Deutschland: Antidiskriminierungsgesetz längst überfällig

Dr. Andreas Jürgens vom Forum behinderter JuristInnen ist mit einem Beitrag für die kobinet-nachrichten der Frage nachgegangen, warum ein Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland längst überfällig ist.

Andreas Jürgens
Husch, Stefan

„An Rollstuhlfahrer vermieten wir nicht mehr“ wurde mir selbst bei einem europaweit tätigen Anbeiter von Ferienwohnungen mitgeteilt, als ich mich telefonisch nach stufenlosen Angeboten erkundigen wollte. „Ohne nichtbehinderte Begleitperson kommen Sie bei uns nicht rein“ erhielt ich als Auskunft, als ich für meine damalige Lebensgefährtin – ebenfalls Rollstuhlfahrerin – und mich Eintrittskarten besorgen wollte. Der geplante Musicalabend fand ohne uns statt.

„Behinderte versichern wir nicht“ ist Geschäftsprinzip vieler Versicherungsunternehmen. Körperbehinderte Menschen erhalten keine Lebensversicherung, Eltern geistig behinderter Kinder können keine Haftpflichtversicherung finden, die Unfallversicherungen zahlen pflegebedürftigen Menschen bei einem Unfall nur die Beiträge zurück.

Erst kürzlich wurde eine Gruppe Behinderter gebeten, ein Restaurant in Hamburg nicht mehr aufzusuchen. Eine armlose conterganbehinderte Frau in Frankfurt wurde aufgefordert, ein Restaurant zu verlassen, weil sie mit den Füßen isst. Alle diese Beispiele haben eines gemeinsam: die betroffenen behinderten Menschen waren und sind weiterhin rechtlos. In allen Fällen geht es rechtlich um den Abschluss eines Vertrages: Beherbergungs-, Bewirtungs-, Versicherungsvertrag. Und da gilt die Vertragsfreiheit: jeder darf den Abschluss eines Vertrages ablehnen, ohne, dass dies einer Begründung bedarf. Die Motive sind dabei unerheblich. Das Recht steht daher auch auf Seiten derer, die behinderte Menschen diskriminieren, indem sie ihnen einen Vertragsschluss verweigern.

Das soll sich jetzt endlich ändern. Schon seit langem fordern behinderte Menschen und andere Minderheiten, dass sich das Recht auf ihre Seite stellt im Kampf gegen Diskriminierungen. Nach einem Entwurf der rot-grünen Regierungskoalition in Berlin soll das jetzt Wirklichkeit werden. Bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Verträge darf danach niemand aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.

Kaum liegt dieser Vorschlag auf dem Tisch, sehen die Gegner eine „Umwälzung der Rechtsordnung“, einen Angriff auf „den Freiheitsgedanken des Grundgesetzes“, gar eine „Kulturrevolution“. Es wird suggeriert, dem Einzelnen solle seine Freiheit genommen werden, Verträge zu schließen, mit wem er will. Jeder müsse sich rechfertigen, wenn ein Vertragsschluss nicht zustande komme. Wer künftig sein Auto verkaufe, eine Wohnung im eigenen Haus vermiete oder das Chinarestaurant um die Ecke meide, müsse damit rechnen, vom abgelehnten Kaufinteressenten, Mietbewerber oder Restaurantbetreiber mit Klagen überzogen zu werden.

Es geht aber gerade nicht darum, in den Privatbereich der Menschen „hineinzuregieren“. Die Anti-Diskriminierungsvorschrift soll nämlich gelten bei Verträgen, die „typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen“. Im Klartext: wer alle auffordert, in seinem Restaurant zu essen, und alle bedient, die zu ihm kommen, darf behinderte Menschen von diesem Angebot nicht willkürlich ausschließen. Aber wer eine Privatparty veranstaltet, bestimmt immer noch über den Kreis der Gäste und darf ihn von Behinderten, Ausländern, Schwulen und alten Menschen freihalten.

Wer eine Vielzahl von Wohnungen an jeden vermietet, der sie bezahlen kann, darf Schwule nicht willkürlich zurückweisen. Aber wer eine Studentenbude im eigenen Haus vermietet, kann weiterhin nach Gusto und Vorurteilen handeln, ohne Folgen zu fürchten. Wer Autos oder andere Waren allen zum Kauf anbietet, darf diese nicht willkürlich nur an Weiße verkaufen. Aber wer seinen eigenen Gebrauchtwagen verkauft, darf ihn jedem vorenthalten, dessen Nase ihm nicht passt.

Es geht also nicht um Eingriffe in das Privatleben. Es geht darum, dass Marktmacht nicht unter dem Vorwand der Vertragsfreiheit zur Diskriminierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden darf. Wir stehen vor der Entscheidung, was uns wichtiger ist: die Freiheit, Vorurteile zu haben und andere zu diskriminieren, oder die Freiheit benachteiligter Minderheiten, so zu leben wie andere auch. An Einzelheiten der vorgesehenen Regelungen mag noch im Gesetzgebungsverfahren gefeilt werden.

Insgesamt ist an ihr aber nur eines kritikwürdig: dass sie erst jetzt kommt. In anderen Rechtsordnungen gibt es längst vergleichbare Vorschriften. Es wird Zeit, dass sich auch in Deutschland das Recht auf die Seite der Diskriminierten stellt.

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