spielt. Die befragten Personen haben auch oft noch gar nicht über dieses Thema in Ruhe nachgedacht oder mit anderen diskutiert. Ihnen fehlen oft Hintergrundwissen und Alternativmöglichkeiten wie Palliativmedizin und das Hospizwesen. Oder sie haben noch immer nicht mit dem schwer erkrankten und behinderten, aber lebensfrohen Mann in der Nachbarswohnung gesprochen …

Bereits legale Sterbehilfe an Neugeborenen in den Niederlanden

Wie weit andere Länder bereits bei der Sterbe“hilfe“ gehen, zeigt das erschreckende Beispiel der Niederlande.

„Demnach ist es [durch einen Bericht der Ärzteorganisation KNMG] Medizinern erlaubt, die Behandlung Neugeborener mit geringer Lebenserwartung einzustellen und den Tod durch die Gabe von Muskelrelaxanzien aktiv herbeizuführen.“ Nachzulesen im deutschen Ärzteblatt.

Auch wenn es hier noch so strenge Auflagen gibt, dies ist m.E. ein Akt der absoluten Unmenschlichkeit und durch nichts zu rechtfertigen. Wie oft haben sich Ärzte und Ärztinnen schon in ihrer Diagnose und Prognose geirrt. Wie viele totgesagte Neugeborene haben sehr wohl noch viele, sehr viele Jahre weitergelebt. Ärzte sind keine Götter in Weiß. Und selbst wenn ein neugeborenes Menschenkind nicht lange überleben wird, warum lässt man ihm nicht die Zeit zum langsamen Abschiednehmen von den Eltern und zu einem natürlichem Sterben. Weil es „zu viel“ Geld kostet?

Demnächst Abstimmung: Sterbehilfe bei Kindern und Jugendlichen in Belgien

In Belgien ist die Sterbe“hilfe“ für Menschen über 18 Jahre bereits legal, vorausgesetzt, dass sie an einer unheilbaren Krankheiten „leiden“ und dies von Ärzten bescheinigt wird. Nun hat sich ein Ausschuss im Parlament eindeutig für die Ausweitung der Sterbehilfe ausgesprochen. Auch Kinder und Jugendliche sollen, wenn sie „todkrank“ sind und „leiden“ mit Zustimmung der Eltern Sterbehilfe in Anspruch nehmen können. Auch beim Lesen dieser Nachricht war ich fassungslos.

Wie emotional und sozial degeneriert sind diese Menschen, dass es (wieder) so weit kommt? Gerade in der schwierigen Zeit der Pubertät wird einem Jugendlichen eine so weitreichende, nicht mehr reversible Entscheidung zugemutet? Mir fallen Horrorszenarien ein: Eltern, die von Ärzten, Verwaltung und Gesellschaft unter Druck gesetzt werden. Eltern, die den Druck und ihre Hilflosigkeit an den jungen Menschen weitergeben. Diese schwerkranken Kinder und Jugendlichen sowie ihre Angehörigen brauchen doch gute und breite Unterstützung. Kinderhospiz statt Spiegelgrund.

Am 12. Februar 2014 wird im Belgischen Parlament noch einmal über den Vorschlag des Ausschusses diskutiert werden. Am darauffolgenden Tag stimmt das Parlament dann darüber ab. Es wird mit einer Befürwortung der Ausweitung der Sterbehilfe gerechnet. Ein Schicksalstag für viele schwer kranke Kinder und Jugendliche und deren Angehörige in Belgien. Aber auch ein Schicksalstag für Europa. Was kommt danach?

Selbstbestimmt Sterben – eine menschliche Bankrotterklärung

Der Überlebenstrieb eines Menschen ist stark. Unheimlich stark. Der Mensch kann angesichts einer lebensbedrohenden Situation Kräfte entwickelt, die er/sie nicht für möglich gehalten hätte. Überleben trotz widrigster Umstände. Weitermachen trotz hoffnungsloser Situation. Wann ist das menschliche Leben würdig und wann nicht? Das ist m.E. die falsche Frage. Menschliches Leben ist immer würdig. Es gibt unwürdige Umstände. Aber diese können wir ändern bzw. verbessern.

