Deutsches Sterbehilfe-Urteil ist erschreckend!

Deutsches Sterbehilfe-Urteil öffnet Tür und Tor zu einer bedenklichen Entwicklung. aktion leben Vorstandsmitglied Franz-Joseph Huainigg warnt vor den Folgen dieses Urteils.

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aktion leben befürchtet angesichts Erfahrungen in anderen Ländern, dass der gesellschaftliche Druck auf Kranke und Menschen mit Behinderungen immens verstärkt wird: Der Wunsch zu sterben entsteht oft, wenn man anderen Menschen aufgrund seines eigenen Pflegebedarfs zur Last fällt.

„Hebt man das Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung auf, wächst bei den Betroffenen der Druck, sich dafür zu rechtfertigen überhaupt weiterzuleben und von anderen unterstützt und gepflegt zu werden“, warnt Franz-Joseph Huainigg, Vorstandsmitglied von aktion leben österreich. Und: „Wenn die Autonomie des Einzelnen absolut gesetzt wird, gefährdet sie die Autonomie aller anderen.“

Viele schwerwiegende offene Fragen

Das Urteil wirft viele Fragen auf, die auch für die Debatte und für Urteile in Österreich trotz grundlegend anderer Rechtslage relevant sind: Eine große Frage ist, wie man sozialen Druck zur Selbsttötung wirklich verhindern will, wenn Pflege als beständige Kostenfrage problematisiert wird.

Sehr bedenklich ist das Urteil, da es rein auf die Selbstbestimmung abstellt: Kann dann auch ein 14-jähriger Mensch gegen den Willen der Eltern Unterstützung für einen Selbstmord erwirken? Sind DemenzpatientInnen in Gefahr, die ihren Willen nicht mehr äußern können, deren Betreuung aufwändig und kostenintensiv ist?

Sterbewunsch ist Hilferuf

Franz-Joseph Huainigg betont: „Tötung ist keine Antwort auf Not und Verzweiflung, auf Ängste und Sorgen. Der Sterbewunsch, der entsteht, ist in Wirklichkeit ein Hilferuf, auf den wir anders reagieren müssten: mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe.“

Der Wunsch zu sterben entstehe so gut wie immer durch Einsamkeit, Schmerz und Perspektivlosigkeit. aktion leben fordert daher einen Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizbetreuung.

Für eine Kultur des Beistands und der Trauer

Huainigg erinnert an die parlamentarische Enquetekommission „Würde am Lebensende“ 2015: Dort berichteten PalliativmedizinerInnen durchgängig von der Erfahrung, dass der Sterbewunsch sich in einen Lebenswunsch verwandelt, sobald Schmerzen durch Palliativmedizin beseitigt werden, es persönliche Perspektiven gibt und die Menschen Ansprache und menschliche Wärme empfangen.

„Es braucht daher eine Kultur des Beistandes und es braucht eine Kultur der Trauer“, ist aktion leben-Vorstandsmitglied Franz-Joseph Huainigg überzeugt.

Maßnahmenkatalog von aktion leben: Leben muss geschützt werden

Viele Maßnahmen für bedarfsgerechte und menschenwürdige Betreuung und Begleitung am Lebensende fehlen. aktion leben verweist auf ihren „Maßnahmenkatalog für ein lebensfreundliches Österreich“.

Die Forderungen von aktion leben sind aktueller denn je. Die ersten drei lauten: Leben bis zuletzt muss geschützt werden, daher fordert aktion leben, das Grundrecht auf Leben in der Verfassung zu verankern. Gleichzeitig soll es einen Rechtsanspruch auf Betreuung durch Hospiz- und Palliativeinrichtungen für schwer kranke und sterbende Menschen geben. Alle Angebote der abgestuften Hospiz- und Palliativbetreuung sind in der Regelversorgung auszubauen.

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9 Kommentare

  • Ich kann alle diese Befürchtungen sehr gut verstehen, aber was ist, wenn z.B.ein alter Mensch einfach nicht mehr leben will, weil ihm alles schon zu beschwerlich ist und er um keinen Preis von der Hilfe anderer abhängig sein will?

  • Sehr geehrter Herr Huainigg,

    herzlichen Dank für Ihren Beitrag, dem ich als Mensch mit einer vererblichen fortschreitenden Behinderung nur in allen Punkten zustimmen kann. Ich wünsche Ihnen viel Kraft für Ihre politische Arbeit.

