Deutschland: Einhellige Kritik am Aktionsplan der Bundesregierung

Mit Einschätzungen wie "enttäuschend - dünn - mutlos - Bemühen erkennbar - wir waren schon einmal weiter - noch einmal von vorn" ist dieses Papier versehen worden. Von H.-Günter Heiden.

UNO-Flagge mit angedeutetem Gesetzestext
BIZEPS

Der Referentenentwurf der Bundesregierung zu einem Aktionsplan, der die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen soll, ist im Rahmen einer Verbändeanhörung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) am Dienstag auf deutliche und einhellige Kritik gestoßen.

Neben der Kritik an der überaus kurzen Frist von knapp drei Wochen zur Stellungnahme zu einem 150seitigen Entwurf wurde von den Verbänden vor allem die fehlende menschenrechtliche Perspektive, der Finanzvorbehalt und der Mangel an Maßnahmen im gesetzgeberischen Bereich herausgestellt.

Dies wurde auch durch eine quantitative Analyse des NETZWERK ARTIKEL 3 deutlich gemacht: Bei den insgesamt 196 beabsichtigten Maßnahmen der Bundesregierung soll es lediglich bei 5 Prozent um gesetzliche Änderungen gehen. 50 Prozent der Maßnahmen befassen sich mit eher unspezifischen Aktionen wie Prüfaufträgen, Zwischenberichten, Konzepterstellungen, Konferenzen, Sensibilisierungsmaßnahmen etc., deren Erreichung bzw. Umsetzung schwer zu kontrollieren ist.

Etwa 30 Prozent der Maßnahmen befassen sich mit einer bereits laufenden oder beabsichtigen Projektförderung oder einer finanziellen Unterstützung und etwas über 10 Prozent der Maßnahmen befassen sich mit Studien, Untersuchungen oder Forschungsvorhaben.

Ferner wurden die fehlende Gesamtstrategie, der Aufbau des Aktionsplanes und die mangelnde Problembeschreibung in den zwölf Handlungsfeldern kritisiert. Anders als in den vorbereitenden Konferenzen zugesagt, fanden sich auch die Querschnittsaspekte wie Selbstbestimmung, Gleichstellung, Barrierefreiheit, Migration oder Gender Mainstreaming in den geplanten Maßnahmen nur äußerst unzureichend wieder. So wurde etwa der wichtige Begriff der „angemessenen Vorkehrungen“ aus der Konvention nicht aufgegriffen, wie etwa von verschiedenen Verbänden bemängelt wurde.

Nach dieser allgemeinen Einschätzung des Aktionsplanes wurden dann in einer intensiven Diskussion alle Handlungsfelder einzeln diskutiert. Am heftigsten wurde das (vor 10 Tagen nachgereichte) Kapitel „Persönlichkeitsrechte“ kritisiert: „Das ist mit Abstand der schwächste Punkt des Nationalen Aktionsplanes“, so Klaus Lachwitz von der Bundesvereinigung Lebenshilfe. „Ohne Begründung wird behauptet, dass das derzeitige Betreuungsrecht in Einklang mit der Konvention steht. Das ist falsch! Wir lehnen deshalb dieses Kapitel von A bis Z ab!“

Die meisten Wortmeldungen gab es außerdem zu den Kapiteln „Arbeit / Beruf“, „Bildung“ und „Prävention, Rehabilitation, Gesundheit und Pflege“. Hier wurde beispielsweise eine sofortige und umfassende Analyse des Sozialgesetzbuches IX gefordert, die Ausweitung der Assistenz im Krankenhaus oder ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe.

Entsetzt zeigte sich Kerstin Blochberger vom Bundesverband behinderter Eltern, dass behinderte Eltern überhaupt nicht im Aktionsplan auftauchen: „Elternschaft wird nur so verstanden, dass Eltern behinderte Kinder haben können. Behinderte Eltern kennt die Bundesregierung nicht, dabei hat der Petitionsausschuss bereits vor drei Jahren Handlungsbedarf bei der Elternassistenz erkannt!“

Auch in vielen weiteren Einzelaspekten wurden von den Verbänden detaillierte Vorschläge für gesetzgeberisches Handeln unterbreitet und dabei auf den Forderungskatalog des Deutschen Behindertenrates vom Mai 2010 und auf die Ergebnisse der Kampagne „alle inklusive!“ aus dem Jahr 2009 verwiesen. Damit durch die laufende Gesetzgebung die Umsetzung der Konvention nicht untergraben wird, schlug der Sozialverband Deutschland eine Selbstverpflichtung der Bundesregierung vor, alle laufenden Gesetzesprojekte auf die Verträglichkeit mit der Konvention zu prüfen.

Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) forderte, dem vorliegenden Plan die Zustimmung zu verweigern und unter echter Einbeziehung des Sachverstandes der Betroffenen den Aktionsplan grundlegend zu überarbeiten: „Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen, denen Menschen mit Behinderungen auch in unserem Land tagtäglich ausgesetzt sind, werden weder benannt noch werden Maßnahmen zur Verhinderung geplant oder ergriffen“, stellte ISL-Geschäftsführerin Dr. Sigrid Arnade fest. „Deshalb hat dieses Dokument seinen Namen nicht verdient. Bis auf die häufige Nennung des Begriffes `Behindertenrechtskonvention´ hätte dieses Papier genauso geschrieben werden können, wenn es nie eine Konvention gegeben hätte.“

Von Seiten des BMAS wurde zum Abschluss der Anhörung betont, dass alle Anregungen geprüft würden und in eine zweite Ressortabstimmung einfließen sollten. Zur Frage, inwieweit der geplante Termin am 15. Juni zur Verabschiedung des Aktionsplanes im Bundeskabinett gehalten werden könne, wollte sich der Anhörungsleiter, Richard Fischels, Unterabteilungsleiter im BMAS, nicht äußern.

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