Euro Banknoten

Der Kampf um das „assistierte“ Leben daheim – in Verruf und Benachteiligung

Betroffene und pflegende Angehörige werden weiterhin im Stich gelassen. Ignoranz gegenüber tatsächlichem Bedarf bei 24-Stunden-Assistenz ist der einzige gemeinsame Nenner aller Akteure auf Bundes- und Länderebene. Kommentar zur aktuellen Diskussion.

Während die geplante Neuregelung der 24-Stunden-Betreuung laufend für politische Kontroversen sorgt und zu Profilierungszwecken missbraucht wird, fühlen sich Menschen mit Behinderungen weiterhin im Stich gelassen.

Angehörige und Nahestehende, welche die Pflege und Betreuung schon immer völlig legal realisierten, sollen nach den bestehenden Plänen weiterhin bis zum Letzten ausgebeutet werden.

Trotz vieler Arbeitsgruppen und „Expertenmeinungen“ wird es keine Lösung der Pflegemisere geben, solange die wirklichen Bedürfnisse und Anliegen der Betroffenen beharrlich ignoriert werden. Das Gestaltungsprinzip „Nichts über uns ohne uns“ wird konsequent verweigert.

Haupthindernisse bedarfsgerechter Lösungen:

  1. Mangelhafte Solidarität gegenüber Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Erfolgreich abgeschoben, ausgesondert und endgelagert wird das Problem verdrängt. Verantwortung ist delegiert, Augen zu! Hauptsache wir – die es (noch) nicht betrifft – leben auf der Sonnenseite des Lebens
  2. das Märchen von den leeren Kassen: „Es tut uns leid“ (wie traurig). Verschleuderung von Volksvermögen auf der anderen Seite – Politik im Werte- Notstand
  3. die irrationale Angst davor, dass Angehörige an Pflege und Betreuung „verdienen“ könnten. Wie sie zusätzlich zur 24-Stunden-Betreuungs- und Pflegearbeit einer Erwerbsarbeit nachgehen sollen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, fragt niemand. Interessant ist auch, dass der unbegründete Neid- Komplex vieler Nicht- Betroffener noch wenige dazu veranlasst hat, die Herausforderung der Pflege daheim, freiwillig auf sich zu nehmen
  4. die Bevormundung, Betroffene dürften nicht beurteilen, welche Form der Unterstützung sie benötigen und nicht selber entscheiden, welche Ansprüche an Unterstützungsqualität und Qualifikation der Helfer sie stellen möchten
  5. die Sorge um die Existenzberechtigung des institutionalisierten Pflege- Systems, welches die wahren Bedürfnissen der Menschen negiert. Das Auslaufmodell der sogenannten „Heime“ und auch die an der Situation pflegebedürftiger Menschen verdienende monopolisierte ambulante Pflegeindustrie „pflegt“ gerne, vor allem die eigenen Interessen

Verkennung der Situation

Zwischen manchen richtigen Aussagen und Lösungsvorschlägen zu Pflege und Betreuung daheim, finden sich auch immer wieder Verhöhnungen Betroffener und ihrer pflegenden Angehörigen, z.B. durch folgende Sager:

Oberösterreichs Landesrat Josef Ackerl (SPÖ) in der Presseaussendung vom 12.4.07: „Jenen, die tatsächlich einer Rund-um-die-Uhr-Pflege bedürfen, kann als einzig sozial gerechte, für alle leistbare legale Alternative nur ein Platz im Alten- und Pflegeheim angeboten werden.“

ASBÖ Präsident Schnabl in der Presseaussendung vom 13.4.07: „… soll den Betroffenen keine Geldleistungen zur Verfügung gestellt werden: Zu oft wurde bisher das Pflegegeld als de facto Zuschuss zum Familieneinkommen gesehen, anstelle es für den Pflegebedürftigen aufzuwenden. In Zukunft sollen ausschließlich Sachleistungen zur Verfügung gestellt werden.“

Städtebund-Vizepräsident Heinz Schaden (SP) in der SN vom 22.3.2007 zur 24-Stunden-Pflege zu Hause: „Damit werden falsche Hoffnungen geweckt“ und „Die Menschen glauben, sie müssen nicht mehr ins Heim und erfahren dann oft eine gefährliche Mischung an Inkompetenz und Sprachverwirrung.“ In den privaten vier Wänden könne nicht dieselbe Qualität geboten werden wie in einem Pflegeheim.

