Deutschland: „Ein Embryo ist kein Rohstoff“

Kontrovers, aber sensibel wie selten debattierte der Bundestag über die Gentechnik - Auszüge aus der Debatte

Forscherin
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Ein Bericht in der heutigen Welt:

Margot von Renesse, Vorsitzende der vom Bundestag eingesetzten Ethik-Kommission, SPD:
„… Auf der einen Seite erfüllt uns das alle mit Hoffnung, dass die Möglichkeiten des Menschen, sein eigenes Schicksal, den Zufall, die Ohnmacht vor dem Zufall zu bekämpfen und ein gelingendes Leben zu führen, damit erweitert werden. Auf der anderen Seite erfüllt uns alle die Angst, dass damit auch die Eingriffstiefe des Menschen in die menschliche Natur und damit die Möglichkeiten ausgedehnt werden, auch das, was den Menschen ausmacht, zu verändern, zu verbessern anscheinend oder nach dem Menschenbild des jeweilig Handelnden zu erweitern … in seiner Substanz zu verwerfen, zu bewerten, über ihn zu verfügen, über ihn zu manipulieren. …

Ein Embryo – auch wenn er im Glas erzeugt ist – ist das zukünftige Kind zukünftiger Eltern und sonst nichts. Es steht für andere Zwecke nicht zur Verfügung – weder ist es ein Medikament zur Behandlung irgendeiner Fruchtbarkeitsstörung noch ist der Embryo ein Werkstück, … noch ist er ein Rohstoff für andere Zwecke. …

Dann gibt es das große Problem der Präimplantationsdiagnostik. Ich stehe nicht an zu sagen, Präimplantationsdiagnostik ist nichts Gutes. Genau so wenig wie der Schwangerschaftsabbruch. Wir wünschen uns Eltern, wir wünschen uns Paare, die Kinder annehmen, so wie sie sind, und nicht erst vors Licht halten, um zu prüfen, ob sie für ihre Zwecke taugen. … Wir haben es hier, wenn wir es richtig machen, nicht damit zu tun, dass wir hier die Guten und die Bösen voneinander trennen … Und wir sollten auch Abstand davon nehmen, Wissenschaft zu dämonisieren.“

Andrea Fischer, ehemalige Gesundheitsministerin, Bünd.90/Die Grünen:
„In der bundesgrünen Fraktion haben wir uns mit großer Mehrheit für eine Grenzziehung ausgesprochen, die sich an der Unverfügbarkeit des menschlichen Embryos für die Auswahl von Kindern sowie für die fremdnützige Forschung festmacht.

Bei der PID stehen wir vor der Frage, ob wir zulassen wollen, dass menschliche Embryonen sich nur dann zum Menschen entwickeln sollen, wenn sie nicht Träger einer bestimmten genetischen Krankheit sind. Wir verstehen die Angst der Eltern vor der Belastung für sie und das Kind, die von dieser Erkrankung ausgehen. Trotzdem wollen wir dieses Verfahren nicht zulassen. Wir wollen nicht zulassen, dass Kinder nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften ausgewählt werden.

Diejenigen, die für dieses Verfahren sprechen, verweisen darauf, dass es heute vielfach zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt, wenn im Verlauf der Schwangerschaft die künftigen Eltern die Information über die Behinderung ihres Kindes erhalten. Dann sei es schonender, diesen Schwangerschaftskonflikt von vorne herein zu vermeiden. Aber kann es sein, dass aus einer immer mehr um sich greifenden Praxis, ein Kind wegen seiner künftigen Behinderung nicht anzunehmen, zwangsläufig folgt, diese Praxis auch noch zu vereinfachen? Oder müssen wir nicht vielmehr andersherum fragen, warum manche Eltern nicht den Mut fassen können, ein Kind mit einer Behinderung anzunehmen?

Wir alle können doch etwas dafür tun, dass das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind nicht so schwer ist, wie es heute den Eltern gemacht wird, und trotzdem es schwer ist, nehmen heute viele Eltern diese Herausforderung an. Sie und die anderen zu unterstützen sollte unser Anliegen sein, anstatt darum zu kämpfen, das behindertes Leben vermieden wird.

Die Praxis der pränatalen Diagnostik und die daraus oft folgenden Schwangerschaftskonflikte wollen wir in den Mittelpunkt unserer Überlegungen stellen. Diese Praxis muss uns auch beeindrucken, wenn wir darüber sprechen, ob nicht eine Zulassung in engen Grenzen möglich sein kann.

Mit Blick auf die Erfahrungen steht zu erwarten, dass sich auch bei der PID eine Begrenzung nicht einhalten lässt, dass die Nachfrage nach diesem Verfahren steigen wird. So dass es immer selbstverständlicher sein wird, von künftigen Eltern zu verlangen, dass sie kein krankes Kind bekommen werden, ja dass sie sich sogar dafür rechtfertigen müssen, wenn sie es tun. Aber ein Kind braucht doch gerade Eltern, die es annehmen, wie es ist, die es lieben unabhängig von seiner Gestalt und seinen Fähigkeiten.“

Bundeskanzler Gerhard Schröder, SPD:
„… Die Frage zu entscheiden, das setzt zunächst einmal möglichst viel an Information voraus. … Nur eine Gesellschaft die Bescheid weiß und offen über Optionen diskutieren kann, nur die ist in der Lage, über eine solche schwerwiegende Zukunftsfrage wie die Nutzung der Gentechnik … zu entscheiden.

