Die Anzahl der Erwachsenenvertretungen steigt

Nun ist das 2. Erwachsenenschutzgesetz seit vier Jahren in Kraft und konnte seine Veränderungswirkung entfalten. Bis zum Ende der Übergangsphase im Dezember 2023 und der angekündigten Evaluierung des Gesetzes wird die Gesamtzahl der Vertretungsverhältnisse weiter steigen.

Verschiedene Bücher zum Erwachsenschutzgesetz
Norbert Krammer

Hauptaugenmerk der Reform des alten Sachwalterrechts war für die einen die Eindämmung der ständig steigenden Zahlen an Sachwalterschaften, für die anderen die Notwendigkeit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und das Absichern von Selbstbestimmung für Menschen mit geminderter Entscheidungsfähigkeit.

Beide Ziele wurden – je nach Sichtweise und Interpretation – erreicht.

Selbstbestimmung stärken

Mit dem Erwachsenenschutzgesetz etablierte der Gesetzgeber vier Möglichkeiten der Vertretung, die z.T. verbessert (Vorsorgevollmacht), neu entwickelt (gewählte Erwachsenenvertretung), stark verändert (gesetzliche Erwachsenenvertretung) oder neu konzipiert (gerichtliche Erwachsenenvertretung) wurden.

Im Fokus der – auch kritischen – öffentlichen Diskussion steht meist die gerichtliche Erwachsenenvertretung, die aus der früher bestehenden Sachwalterschaft heraus neu konzipiert wurde und die mit Elementen der Selbstbestimmung im Geist der UN-BRK ab Juli 2018 den Rahmen für das Handeln der Gerichte und der Vertreter:innen bildet.

Ein ganzes Bündel verschiedener gesetzlicher Vorgaben wurde im Gesetz neu etabliert: Beispielsweise wird die Selbstbestimmung in § 239 ABGB als Ziel zur Erhaltung von Autonomie definiert.

Damit Menschen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit ihre Angelegenheiten selbstständig erledigen können, muss ihnen also jetzt für die Teilnahme am Rechtsverkehr die erforderliche notwendige Unterstützung zur Verfügung stehen.

Alternativen zu Vertretung fehlen weiterhin

Diese programmatische Zielsetzung des Erwachsenenschutzgesetzes vertraut darauf, dass die Familie, andere nahestehende Personen, verschiedene Einrichtungen (Pflege, Betreuung, Beratungsstellen) oder Instrumente (Peers, Betreutes Konto, Vorsorgedialog) ausreichend zur Verfügung stehen.

Die Justiz sieht sich hier nicht in der Umsetzungsverantwortung, doch die zuständigen Länder und Gemeinden haben – wie grundsätzlich bei der Umsetzung der UN-BRK – großen Nachholbedarf. Damit bleibt der Anspruch auf Selbstbestimmung so manches Mal auf halber Strecke liegen, die Unterstützung als Alternative kann nicht gefunden werden und damit entsteht entgegen der Intention des Gesetzes doch wieder ein Vertretungsbedarf.

Licht und Schatten vereinen sich in der Bestimmung: Wird die notwendige Unterstützung zwar als Motor für Selbstbestimmung interpretiert, fehlen aber in der Realität die notwendigen Angebote vor Ort, um jene tatsächlich auch zu bieten.

Im Innenverhältnis zwischen vertretener Person und Vertreter:in werden die Rechte erheblich gestärkt und Selbstbestimmung trotz Erwachsenenvertretung besonders hervorgehoben (vgl. § 241 ABGB) .

Damit wird für alle sichtbar, dass der:die Erwachsenenvertreter:in den gesetzlichen Auftrag hat, Wünsche und Vorstellungen der vertretenen Person weitgehend und nach Möglichkeit bis zur Grenze der Gefährdung tatsächlich umzusetzen.

Die vertretene Person muss vorrangig dabei unterstützt werden, die eigenen Angelegenheiten auch selbst zu besorgen und dafür die nötige Hilfe erhalten. Auch hier vertraut der Gesetzgeber darauf, dass im Umfeld der vertretenen Person die Ressourcen zur notwendigen Unterstützung vorhanden sind oder rechtzeitig entstehen.

Fehlende Alternativen führen zu steigenden Vertretungszahlen

Unbestritten ist die Reform des Erwachsenenschutzrechtes in vielen Bereichen erfolgreich und für die vertretenen Menschen eine Verbesserung gegenüber früheren Regelungen.

Doch bei einer quantitativen Betrachtung der Anzahl aller Erwachsenenvertretungen kommen Zweifel auf, ob das Reformziel dieser Reduktion von nicht selbstbestimmter Vertretung erreicht wurde. Aber dazu müssen die einzelnen Vertretungsmöglichkeiten einzeln betrachtet, und dann doch das Gesamtbild bewertet werden. 