In einem TV- Beitrag zur umstrittenen „Ashley-Behandlung“ ORF ZiB2 (Fr. 05.01.07) kam die Leiterin einer stationären NÖ Behinderteneinrichtung für Kinder zu Wort: „…. eine 24-Stunden-Pflege ist im privaten Rahmen gar nicht möglich“

Das war nur eine kleine Auswahl von Äußerungen, die den Stellenwert beleuchten, welcher der Arbeit pflegender Angehöriger beigemessen wird, die zwar mehr als 80 % der gesamten Pflegeleistung in Österreich erbringen, jedoch mit weniger als 20 % der Pflegebudgets abgespeist werden. Leider lösen derartige Äußerungen keinen Sturm der Entrüstung aus.

Kostenwahrheit?

Die Pflegeheimkosten betragen bei höchstem Pflegebedarf monatlich bis zu 9.000 Euro und mehr. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf eines „Hausbetreuungsgesetzes“ werden durchschnittliche Heimkosten in Höhe von 2.500 bis 3.000 Euro als Vergleichsbasis für die 24-Stunden-Betreuung daheim genannt. Es entsteht ein völlig falscher Eindruck, weil diese Durchschnittskosten (vermutlich über alle Heime und alle Pflegestufen), als Referenzwert und Obergrenze für die Pflege daheim herangezogen und verstanden werden.

Es ist jedoch Bund, Ländern und Gemeinden sehr wohl bewusst, dass 24-Stunden-Unterstützung erst im Bereich von etwa 7.000 bis 14.000 Euro (je nach „Pflege“- Anteil) zu menschenwürdigen Bedingungen und im arbeitsrechtlichen Rahmen vernünftig realisierbar ist, wie aus Pilotprojekten und Einzelfall- Lösungen zur „Persönlichen Assistenz“ durchaus üblich und bekannt ist.

Bei sozialer Bedürftigkeit, die in den allermeisten Fällen bei höchstem Pflegebedarf vorliegt, werden die Kosten in so genannten „Heimen“ von den Bundesländern im Rahmen der Sozialhilfe zum Großteil übernommen, obwohl es sich um aussondernde, künstliche Lebenswelten handelt, die einer gleichberechtigten und selbstbestimmten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben diametral entgegenstehen.

Verfassungswidrigkeit?

Unterstützungen für „Persönliche Assistenz“ gibt es erst in Ansätzen in einigen Bundesländern. Die Weigerung der Länder, Kosten für die 24-Stunden-Pflege/Betreuung daheim, nicht in vergleichbarem Maße – nämlich tatsächlich „bedarfsdeckend“ (wie in den Heimen) – beizutragen, halten Betroffene und Co-Betroffene pflegende Nahestehende für zutiefst ungerecht, menschenrechts- und verfassungswidrig.

Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde gegen die NÖ Landessozialbehörde wurde bereits am 23.1.2007 eingebracht. Die Entscheidung des VfGH, ob dieses heiße Eisen überhaupt angefasst wird, steht bis dato noch aus.

Man darf gespannt sein, ob der österreichische Verfassungsgerichtshof diese eklatante Verletzung von Gleichbehandlungsrechten weiterhin toleriert.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0 Kommentare

  • Wiederum drohen Strafen für viele tausende PFLEGEbedürftige. Für diese bleibt noch immer keine andere Wahl, als die „illegale“ Selbsthilfe; Ostpflegerinnen, die nicht mehr kommen wollen; Pensionisten, die nicht wissen, wie sie ihre PFLEGE finanzieren können; alte Menschen, die dem Bürokratie- Dschungel nicht gewachsen sind; kriminalisierte Hilfebedürftige, die nun in existenzieller Angst leben; Tausende Menschen, die verzweifeln; eine verkorkste Scheinlösung, die alle Expertenmeinungen ignorierend – nach dem Motto „Augen zu und durch“ – durchgeboxt wurde.

  • Nachtrag 2: Eine VfGH-Abweisung mit vager Begründung „geringer Erfolgschancen“, ist in der Wirkung immer eine Entscheidung – also definitiv ein „Urteil“ – zu ungunsten des beschwerdeführenden Bürgers und im Sinne des beklagten „Apparates“! Ist das ein faires Verfahren und ist es im Sinne des Souveräns?
    Wieviele Abweisungen gibt es und sind die Protokolle dieser Entscheidungen öffentlich zugänglich? Welche Prüfungskriterien werden für die Beurteilung der „Behandlungswürdigkeit“ angelegt? Wie würde ein eventueller Missbrauch aus Staatsräson, den ich zu unterstellen mich hüte, verhinderbar sein?