Und entgegen manchem Missverständnis möchte ich sagen, dass der Ethikrat, den ich berufen habe, kein Ersatzparlament sein soll, er könnte es auch gar nicht. … Aber der Ethikrat ist eine Möglichkeit, die Diskussion in der Gesellschaft breiter zu machen, sie sachverständiger zu machen … Zu den umstrittensten Themen gehört sicherlich … der Embryonenschutz. Soweit ich die Diskussion verfolgen konnte, bietet das bestehende Embryonenschutzgesetz einerseits ausreichenden Schutz und lässt doch andererseits genügend Spielraum für Wissenschaft und Forschung. Ich meine deshalb, dass wir gut beraten sind, dieses Gesetz nicht vorschnell zu ändern.. ..

Das eigentliche Potenzial der Gentechnik liegt doch darin, neue Medikamente, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln, mit denen schwerste, bisher nicht heilbare Krankheiten unter Umständen geheilt werden oder gelindert werden können. Sicher ist die religiös motivierte Position zu respektieren, die das Schicksal von Schwerstkranken, von Patienten, die zum Beispiel an Krebs, Alzheimer, Parkinson oder Mukoviszidose oder auch an anderem leiden, als bedauerlich, am Ende aber unabänderlich darstellen. Aber ich frage mich, ist nicht der Wunsch,…, alles nur Menschenmögliche für die Heilung schwerstkranker Menschen zu unternehmen, ebenso zu respektieren? Ich denke, die Ethik des Heilens und des Helfens verdient ebensolchen Respekt wie diese vor der Achtung der Schöpfung. …

Noch eine andere Frage bewegt mich: Laufen wir nicht Gefahr, den Streit um die PID überzubewerten? Die PID ist ein rein diagnostisches und kein therapeutisches Verfahren, bei ihr findet kein Eingriff in die Erbsubstanz statt. Mit der PID werden also auch nicht genetisch veränderte Menschen erzeugt. Die Befürworter der PID sagen, auf Grund einer medizinischen Indikation kann eine Schwangerschaft straffrei abgebrochen werden. Statt die entsprechenden Tests erst im Mutterleib vorzunehmen, plädieren sie dafür, diese Tests bei genetisch belasteten Eltern bereits vorher zuzulassen. Und ich denke, dafür gibt es Gründe, die achtbar sind.

Ist wirklich der Rubikon überschritten, wenn ein Verfahren, das im Mutterleib angewandt werden darf, unter den gleichen Bedingungen, das ist zu betonten, wie bei der medizinischen Indikation auf Embryonen übertragen werden soll, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind? Ist das wirklich etwas, was man unter allen Umständen ausschließen darf? Ich meine nein. … Eine Verantwortung haben wir für das, was wir tun, aber wir haben auch eine Verantwortung dafür, für das, was wir unterlassen.“

Friedrich Merz, Fraktionsvorsitzender CDU/CSU:
„Wir stehen ganz gewiss erst am Anfang der modernen Fortpflanzungs- und Zellbiologie. Damit werden viele Hoffnungen verbunden. Es werden vermutlich auch viele Hoffnungen enttäuscht werden. … Und es stellen sich eine Reihe von Fragen neu. … Vor allem die Frage, was ist menschliches Leben? Wann beginnt menschliches Leben und bleibt menschliches Leben ungeteilt und ohne Abstufungen schützenswert? …

Ich wünsche mir …, dass es dabei bleibt, dass nicht nur dem Embryo, sondern auch dem schwer Geisteskranken, dem schwerbehinderten Kind und dem im Alter schwer Demenzkranken die Unantastbarkeit der Würde seiner Person niemals abgesprochen werden darf. …

Und wollen wir uns dann wirklich anmaßen, zu entscheiden, etwa welche genetischen Defekte der befruchteten Eizelle ihre Vernichtung erlauben? Ich weiß, wir haben alle vor Augen die Bilder von Kindern mit schwersten körperlichen und geistigen genetisch bedingten Defekten. … Aber genauso wie die schweren genetischen Defekte werden im Reagenzglas auch positive genetische Dispositionen feststellbar sein. Wo ist die Grenze? … Wer garantiert, dass mit PID der Selektion nicht Tür und Tor geöffnet wird?“

Angela Merkel, Parteivorsitzende der CDU:
„Wie ist es mit der Präimplantationsdiagnostik? Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind. Es gibt nicht mal ein Recht auf ein Kind. Aber genauso gibt es doch den Wunsch nach einem gesunden Kind. … Genauso gibt es die Hoffnung auf ein gesundes Kind. Und diese Hoffnung haben wir immer wieder durch medizinische Möglichkeiten versucht zu erfüllen. Dass wir dies getan haben, ist doch niemals ein Grund dafür gewesen, zu sagen, Behinderte, Kranke sind in unserer Gesellschaft nicht willkommen. …

Natürlich ist die Präimplantationsdiagnostik eine neue Methode, bei der wir uns fragen müssen, halten wir einen Dammbruch hin zur Selektion auf. Und für mich wiegen die Bedenken derer, die das sagen, außerordentlich schwer. Aber ich sage ganz genauso, war vielleicht die Pränataldiagnostik schon ein solcher Dammbruch? Und ich bin deshalb sehr froh, dass wir uns entschieden haben zu sagen, dass wir Präimplantationsdiagnostik, Pränataldiagnostik und das schwierige Problem der Spätabtreibungen in einem Zusammenhang miteinander besprechen werden, weil sich die Dinge nicht voneinander trennen lassen. …

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