    Mit freundlichen Grüßen, Birgit Stenger

  • Hallo
    Hier das Gerichtsurteil zum nachlesen.
    Urteil zur Sterbehilfe
    Verfassungsrichter normieren „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“
    Das Verbot geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung ist verfassungswidrig. Staat und Gesellschaft müssten die Entscheidung Sterben zu wollen „als Akt autonomer Selbstbestimmung“ respektieren, so das Bundesverfassungsgericht.
    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, Christine Langenfeld (l-r), Doris König, Monika Hermanns, Sibylle Kessal-Wulf, Vorsitzender Andreas Voßkuhle, Peter M. Huber, Johannes Masing und Ulrich Maidowski, verkündet das Urteil zum Sterbehilfe-Verbot.
    © Uli Deck/dpa
    Karlsruhe. Das Grundgesetz gewährleistet ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“. Das hat am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden. Es verwarf das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung als verfassungswidrig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließe „die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“. Durch Strafnorm werde aber „ die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend entleert“.
    Der Gesetzgeber dürfe die Suizidhilfe aber regulieren. Für Ärzte und Apotheker erfordere das Urteil „eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts“. Auch im Betäubungsmittelrecht könnten Anpassungen notwendig werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Strafvorschrift aber für „nichtig“, sprich: sie gilt als nicht geschrieben. Gleichzeitig stellten die Karlsruher Richter klar, „dass es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht geben darf“.
    Akt autonomer Selbstbestimmung
    Insgesamt entwarf das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsordnung, „die den Menschen als eine zu Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift“. Dies setze voraus, „dass der Mensch über sich nach eigenen Maßstäben verfügen kann und nicht in Lebensformen gedrängt wird, die in unauflösbarem Widerspruch zum eigenen Selbstbild und Selbstverständnis stehen“.
    Nach Überzeugung der Karlsruher Richter muss dies auch für die Entscheidung über den eigenen Tod gelten. Auch diese unterliege „höchstpersönlichen Vorstellungen und Überzeugungen“. Daher dürften die Menschen auch hier „nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen“ verwiesen werden. Staat und Gesellschaft müssten die Entscheidung „als Akt autonomer Selbstbestimmung“ respektieren.
    Unzulässige Einschränkung
    Um die Entscheidung für eine Selbsttötung umzusetzen, seien Menschen aber auf die Hilfe Anderer angewiesen. Auch dies sei daher vom Recht auf Selbsttötung umfasst. Das Verbot der „geschäftsmäßigen“, also wiederholten Suizidhilfe schränke daher das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ unzulässig ein, obwohl es die Selbsttötung gar nicht verbietet. Indirekt seien auch die Grundrechte der Ärzte und Verbände verletzt.
    Die nach der Verbotsvorschrift verbliebene Möglichkeit der Suizidhilfe im Einzelfall reiche nicht aus. Insbesondere Ärzte seien unter den derzeitigen Bedingungen dazu kaum bereit. Selbsttötungen zu erschweren, sei auch ausdrückliches Ziel des Gesetzgebers gewesen.
    Das Bundesverfassungsgericht räumte aber ein, dass der Gesetzgeber damit „legitime Zwecke“ verfolgte, insbesondere den Schutz menschlichen Lebens. Bislang sei offenbar nicht immer ausreichend geprüft worden, „ob ein Suizidwunsch auf einen freien Willen zurückgeht“. Auch eine ärztliche Untersuchung und Beratung sei nicht immer gewährleistet gewesen. Nicht von der Hand zu weisen sei auch die Sorge vor einem gesellschaftlichen Druck, ein vermeintlich unnützes, für die Gesellschaft lästiges und teueres Leben zu beenden.
    Als Reaktion darauf sei das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe aber „nicht angemessen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht. „Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird.“
    „Gesetzgeber bleibt breites Spektrum an Möglichkeiten“
    Ein gutes palliativmedizinisches Angebot könne die Häufigkeit von Suizidwünschen sicherlich deutlich verringern. Das Sterbehilfe-Verbot sei dadurch aber nicht gerechtfertigt. Seiner „sozialpolitischen Verpflichtung darf der Gesetzgeber sich aber nicht dadurch entziehen, dass er das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung außer Kraft setzt“.
    Dem Gesetzgeber verbleibe „ein breites Spektrum an Möglichkeiten“, den Lebensschutz ohne Verbot zu verwirklichen. So könne er Aufklärungs- und Wartepflichten festsetzen und die Hilfen von Vereinen von einer Erlaubnis und Kontrolle abhängig machen. Insgesamt dürften solche Maßnahmen das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ aber nicht untergraben, forderten die Karlsruher Richter.
    Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Az.: 2 BvR 2347/15 und weitere