  • Nachtrag zum vorigen Posting: Lasse ich mich vielleicht zu weit aus dem Fenster hinaus, das Höchstgericht anzweifeln? Mitnichten, ich stelle nur Fragen und habe Zweifel über die Handhabung dieser Autorität, stelle sie nicht in Ihrer Funktion und Notwendigkeit in Frage. Dieses Sakrileg möchte ich nicht begehen, es geht nicht darum, die Autorität dieser höchsten staatlichen Institution anzuzweifeln. Im Gegenteil es geht darum, tatsächlich Urteile einzufordern, das ist der Auftrag jeden Gerichtes!
    Die Verfassung anzurufen, geschieht ja nicht aus Jux und Tollerei, sondern weil sich Bürger bei den bisherigen Instanzen nicht gerecht bzw. verfassungskonform behandelt fühlen. Es ist daher von höchstem Interesse des gesamten Volkes, dass in JEDEM Fall eine „Entscheidung“ gefällt wird, die auch zu akzeptieren ist!
    Ich meine, die Bürger haben ein Recht darauf! Verfassungsrichter werden vom Volk nicht dafür bezahlt, eine vage Prognose über die Erfolgsaussichten abzugeben. Ich bin überzeugt, dass hier Reformbedarf im Sinne des Souveräns – des Volkes – besteht!
    Es geht um einen Passus, demzufolge die Behandlung von Beschwerden abgewiesen werden können, wenn der VfGH geringe Aussicht auf Erfolg zu sehen vermeint. Wie kann er das sagen, ohne das Vorbringen erschöpfend zu behandeln? Wenn es eine „Vorentscheidung“ ist, warum nicht gleich ein wasserdichtes Urteil? Wenn es aber nur ein „Gefühl“, eine vage Prognose ist, darf damit nicht Staat gemacht werden, das müsste eigentlich einleuchten!

  • Die Behandlung von zwei VfGH- Beschwerden nach dem Benachteiligungsverbot wurde mangels “Erfolgsaussicht“ abgewiesen. Ist es nicht nachvollziehbar, eine Aussichtslosigkeit vorhersagen zu können, wenn ein Interesse an einem bestimmten Ergebnis vorliegen würde. Ich wüsste nur zu gerne, was denn überhaupt Benachteiligung wegen Behinderung nach Verfassungsartikel 7 sein könnte!
    Ist unsere Politik und Verwaltung in Fragen der vielfältigen Diskriminierungen von völliger Blindheit geschlagen und von Ignoranz gegenüber elementaren Menschenrechten hilfebdürftiger Menschen geprägt? Sind Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot (B-VG Art. 7 Abs. 1 dritter Satz, 1997) im Sozialhilfebereich sogar für die letzte nationale Instanz – den „unantastbaren“ Verfassungsgerichtshof – uninteressant? Ist die jahrelange Behandlung der Ortstafelfrage so viel wichtiger?
    Es ist für ein Höchstgericht rechtsstaatlich äußerst bedenklich, Themen die mühsam den Instanzenweg durchgetragen wurden, was bei denen die Recht suchen auch erhebliche Kosten verursacht hat, als „nicht behandlungswürdig“ abzuweisen! Das erschüttert meine Meinung über die Autorität dieser Instanz und mein Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit unserer Republik gewaltig. Vielleicht sollte man um der Wahrhaftigkeit willen, das Benachteiligungsverbot wieder aus der Verfassung streichen?
    Die Möglichkeit, dass der VfGH Fälle nach „Behandlungswürdigkeit“ selektieren darf, ist in sich ein Anachronismus, eine „Relativierung der Verfassung“, ein Schlupfloch für “verfassungsmäßigen“ Verfassungsbruch! Hier werden andere Verfassungsbestimmungen und Menschenrechte (Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) ad absurdum geführt?

  • Nachtrag zur Verfassungsbeschwerde, letzter Absatz obigen Artikels: Mögliche Verletzung von Gleichbehandlungsrechten wird vom VfGH ignoriert. Begründung: Abweisung der Behandlung durch das Höchstgericht mangles „Erfolgsaussicht“. Sehr clever … (Fortsetzung folgt)!

