Der Kampf um das „teilhabende“ Leben – in Bedrängnis

Zweifelhafte Ökonomie nach dem Motto: Der Staat muss sparen, koste es was es wolle!

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Daheim-statt-Heim

Stagnation in der Behindertenpolitik über viele Jahre, zuletzt auch eingeleitete Rückschritte und große Unsicherheiten über den weiteren Kurs auf Bundes- und Länderebene, lösen bei Menschen mit Behinderung große Befürchtungen und Zukunftsängste aus. Wird eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, weiterhin einem vorgetäuschten Wirtschaftlichkeitsdenken unterworfen?

Laut Behindertenhilfe- und Sozialhilfegesetzen hätte jeder Mensch in Österreich Rechtsanspruch auf ein menschenwürdiges Leben, laut Verfassung sogar das Recht darauf, nicht benachteiligt zu werden. Es gibt ein großes Verwirrspiel, auf welche Hilfen behinderte Menschen denn nun konkrete Ansprüche hätten. Es herrscht auch die Meinung vor, dass z.B. ein Grundrecht auf Pflege und Menschenwürde erst in der Verfassung verankert werden müsste, da ansonsten die Hilfen für Menschen mit Behinderung immer nur auf Almosen beruhen und am Rande der Existenzberechtigung stattfinden würden.

Gibt es Bestrebungen, bei der Hilfe für Menschen mit Behinderungen, das Rad zurückzudrehen? Heißt es für behinderte Menschen weiterhin: Bittstellertum, Befürsorgung und Fremdbestimmung oder gar wieder „Ab ins Heim„?

Hilfe oder Verwertung?

Wollen wir Menschen mit Hilfebedarf und ihren berechtigten Bedürfnissen in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellen oder ihr Angewiesensein auf Unterstützung, für eigene Zwecke missbrauchen?

Die Versuchung der politischen Entscheidungsträger und ihrer Ratgeber sowie von Leistungsanbietern lautet: Ausnützen für Gewinn- und Marktanteile am boomenden Pflegemarkt, Absicherung und Festigung des eigenen Status als Wohltäter für gesellschaftliche Anerkennung und politische Profilierung, für Arbeitsmarkt-Kosmetik oder für Staatshaushalts-Konsolidierung zu Lasten der schwächsten und abhängigsten Minderheit. Letztlich geht es nur um Macht, nach dem Motto „wer zahlt, schafft an“!

Obwohl „Persönliche Assistenz“ in Reinkultur eindeutig die effizienteste Form der Hilfe, mit den besten volkswirtschaftlichen und humanitären Auswirkungen ist, hat dieses Modell, durch seine absolute Dezentralisierung und Vermeidung jeglicher unnötiger Overheadkosten, wenig Attraktivität für all jene Trittbrettfahrer, die „mitnaschen“ möchten.

Bedarfsgerechte Hilfe?

Das Hauptproblem des österreichische Pflegesystems ist, dass Hilfe in zu geringem Maß bei den Betroffenen in der Weise ankommt, wie sie tatsächlich benötigt wird. Der größte Teil der Geldmittel, die für Eingliederung und selbstbestimmte Teilhabe gedacht wären, fließt in ein institutionelles System der Segregation und in ein bevormundendes Quasi-Monopol der „anerkannten“ ambulanten Dienstleister.

Betroffene können nicht über Tagesabläufe bestimmen, ihre pflegenden Personen nicht aussuchen. Im ambulanten und mobilen Bereich gibt es zwar eine Vielzahl verschiedener Dienste, deren Befugnisse haben aber wenig Bezug zur Alltagspraxis. Die gesamte Organisation der etablierten Anbieter von Heimhilfen, Betreuungs- und Pflegediensten entspricht nicht den Bedürfnissen von Menschen mit erhöhtem Hilfe- und Assistenzbedarf im alltäglichen Leben. Die Selbstorganisation informeller Hilfe sowie von „Persönlicher Assistenz“ auf Grundlage bedarfsdeckender Geldleistungen wäre eine effizientere und bedürfnisgerechtere Form der Hilfe – wenn wir das wollen!

Benachteiligungsverbot

Die Bundesverfassung, B-VG, Art. 7, Abs. 1 sieht eine gleichberechtigte und benachteiligungsfreie Teilhabe behinderter Menschen an unserer Gesellschaft vor. Dort heißt es seit 10 Jahren: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“ Vermutlich ist dieses Benachteiligungsverbot die am meisten ignorierte Bestimmung unseres Grundrechtskatalogs. Nach 10 Jahren ist es an der Zeit, diesen Paragraphen zum Leben zu erwecken!

