Die Bilder im Kopf eines Redakteurs

Kommentar zum Leitartikel "Sonderschulen müssen bleiben" in der Tiroler Tageszeitung

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Vorweg eine Klarstellung: Ich empfinde die Tatsache, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. sozialer Benachteiligung überdurchschnittlich häufig in Sonderschulen abgeschoben werden als Skandal und Diskriminierung durch die ihnen bewusst die Möglichkeit vorenthalten wird einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu erlangen.

Hier geht es mir darum deutlich zu machen, welche Bilder der Redakteur der Tiroler Tageszeitung, Marco Witting, durch seine Wortwahl im Leitartikel „Sonderschulen müssen bleiben“ erzeugt.

Er trennt klar zwischen zwei Gruppen von SchülerInnen – denen mit Behinderung und denen mit Migrationshintergrund bzw. sozialer Benachteiligung. Bei SchülerInnen mit Behinderung sieht Marko Witting „Defizite“ und die Unmöglichkeit Sonderschulen abzuschaffen, weil es zu wenig Ressourcen – Stützlehrer, Nachmittagsbetreuung usw. – gibt und die Kinder ohne geeignete Unterstützung im Regelschulsystem auf der Strecke bleiben.

Untermauert wird dieses Bild noch vom Hinweis auf „verängstigte Eltern und Lehrer“. Deshalb soll nach Ansicht von Herrn Witting für Kinder mit Behinderung alles so bleiben, wie es ist, während „an anderer Stelle durchaus Handlungsbedarf“ besteht. Bei SchülerInnen mit Migrationshintegrund, schlechten Deutschkenntnissen bzw. sozialer Benachteiligung sieht Marco Witting dringenden Handlungsbedarf der Politik, notwendigem Willen zu Reformen und spricht von „durchaus begabten Jugendlichen“.

Dass Menschen mit Behinderung vielfältige Begabungen haben, scheint dem Redakteur der Tiroler Tageszeitung nicht vorstellbar. Er blendet auch gezielt aus, dass auch Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen oder sozialer Benachteiligung im Regelschulsystem nicht sich selbst überlassen werden dürfen, sondern gezielte Unterstützung oder Rahmenbedingungen wie z.B. Ausbau der Nachmnittagsbetreuung benötigen.

Und schließlich verweist er sogar darauf, dass es in Südtirol keine Sonderschulen gibt, ohne dem Gedanken Raum zu gewähren, dass dort offenbar auch die volle Inklusion von Kindern mit Behinderung ins Regelschulsystem stattfinden muss.

Hier wird vom Redakteur der Tiroler Zeitung gezielt ein Bild von Menschen mit Behinderung erzeugt, dass sie als rein defizitäre Wesen zeichnet, die Eltern und Lehrer „verängstigen“.

Und offensichtlich hat Marco Witting den Begriff Inklusion noch nicht wirklich verstanden: Inklusion bedeutet nicht – wie Integration – Menschen an ein bestehendes System anzupassen, sondern es bedeutet das (Schul-)System so zu gestalten, dass alle Menschen in ihm ihren Platz finden – egal ob mit Behinderung oder Migrationshintergrund.

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