Gerichtliche Erwachsenenvertretung

Mit dem Erwachsenenschutzgesetz wurde das „Pulverfass“ Sachwalterschaft abgelöst, die Vertretung neu strukturiert und an moderne Erfordernisse angepasst und – so das Ziel – die Gesamtzahl der fremdbestimmten Vertretung mittels Gerichtsbeschluss erheblich reduziert, die Dauer auf drei Jahre (mit Erneuerungs-Möglichkeit) begrenzt und die professionelle Abklärung der Voraussetzungen umfassend etabliert:

1.7.2018

1.1.2019

1.7.2019

1.1.2020

1.7.2020

1.1.2021

1.7.2021

1.1.2022

52.746

50.204

47.343

45.709

43.968

42.474

39.545

36.505

Gewählte Erwachsenenvertretung als neue Möglichkeit

Einen Meilenstein in der Entwicklung stellt die neu eingeführte Möglichkeit der Gewählten Erwachsenenvertretung dar.

Dank ihr können Menschen mit psychischer Erkrankung oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung in ihrer Entscheidungsfähigkeit bei weiter vorhandenem Grundverständnis über die Vertretung und aufrechter Auswahlfähigkeit eine notwendige Vertretung wählen.

Die Errichtung der Urkunde erfolgt meist bei einem Erwachsenenschutzverein. Diese Entwicklung zählt sicher zu den Pluspunkten der Reform:

1.7.2019

1.1.2020

1.7.2020

1.1.2021

1.7.2021

1.1.2022

1.812

2.456

3.134

3.885

4.761

5.599

Gesetzliche Erwachsenenvertretung als „Auffangbecken“

Mit dem Erwachsenenschutzgesetz wurde in Grundzügen die früher als „Angehörigenvertretung“ bezeichnete Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger überarbeitet und in das Modell der Erwachsenenvertretung als zusätzliche Möglichkeit – als gesetzliche Erwachsenenvertretung – integriert.

Die früher fehlende gerichtliche Kontrolle wird nun in einigen Bereichen verpflichtend, der Kreis der vertretungsbefugten nahen Angehörigen erweitert und die Registrierung als Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtend.

Der Wirkungsbereich kann den gesetzlich vorgegebenen acht Kategorien zugeordnet werden, wobei überwiegend nicht nur eine Kategorie, sondern zu oft alle angeboten Möglichkeiten genutzt werden.

Insgesamt hat der Gesetzgeber hier wenig Selbstbestimmung vorgesehen, Kontrolle minimiert, die umfassende Vertretung favorisiert und damit einen weiteren Zulauf zur einfachen, aber umfassenden Vertretungsform mit wenig oder komplizierten Mit- und Widerspruchsmöglichkeiten geschaffen.

Da die „Angehörigenvertretung“ früher nicht verpflichtend registriert werden musste, teilweise auch nur in einfacher Form verschriftlicht und genutzt wurde, ist ein seriöser Datenvergleich mit den Zahlen vor 2018 nicht möglich.

1.7.2019

1.1.2020

1.7.2020

1.1.2021

1.7.2021

1.1.2022

9.114

11.507

13.822

16.448

19.385

21.091

Erwachsenenvertretungen gesamt steigen an

Die Entwicklung der Erwachsenenvertretungen seit Inkrafttreten ab 1. Juli 2018 zeigt eine steigende Tendenz, wobei die Vorsorgevollmacht als bereits früher bestehende, selbstbestimmte Alternative hier – auch wegen der fehlenden Unterscheidung der Registrierung des eingetretenen Vorsorgefalles – unberücksichtigt bleibt.

Entwicklung Erwachsenenvertretung - Juli 2018 bis Dezember 2021
Norbert Krammer

Die mit 30. Juni 2018 bestehenden Sachwalterschaften, die in das neue Recht übergeleitet wurden, haben sich von 52.746 im Jahr 2018 auf 36.505 gerichtliche Erwachsenenvertretungen zum 1.1.2022 reduziert.

Die notwendigen Überprüfungen bei der Überleitung, die Abklärungen im Übergangszeitraum, der Ablauf, die Suche nach Alternativen, aber auch die Errichtung und Registrierung anderer Erwachsenenvertretungsmöglichkeiten haben die Zielerreichung der Reduktion unterstützt.

Die gewählte Erwachsenenvertretung steht nun neu zur Verfügung und muss hinzugerechnet werden, ebenso die registrierten gesetzlichen Erwachsenenvertretungen.

Daher erhöht sich die Gesamtsumme von 52.746 (übergeleitete Sachwalterschaften) auf 63.195 (davon 36.505 gerichtliche, 21.091 gesetzliche und 5.599 gewählte Erwachsenenvertretungen)

Evaluierung Erwachsenenschutzgesetz

Wie bereits vor Beschlussfassung des Gesetzes festgelegt, wird nun mit 31.12.2023 am Ende der Übergangsfrist auch die fachliche Evaluierung der Reform erforderlich. Das Justizministerium bereitet wieder einen partizipativen Prozess vor und kündigte an, dass die Evaluierung breit angelegt wird.

Am Ende können – und werden – Verbesserungsbedarfe sichtbar werden. Nachbesserungen und Präzisierungen im Gesetz werden bereits diskutiert.

Für eine erfolgreiche weitere Entwicklung ist es wichtig und nötig, dass der Bereich der Unterstützungen im Sinn von Alternativen zur Vertretung ausgebaut oder sogar erst geschaffen wird. Hier drängt die Zeit, damit eine mögliche Fehlentwicklung noch abgefangen werden kann.

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist abgeschalten.

Ein Kommentar