  • @ anonym: 3.000 im „Durchschnitt“, genauso wie bei den sogenannten „Heimen“, aber „von bis“ wenn es bedarfsdeckend und gerecht sein soll (auch wie in den Heimen), wie Sie im letzten Satz auch einräumten. Ich halte aber nichts von Einzelfalllösungen, die dann nur jenen zugute kommen, welche lange genug, beharrlich und lautstark genug Bedarf reklamieren.
    Voraussetzung echter Lösung: „Rechtsanspruch“ auf bedarfsdeckende Pflege, z.B. mit Pflegestufen „acht“ und höher (bzw. „offene“ PG-Stufe). Weg vom „medizinischen“ Modell zu einer Gesamtsicht des Unterstützungsbedarfs (Betreuung und Lebensassistenz einbezogen). Eine Bedarfsermittlung durch echte Pflegeexperten und nicht durch inkompetente Bürokraten! Warum Ärzte, die bezüglich „Pflege“ meist nicht kompetent sind, die Einstufungen vornehmen, ist mir rätselhaft, es entspricht ja nicht einmal ihrer Ausbildung!
    Eigentlich wäre das Pflegegeld, so wie ursprünglich (bedarfsdeckend) konzipiert die Lösung, wäre das PG-Gesetz nicht nach Einführung durch den Kahlschlag am Pflegegeld sofort wieder (meiner Meinung nach gesetzlich nicht gedeckt) demontiert worden. Der nun als immer kleiner gewordene „Zuschuss für pflegebedingte Mehraufwendungen“ lässt das System nun kollabieren.

  • @ anonym: a) kurzsichtig gedacht, und nur Scheinlösung, die das ohnehin niedrige Lohnniveau für Pfleger und Assistenten empfindlich nach unten drücken wird. Eine Lösung, die auch für Inländer lukrativ wäre, würde aufgrund der Umwegrentabilität (Arbeitsplätze, geringerer Geldabfluß, Kaufkraft) dem Haushalt Österreich unterm Strich viel mehr bringen, als es auf den ersten Blick scheint. b) wenn in den 24 Stunden „echte“ Freizeit und Nachtruhe (ohne Dauerbereitschaft) dabei ist, wäre das für viele Assistenten vielleicht OK, hieße aber in Fällen hohen Unterstützungsbedarfes, dass trotz „Blockdienst“ mindestens 2-3 Personen „gleichzeitig“ engagiert sein müssten. c) Zustimmung, pflegende Angehörige haben meist höchste Kompetenz erworben und schulen oft die angeblich „professionellen“ Helfer ein oder die Betroffenen Experten in eigener Sache leiten die Assistenten selber an. „Qualität“ ja (und von mir aus auch Kontrollen, wenn der Staat zu viel Geld hat) aber das Beharren auf Diplome ist in den meisten Fällen kontraproduktiv. Wer als Betroffener nicht (mehr) selbst urteilen kann, hat einen Sachwalter bzw. Vertrauensperson welche die Verantwortung tragen (bei Bedarf von externen Fachkräften unterstützt). d) Zustimmung. Es ist unsinnig, soziale Transferleistungen mit Abgaben zu belasten, solange sie so wie das Pflegegeld auf so geringem Niveau sind. Lohnnebenkosten müssten vollständig von der öffentlichen Hand getragen werden.

  • Sehr guter Beitrag. Ich glaube aber schon, dass man mit € 3.000 / Monat idR auskommen könnte, wenn man
    a) damit aufhört, das Nutzen des Lohngefälles zu Osteuropa als „Ausbeutung“ zu diffamieren – es ist für beide (!) Seiten ein gutes Geschäft
    b) einsieht, dass stark geblockte Dienstzeiten nicht automatisch „menschenunwürdig“ sind – vielen ist das lieber als tägliche 9-to-5-Routine, weil man ja auch größere Freizeitblöcke hat (und für Pendler ist’s sowieso besser)
    c) auf das Geschrei nach „Qualifizierung“ verzichtet – ist idR nicht notwendig und erhöht nur die Lohnforderungen
    d) der Staat die Dienstgeberabgaben zur SV etc. übernimmt – er zahlt sie sich ja quasi eh nur selbst von der linken in die rechte Tasche

    Für besonders schwere „Fälle“ müssen natürlich auch Einzelfalllösungen möglich sein, die mehr kosten.