Die Presse: Darf die moderne medizinische Forschung wirklich alles, was sie zu können erhofft? Gastkommentar von Gertraude Steindl (Generalsekretärin der "Aktion Leben Österreich").
Kommentar in „Die Presse“ erschienen:
Einer Familie in England ist jetzt – wie die Zeitungen berichtet haben – erlaubt worden, auf künstlichem Weg Embryonen erzeugen zu lassen, die vor dem Einpflanzen in die Gebärmutter der Frau genetisch untersucht werden (Präimplantationsdiagnostik, kurz PID). Überleben dürfen nur diejenigen Embryonen, deren genetische Ausstattung geeignet ist, ihrem zweijährigen Bruder möglicherweise bei der Überwindung einer todbringenden Krankheit (Thalassämie) zu helfen.
Michael Fleischhacker hat vor wenigen Tagen in dieser Zeitung für ein „Ja zu diesem Designer-Baby“ plädiert und gemeint, daß im konkreten Einzelfall ethische Prinzipien einer Güterabwägung zu opfern wären.
Ein gefährlicher Weg!
Daß Eltern für ihr krankes Kind kämpfen und daß sie sich an jede Heilungshoffnung klammern, dagegen läßt sich nichts einwenden. Fragwürdig ist jedoch, ob wir unsere moralischen Vorstellungen künftig jeweils an Einzelschicksalen orientieren sollen und ob die medizinische Forschung alles ausprobieren darf, was sie zu können hofft.
Eine höchst problematische und meines Erachtens unerlaubte Grenzüberschreitung findet bereits dort statt, wo Menschen künstlich gezeugt werden, um für andere Rohstoff zu liefern, das heißt, „verzweckt“ werden. Vergessen wir nicht: Wir alle haben als embryonale Menschen begonnen. Wir hatten allerdings das Glück, daß damals niemand eine Qualitätskontrolle an uns vollzog und unser Leben als mehr oder weniger wertvoll bewertete.
Wie wird es diesem Kind in England gehen – sollte es überhaupt die gesamte schwierige und risikoreiche Prozedur von In-vitro-Fertilisation, Präimplantationsdiagnostik und anschließender pränataler Diagnose überleben -, wenn es einmal später erfährt, daß es sein Leben nicht der Liebe seiner Eltern, sondern nur dem Umstand verdankt, der gesuchte Rohstofflieferant gewesen zu sein und alle neben ihm erzeugten Geschwister keine Lebenschance bekamen?
Wie wird der später Erwachsene damit umgehen, daß er der erste Fall einer wachsenden Zahl von Selektionsprozessen gewesen ist, die nur mehr Kinder mit ganz bestimmten genetischen Merkmalen, eben Designer-Babys, zulassen? Mit der Einzelfallethik, die jetzt so gerne propagiert wird, wird in Wahrheit Etikettenschwindel betrieben.
Es geht eben nicht um wenige Einzelfälle, sondern um die Perfektionierung der künstlichen Befruchtung und um das „perfekte Kind“. Und schon jetzt wimmelt es in den Medien von Eltern, die ebenso die Präimplantationsdiagnostik für sich beanspruchen wollen.
Die Präimplantationsdiagnostik ist – und darüber darf auch ein schweres Einzelschicksal nicht hinwegtäuschen – ein Selektionsinstrument mit gewaltigem gesellschaftspolitischem Sprengstoff. Sie gibt vor, wenigen Einzelnen Leid ersparen zu wollen und fügt es doch vielen anderen zu. Denjenigen, die trotzdem mit Behinderungen und Krankheiten geboren werden, droht das Schicksal, von der Gesellschaft als „unnötig“, als „vermeidbar“ angesehen zu werden. Sehr schnell wird ihnen die Solidarität der Gesellschaft, die sie ganz besonders dringend brauchen, entzogen werden.
Das ist keine Schwarzmalerei. Wie schnell das geht, kann man schon heute als Folge der Einführung der pränatalen Diagnose beobachten. Eltern von Kindern mit Down-Syndrom können ein Lied davon singen. Fehlt jetzt nur noch, daß die Krankenkasse in solchen Fällen „selber schuld“ sagt und die Kostenübernahme verweigert.