Deutschland: Verena Bentele kritisiert Gesetzentwurf

Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hat den Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts kritisiert.

Verena Bentele
Tom Maelsa

In einer Pressemitteilung „Behindertengleichstellungsgesetz: Nach der Reform ist vor der Reform“ erklärte Verena Bentele: „Es reicht nicht, Hindernisse zu dokumentieren. Wir müssen Barrieren beseitigen und brauchen verbindliche Umsetzungsfristen.“

Die Beauftragte äußerte sich anlässlich des Kabinettsbeschlusses zum Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles. Dabei betonte sie, dass sie einen ambitionierteren Gesetzentwurf erhofft hatte.

Verena Bentele: „Der Entwurf bleibt leider deutlich hinter unseren Zielen zurück. Zwar hat die Sozialministerin Andrea Nahles mit aller Kraft versucht, eine gute Novellierung auf den Weg zu bringen. Doch zu viele Abstriche, die im Laufe des politischen Prozesses gemacht wurden, haben den Gesetzentwurf verwässert.“

Sie nannte verschiedene Beispiele: „Neubauten des Bundes müssen zwar künftig hohe Standards der Barrierefreiheit erfüllen – nicht aber bestehende Gebäude. Das ist zu wenig.“ Stattdessen werde nur festgeschrieben, dass über die vorhandenen Barrieren berichtet wird. Das gelte auch für Intranet und andere elektronisch unterstützte Verwaltungsabläufe.

Die Beauftragte kritisierte: „Es reicht nicht, Hindernisse zu dokumentieren. Wir müssen Barrieren wirksam und verbindlich beseitigen. Die UN-Behindertenrechtskonvention nimmt staatliche Institutionen ganz eindeutig in die Pflicht.“ In der Realität würde das bedeuten, dass alle Menschen mit Hilfe von Rampen oder Fahrstühlen alle Gebäude selbstständig erreichen können. Es bedeutet, dass für gehörlose Menschen Informationen in Gebärdensprache vorhanden sind, dass es im Internet Angebote gibt, die auch blinde Menschen nutzen können.

Ferner sei ein deutlicher Kritikpunkt, dass angesichts der politischen Mehrheiten innerhalb der Bundesregierung die Ausweitung auf den zivilrechtlichen Bereich leider nicht durchgesetzt werden konnte. Private Anbieter werden auch künftig nicht dazu verpflichtet, Barrierefreiheit herzustellen. Weder Arztpraxen noch Kneipen können somit verbindlich aufgefordert werden, etwa für Rollstuhlnutzer, Eltern mit Kinderwagen und Menschen mit Sehbehinderungen gleichermaßen zugänglich zu sein.

„Manchmal würde schon eine kleine Rampe oder eine Speisekarte in Brailleschrift eine große Veränderung bedeuten, mehr Lebenskomfort und Chancengleichheit kosten nicht unbedingt mehr Geld“, sagte Verena Bentele. Es müsse daher das Ziel sein, auch private Anbieter und Dienstleister zur umfassenden Barrierefreiheit zu verpflichten. Dies habe für den Lebensalltag von Menschen mit Behinderungen einen hohen Stellenwert und würde für alle übrigen Bürger mehr Komfort bringen. Denn im Alltag werde nicht unterschieden, ob ein Gebäude, eine Maßnahme oder die Kommunikation einem öffentlichen oder privaten Anbieter zuzuordnen sei. Menschen mit Behinderungen wollten umfassende Barrierefreiheit – egal, in wessen Einflussbereich diese liege.

Die Beauftragte begrüßte, dass es deutliche Verbesserungen bei der Leichten Sprache geben werde. So ist vorgesehen, dass ab 2018 nicht nur allgemeine Informationen, sondern auch Bescheide in Leichter Sprache erläutert werden sollen. „Für viele Menschen ist Behördensprache sehr schwer zu verstehen. Ich freue mich daher sehr, dass etwa Bescheide der Jobcenter dann leicht begreifbar und nach klaren Regeln formuliert sein müssen“, lobte Verena Bentele.

Als weiteren Erfolg wertete sie den geplanten Partizipationsfonds. Dieser ermögliche insbesondere Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen eine aktive und umfassende Teilhabe an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten. Der vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf sehe auch die Einrichtung einer Bundesfachstelle für Barrierefreiheit als zentrale Anlaufstelle zu Fragen der Barrierefreiheit vor. Hier könne das Fachwissen gebündelt und die Expertise jederzeit abgerufen werden.

Besonders eingesetzt hatte sich Verena Bentele für ein niedrigschwelliges Schlichtungsverfahren für Streitfälle nach dem BGG: „Dieses Verfahren wird für die Beteiligten kostenfrei sein und soll den Verbänden als Vorverfahren vor Verbandsklagen dienen. Auch Einzelpersonen soll es zur Verfügung stehen. Mir war besonders wichtig, dass einzelne Menschen Streitigkeiten rund um das Thema Barrierefreiheit künftig außergerichtlich beilegen können.“

Dabei verwies die Beauftragte auf die positiven Erfahrungen aus Österreich. Leider sei es nicht gelungen, die Schlichtung auch auf private Anbieter und etwa deren Verpflichtungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu erstrecken, so Bentele: „Ich wünsche mir, dass sehr bald – ähnlich wie in Österreich – Schlichtungsverfahren für Menschen mit Behinderungen auch auf zivilrechtliche Angelegenheiten erstreckt werden. Insofern gilt auch hier, nach der Reform ist vor der Reform!“

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