Pflegegeld reicht lange nicht mehr aus

Das Bundespflegegeld ist, obwohl laut §1 BPGG vom Gesetzgeber ursprünglich anders vorgesehen („soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern“), inzwischen durch die permanente Nichtvalorisierung sowie aufgrund enormer Preissteigerungen bei Hilfsdiensten zu einem immer geringeren Zuschuss für pflege- und behinderungsbedingte Mehraufwendungen verkommen. Für behinderte Menschen ist es schon lange nicht ausreichend, um sich die benötigten Hilfen anzukaufen.

Dies kritisierte kürzlich auch der Rechnungshof: „Nur zwischen neun und 26 Prozent der tatsächlichen Pflegekosten werden durch das Bundes-Pflegegeld abgedeckt“, berichtete „Der Standard“. Die maßlose Ungerechtigkeit daran ist, dass das System der „Heime“ und auch einiger mobiler und ambulanter Dienstleister mit Landespflegezuschüssen und Subventionen kostendeckend versorgt wird, der absolut größte und effizienteste Pflegedienst – das informelle Hilfesystem – jedoch ausgehungert, ausgebeutet und verhöhnt wird.

Persönliches Budget für individuell bedarfsdeckende Assistenzleistungen

Die unbürokratische Art selbst zu organisierender informeller Hilfen bzw. „Persönlicher Assistenz“ nach dem Arbeitgebermodell, ist für die meisten Menschen mit Behinderung die beste Möglichkeit, ein menschenwürdiges Wohnen in selbst gewählter Form, mit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Selbstbestimmung, im privaten Rahmen durch bedarfsorientierte Hilfen führen zu können.

Nationale und internationale Erfahrungen

haben hinlänglich bestätigt, dass Hilfe nach den Grundzügen „persönlicher Hilfe (Assistenz)“ mit bedarfsdeckenden „Geldleistungen“ (anstatt von Sachleistungen) nicht nur die optimalste Unterstützung darstellt, um Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu stärken, sondern auch, dass es sich damit um eine wesentlich effizientere und menschenwürdigere Form handelt, als Menschen in (Aus-)Sonder(-ungs)-Anstalten abzuschieben und zu „befürsorgen“.

Die österreichische Bürgerinitiative „Daheim statt Heim“ tritt für ein Assistenzleistungsgesetz nach schwedischem Vorbild ein. Das „Persönliche Budget“, wie es derzeit in Deutschland eingeführt wird, sollte auch in Österreich der nächste Schritt zur Lösung des Pflegenotstandes und Politiknotstandes sein.

UN-Konvention – Zeitgemäße Behindertenhilfe

Diese nötige zeitgemäße Neuausrichtung der Behindertenhilfe wird auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (unterzeichnet im März 2007) klargestellt und bald auch international verbindlich. In Artikel 19 dieses Übereinkommens ist normiert, dass „Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Wohnsitz zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben“.

Also keine Heime und mehr Unterstützung in der selbst gewählten Wohnform. Konkret ist gefordert: „… Zugang zu einer Reihe von häuslichen, institutionellen und anderen gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in und der Teilhabe an der Gemeinschaft sowie zur Verhütung von Isolation und Absonderung von der Gemeinschaft notwendig ist.“ Jeder Betroffene soll auswählen können, welche Form der Unterstützung die geeignetste für ihn ist.

Raus aus dem sozialen Eck!

Ein auf Teilhabe-Förderung und Nachhaltigkeit auszulegendes Hilfesystem darf bei langfristigem Pflege- und Assistenzbedarf nicht auf Sozialhilfe bei unterstem Notstandsniveau basieren, welche nur zur Überbrückung kurzfristiger Notlagen konzipiert ist.

Bedarfsgerechte Pflege und Assistenz ist Menschenrecht!

Die Verweigerung bedürfnisgerechter und bedarfsdeckender Unterstützung von Hilfe- und Assistenzleistungen für behinderte Menschen widerspricht der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nicht nur in der Feststellung von Gleichheit und Brüderlichkeit aller Menschen, sondern auch in der Aussage über Begabung mit Vernunft und Gewissen, da heißt es in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“

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