1950 wurde Dr. Heinrich Gross "wegen Mitschuld am Totschlag" zu zwei Jahren schweren Kerker verurteilt, doch der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren an das Landesgericht Wien rückverwiesen.

Ab den frühen 40er Jahren wurden in der damals als selbständiger Teil des Krankenhauses Baumgartner Höhe geführten kinderpsychiatrischen Einrichtung „Am Spiegelgrund“ behinderte Kinder und Jugendliche systematisch getötet und deren Gehirne für „wissenschaftliche Untersuchungen“ entnommen – Tötung von „unwerten Lebens“, wie es die Nationalsozialisten nannten.
1950 wurde Dr. Heinrich Gross „wegen Mitschuld am Totschlag“ zu zwei Jahren schweren Kerker verurteilt, doch der Oberste Gerichtshof hat das Verfahren an das Landesgericht Wien rückverwiesen.
Das Verfahren wurde nicht mehr aufgenommen, obwohl der Fall dreimal an die Justiz herangetragen wurde. In einem Ehrenbeleidigungsprozeß von 1981 stelle das Oberlandesgericht Wien rechtskräftig fest, „daß Dr. Heinrich Gross an der Tötung einer unbestimmten Zahl von geisteskranken, geistesschwachen oder stark mißgebildeten Kindern mitbeteiligt war“.
Zuletzt wurde die Justiz am 10. März 1997 mit dem Fall befaßt: Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) erstattete Anzeige.
„Wenn wir verhindern wollen, daß die mörderischen Ideen der NS-Rassenhygiene, der ´Ausmärzung´ geistig und körperlich Behinderter aus rassistischen und materiellen Gründen wiederkehre, ist es notwendig, die Verbrechen der NS-´Euthanasie´ aufzuhellen, die Opfer anzuerkennen und zu ehren und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.“ So der Prof. Neugebauer, Leiter des DÖW, denn „der Fall des ´Euthanasie´-Artzes Dr. Gross ist somit ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit der Republik Österreich.“
In den letzten Jahren hat sich die Faktenlage entscheidend verändert. Durch die Öffnung von Archiven in der BRD bzw. DDR und durch eine neue Dissertation läßt es sich nicht mehr vom Tisch wischen, daß der Verdacht auf Beihilfe zum Mord gerechtfertigt war bzw. ist. Totschlag sei verjährt, war die bisherige Begründung der Justiz – doch Mord verjährt nicht.
Der Nationalratsabgeordnete Karl Öllinger (GRÜNE) hat daraufhin eine Anfrage an den Jusitzminister gestellt, in der er wissen wollte, warum nach diesen Urteil kein Verfahren von der Staatsanwaltschaft Wien gegen Dr. Gross eingeleitet wurde.
Die Antwort barg eine Überraschung: Justizminister Michalek teilte mit: „Ein Vorhaben der staatsanwaltschaftlichen Behörden, diese Anzeige (des DÖW) zurückzulegen, wurde vom Ministerium nicht zur Kenntnis genommen. Vielmehr wurde um die Vornahme weiterer Erhebungen ersucht.“
Gross war auch 1995 und 1996 noch Gerichtsgutachter und hat für diese Tätigkeit rund 1 Mio. Schilling bezogen.
„Ich denke, wir sind es gegenüber den Opfern der Euthanasie, ihren Angehörigen, aber auch im Interesse der ÖsterreicherInnen insgesamt schuldig, hier das Recht einzufordern und die Vorfälle von damals sichtbar zu machen.“ so der Abgeordnete Öllinger, der verspricht „in der Sache nicht nachzulassen, bis hier Klarheit geschaffen worden ist.“
Fast 50 Jahre nach dem ersten Prozeß gegen den „Euthanasie“-Arzt Gross stellt das Justizministerium die Weichen für eine Wiederaufnahme.