Mit einem gemeinsamen Appell wurde am 23. Juli 2015 die Bundesregierung aufgefordert, das deutsche Veto gegen europaweiten Diskriminierungsschutz aufzugeben.
Mehr als 40 Verbände und Nichtregierungsorganisationen aus Deutschland und Europa appellieren in einer gemeinsamen Erklärung an die Bundesregierung, die neue Gleichbehandlungsrichtlinie der Europäischen Union nicht länger zu blockieren.
Die Richtlinie soll in ganz Europa einen Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters, der sexuellen Orientierung, der Religion und Weltanschauung oder einer Behinderung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen schaffen. Sie enthält auch konkrete Bestimmungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland bereits ratifiziert hat. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, das EU-Parlament und 27 von 28 EU-Mitgliedsstaaten unterstützen das Vorhaben prinzipiell. Allein die Bundesregierung verweigert sich grundsätzlich.
„Es ist völlig unverständlich, dass Deutschland als einziges Land einen besseren Schutz vor Diskriminierungen für ganz Europa blockiert“, sagte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, am Donnerstag in Berlin. „Die Bundesregierung nimmt es hin, dass Menschen mit Behinderungen in vielen Ländern Europas der Zugang zu Geschäftsräumen verwehrt werden kann – oder Hoteliers Schwulen oder Lesben Zimmer verweigern dürfen“, sagte Lüders.
Auch für Vermieter, die sich weigerten, Wohnungen an Menschen jüdischen oder muslimischen Glaubens zu vergeben, bliebe ihr Verhalten damit auch in Zukunft ohne Konsequenzen. Dies gelte ebenso etwa für Autovermieter, die Menschen wegen ihres Alters nicht als Kunden akzeptieren wollten.
Die Richtlinie wird von der Bundesregierung grundsätzlich abgelehnt, obwohl der Umsetzungsbedarf in Deutschland aufgrund des bereits seit 2006 bestehenden Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vergleichsweise gering wäre. Alle anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten – darunter einige, für deren Bürgerinnen und Bürger die Richtlinie zu deutlichen rechtlichen Verbesserungen führen würde – wären zu inhaltlichen Verhandlungen bereit. Da für den Beschluss der Richtlinie Einstimmigkeit nötig ist, verhindert die deutsche Verweigerungshaltung de facto einen europaweit gleich starken Diskriminierungsschutz. „Viele von Benachteiligungen und Ungleichbehandlungen betroffene Gruppen bleiben dadurch schutzlos“, sagte Lüders.
Die Erstunterzeichnenden der gemeinsamen Erklärung fordern die Bundesregierung dazu auf, ihre Haltung zur neuen Gleichbehandlungsrichtlinie zu ändern und den Weg für inhaltliche Verhandlungen freizumachen. Sie bitten die Bundesregierung zugleich darum, mit ihnen in einen Dialog zur Bedeutung der Richtlinie einzutreten.
Zu den Erstunterzeichnenden des Appells gehören große Wohlfahrtsverbände, Menschenrechtsgruppen, deutsche Nichtregierungsorganisationen aus allen vom AGG geschützten Bereichen, sowie europäische Dachverbände, die insgesamt mehrere tausend Einzelorganisationen aus dem ganzen Kontinent vertreten. Die gemeinsame Erklärung steht auch für weitere Organisationen, die sich ihr anschließen wollen, offen.
Der Text der gemeinsamen Erklärung im Wortlaut.