In unserem Nachbarland hat die öffentliche Debatte zum Thema "Sterbehilfe" über die Feiertage eine kurze Pause eingelegt. Doch knapp vor Weihnachten meldete sich noch der Deutsche Ethikrat mit einer Ad-hoc-Empfehlung zu Wort. Ein Kommentar.
Sich damit auch in Österreich etwas mehr zu beschäftigen, ist angesichts der Brisanz der darin gemachten Aussagen unerlässlich.
Und: Wird die Österreichische Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt den Empfehlungen des Deutschen Ethikrat folgen?
Der Hintergrund
In Deutschland, wo die aktive Sterbehilfe wie auch in Österreich verboten ist, ist im Gegensatz zu unserem Land die Beihilfe zur Selbsttötung erlaubt. Seit längerem wird in Deutschland nun diskutiert, ob auch Ärzten diese Suizidbeihilfe erlaubt werden soll. Denn bislang ist es ihnen zumindest durch die Bundesärztekammer untersagt.
Wenn gleich es ein paar in den Medien präsente Ärzte gibt, die Graubereiche nützen, um schon jetzt einem schwer kranken und lebensmüden Menschen zum Beispiel einen selbst gemixten tödlichen Medikamentencocktail zur Verfügung zu stellen.
Die Argumentationslinie der Empfehlung
Der Empfehlung ging zunächst eine öffentliche Plenarsitzung des Deutschen Ethikrates im November 2014 voraus. Die im Internet veröffentlichten Audiomitschnitte und Präsentationen von Vortragenden können übrigens hier nachverfolgt werden.
In dieser am 19. Dezember 2014 veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung mit dem Titel „Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft: Deutscher Ethikrat empfiehlt gesetzliche Stärkung der Suizidprävention“ stellt der Ethikrat zunächst klar:
- „Ja“ zur Stärkung und flächendeckenden Etablierung von Hospiz- und Palliativversorgung.
- „Ja“ zur Stärkung von Maßnahmen in der Suizidprävention, Behandlung und Forschung.
Hier weist der Ethikrat auf folgenden Umstand hin: Von den etwa jährlich 100.000 Menschen, die in Deutschland einen Suizidversuch unternehmen, ist nur „ein kleiner Teil“ von einer „absehbar knapp begrenzten Lebenserwartung oder fortschreitenden Erkrankung“ betroffen.
Auch wenn in Deutschland weder ein Suizid noch eine Beihilfe zu einem im rechtlichen Sinne frei verantwortlichen Suizid strafbar sind, soll nach Auffassung der Mehrheit des Ethikrates „Suizidbeihilfe sowie ausdrückliche Angebote dafür untersagt werden, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind, öffentlich erfolgen und damit den Anschein einer sozialen Normalität ihrer Praxis hervorrufen könnten.“
Suizidbeihilfe kann also nur eine individuelle Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen sein. Damit wird Überlegungen zur Schaffung eines wählbaren Regelangebots von Ärzten oder einer Dienstleistung eines Vereins (à la Dignitas), die geeignet wären, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen, eine klare Absage erteilt.
Die (Schlüssel-)Rolle des Arztes
Der deutsche Ethikrat stellt somit klar, dass die „Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe ist“. Er betont weiter, dass in einem vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis, d.h. in einem geschützten Raum, natürlich Gespräche über suizidale Gedanken bzw. Absichten geführt werden können. Der Patient soll dabei eine lebensorientierte Beratung und Begleitung durch den Arzt erhalten.
Aber dann wird festgestellt: „Die Mehrheit des Deutschen Ethikrates empfiehlt, dass die Ärztekammern einheitlich zum Ausdruck bringen sollten, dass ungeachtet des Grundsatzes, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe ist, im Widerspruch dazu stehende Gewissensentscheidungen in einem vertrauensvollen Arzt-Patient-Verhältnis bei Ausnahmesituationen respektiert werden.“
Die Kernaussage im Wortlaut
„Zusätzlich zum angekündigten Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung empfiehlt der Deutsche Ethikrat vor diesem Hintergrund die gesetzliche Stärkung suizidpräventiver Maßnahmen und Strukturen und eine Mehrheit des Ethikrates ein Verbot der Suizidbeihilfe sowie ausdrücklicher Angebote dafür, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind und öffentlich erfolgen. Zudem ist eine Mehrheit des Ethikrates der Auffassung, dass der Gesetzgeber im Betäubungsmittelrecht klarstellen sollte, dass eine im Ausnahmefall erfolgende Verschreibung von Betäubungsmitteln auch im Rahmen einer Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid nicht strafbar ist.“
Der Wolf im Schafspelz. Eine persönliche Bewertung
Man kann es drehen und wenden, wie man möchte. Ich sehe hier die „Büchse der Pandora“ ein Stück weit geöffnet. Falls es für Ärzte in Deutschland wirklich die Möglichkeit geben sollte, in Ausnahmefällen eine Hilfe zur Selbsttötung zu geben, kann dadurch der Stein ins Rollen kommen. Dieser Funken fällt (nicht nur) in Deutschland auf fruchtbaren Boden. Die Mehrheit der Deutschen ist der Lockerung auf dem Gebiet der Sterbehilfe gegenüber positiv eingestellt. Aus dem Funken kann ein Flächenbrand werden.
Mir fallen sofort viele Fragen ein: Ab welcher Zahl kann man nicht mehr von Ausnahmefällen sprechen? Von wem wird eine Grenze festgesetzt? Wie schaut es mit Kontrollen aus? Werden diese Zahlen/Fälle dokumentiert? Gilt diese Art der Suizidbeihilfe auch für psychische Erkrankungen? Wie kann Missbrauch vermieden werden? Vor allem in Großeinrichtungen, sprich Pflege- und Altenheimen? Kann dadurch das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht erheblichen Schaden nehmen? Gibt es den „frei verantwortlichen Suizid“ wirklich?
Und: Papier ist geduldig. In einer schriftlichen Stellungnahme, in einem Gesetz, in einer Verordnung, in einem Handbuch kann vieles geschrieben stehen. Dort kann differenziert werden, dort kann ausgeholt und können verschiedene Aspekte dargestellt werden. Aber wie schaut die Realität und eine mögliche Praxis aus? Angesichts immer knapper werdenden Personal- und Zeitressourcen?
Inwieweit die Empfehlung des Deutschen Ethikrates in die Politik einfließt, ist noch offen. Für Österreich hat die Bioethikkommission des Bundeskanzlers im vergangenen Herbst angekündigt, bereits Ende 2014 erste Ergebnisse einer eigenen Arbeitsgruppe zu der Thematik vorliegen zu haben. Bis dato war zumindest für die Öffentlichkeit noch nichts zu vernehmen.
Der Deutsche Ethikrat hat mit seiner Schlussbemerkung zum Teil Recht: In Deutschland herrscht eine Vielfalt moralischer Überzeugungen in der Bevölkerung. Dieser Vielfalt möchte er Rechnung tragen. Ebenso einzigartig ist jede einzelne Situation, jede einzelne Entscheidung und Erfahrung. Und – im letzten Satz – möchte der Ethikrat „die Wertschätzung jedes Menschen bekräftigen, unabhängig davon, wie leistungsfähig oder hilfsbedürftig er ist.“
Das hätte er meiner Meinung nach als Grundsatz über die ganze Empfehlung schreiben sollen.