  • Hallo
    Ich bin 69 Jahre, habe 20 Jahre auf diversen Intensivstationen als Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin gearbeitet. In dieser Zeit habe ich einiges erlebt zum Thema sterben. Für mich ist der Gedanke aufgrund einer Pflegebedürftigkeit total abhängig zu werden unerträglich. In unserem Grundgesetz ist das Recht auf selbst bestimmtes Leben festgeschrieben und genau das ist von unserem höchsten Gericht bestätigt worden. Selbst bestimmt Leben bedeutet auch selbst entscheiden zu können wann mein Leben beendet werden soll. Auf solche Aussagen wie „Der Sterbewunsch, der entsteht, ist in Wirklichkeit ein Hilferuf, auf den wir anders reagieren müssten: mit Zuneigung, mit Trost, mit Nächstenliebe“ kann ich verzichten. Es muss jedem selbst überlassen sein ob er leben oder sterben will. Ich finde es genau so unerträglich wenn solche selbsternannten Heilsapostel meinen sie müssten jedem ihren Willen aufzwingen.
    Mfg
    A. Günther

  • Ich persönlich finde diese Entwicklung gut! Jeder sollte selbst über sein Leben bestimmen können, und dazu gehört eben auch der Tod!

    • Ich nehme an, Sie sind noch jung und haben noch wenig über dieses Thema und was alles damit zusammen hängt nachgedacht.

    • (Ich nehme an, Sie sind noch jung) … ODER haben noch wenig über dieses Thema und was alles damit zusammen hängt nachgedacht.

  • Sowas musste ja kommen. Vermutlich hat sich da keiner mit den Besonderheiten des deutschen Rechts zur Sterbehilfe befasst und auch nicht mit mit dem Urteil des BVerfG. Die aktive Sterbehilfe ist und bleibt weiterhin verboten, es geht um die geschäftsmäßige Suizidassistenz. In de war die Suizidassistenz auch vor dem Urteil legal, die Weltuntergangsstimmung ist somit fehl am Platz und kommt außerdem auch noch ziemlich spät. Wenn man sich wirklich Gedanken um den Teenager macht, sucht man am besten einen deutschen Zivilrechtsexperten auf, wie übrigens auch bei allen anderen Pseudoproblematisierungen mit geistig Behinderten / Kindern. Sonst werden wir bald nicht mehr ernst genommen, wenn immer dieselbe Schallplatte und ohne Einholung von fachkundiger Meinung aufgelegt wird.

    Das Gericht hat auch gleich klargestellt, dass die Zulässigkeit der Sterbehilfe nicht materiellen Kriterien unterworfen sein darf, das Erfordernis einer unzumutbaren Behinderung oder schwerer Krankheit wären somit unzulässig. Gut so, denn damit wird die Freiheit und die Verantwortung betont und respektiert, nicht signalisiert, dass bestimmte Diagnosen so schlimm und eigentlich ein Selbstmordgrund wären.

    Bei uns war und ist der Gesetzgeber strenger als der in Deutschland. Dass deswegen Kranke, Behinderte und Alte besser unterstützt werden, glaube ich nicht.

    • Liebe Yasemine,
      könntest du bitte die LeserInnenschaft vielleicht in kurzen Worten konkret darüber aufklären, was nun genau erlaubt ist und was nicht in Deutschland bzw. unter welchen Umständen nun Sterbehilfe angewandt werden kann? Ehrlich gesagt kenne ich mich bei deinem Text nicht aus.

      Recht gebe ich dir damit, dass es auch in Österreich, so wie in Deutschland, viel zu wenig an Unterstützung für kranke oder behinderte Menschen gibt, was einer Selbstbestimmung zu Lebtag im Wege steht.