Angesichts der vielen schrecklichen Ereignisse und Zeiten in der menschlichen Geschichte, angesichts der Kenntnisse über die Gräuel in den KZs während des Nationalsozialismus, angesichts der aktuellen Bilder von Krieg, Folter und vom Morden z.B. in Syrien, ist für mich eine Forderung von „selbstbestimmt Sterben“ eine menschliche Bankrotterklärung. So viele Menschen haben trotz allem weitergemacht. Haben versucht, eine Nische zu finden. Haben überlebt, um zu berichten. Haben überlebt, um ihrer zukünftigen Generationen willen.

Der Begriff „selbstbestimmtes Leben“ darf nicht dahingehend umgemünzt werden, dass man ja „selbstbestimmt Sterben darf/soll/kann/muss“. Vor dem Sterben hat jeder/jede ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und gerade behinderte Menschen, denen es tagtäglich verwehrt wird.

Niemand lebt für sich allein

Jeder einzelne von uns hat auch eine Verantwortung wahrzunehmen. Das Leben genießen und dann rechtzeitig abtreten, das ist m.E. selbstsüchtig und feig. Wann ist das Leben würdig? Nur solange wir gesund sind, einen guten Job, eine herzeigbare Freundin/Freund haben? Nur solange wir uns ein Auto, zumindest einen Urlaub im Jahr und diverse Konsumgüter und Elektroschrott leisten können?

Die Menschheit ist ein Ganzes auf einem Planeten. Alles ist miteinander verbunden. Wir leben in einer Gesellschaft, in einer Gemeinschaft, in einer Familie, … Niemand lebt für sich allein. Jeder einzelne von uns hat auch seinem Gegenüber Respekt entgegenzubringen. Auch wenn oder gerade wenn es sich um alte, kranke und/oder behinderte Menschen handelt.

Persönliches Plädoyer für das Leben

Es geht bei der Sterbe“hilfe“-Debatte nicht bloß um ein Thema, eines von vielen, über das man diskutiert oder auch nicht, vor dem man die Augen verschließen kann. Es geht hier wortwörtlich um „Leben und Tod eines Menschen“. Eine nicht mehr rückgängig zu machende ernste Angelegenheit.

Die Selbsttötung ist grundsätzlich eine ganz persönliche, private Entscheidung. An den scheinbar wohlüberlegten, selbstbestimmten „Frei“tod ganz ohne emotionale Regungen wie Verzweiflung, Vereinsamung und Verbitterung kann ich nicht recht glauben. Wer wirklich „lebenssatt“ ist, keine Aufgabe mehr für sich oder andere findet und diesen Schritt wählt, der soll dies tun. Aber bitte nicht im Rahmen einer öffentlichen, medialen Selbstinszenierung.

Aktive Sterbe“hilfe“ und assistierte Selbsttötung dürfen m.E. nicht legalisiert werden. Der Dominoeffekt wäre angesichts des sozialen und ökonomischen Drucks verherrend. Zuerst ist es die freiwillige gesetzliche Möglichkeit, dann kommt der Druck auf alte und schwer kranke Menschen, dann auf chronisch kranke und behinderte Menschen und Menschen, die bei dem Leistungsthrill nicht mehr mit können. Und schließlich die „Vision“ der präventiven Sterbehilfe bei absehbarem baldigen „schweren Leid“.

Jedes Leben hat Würde, Wert und Recht. Wahre Würde erweist sich vielleicht gerade beim menschlichen Umgang mit „Leid“. Es ist für viele von uns nicht leicht, die Hand eines sterbenden Angehörigen zu halten, die Zeichen des Sterbens bei der Begleitung mitzuerleben. Abschiednehmen, es aushalten, wenn die alten, kranken Eltern oder nahestehende Menschen gehen, ist für niemanden leicht. Es gehört aber zum Menschsein dazu.

Ehrfurcht vor dem Leben

Diesen Begriff hat der deutsch-französische Arzt und Theologe Dr. Albert Schweitzer geprägt (gestorben 1965). Ich möchte diesen Terminus aufgreifen und in die Sterbe“hilfe“-Debatte mitbringen. Und für eventuell kritische Leserinnen und Leser: Für die Einsicht, dass das Leben und vor allem menschliches Leben einmalig und im ganz großen Maße wertvoll und unwiederbringlich ist, brauche ich keine Kirche, keine Religion.

Die Ehrfurcht vor dem Leben müssen wir vielleicht wieder entdecken. Sei es in der Natur, sei es in Extremsituationen, sei es im gewöhnlichen Alltag oder sei es in der respektvollen Begegnung mit einem Menschen.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich