Die Gutmenschen und die anderen!

Menschen auf der Flucht* werden kollektiv als Täter*innen bezeichnet, behinderte Menschen* werden in Heimen untergebracht, alte Menschen* vereinsamen in Pflegeheimen, homosexuelle, bisexuelle, transgender und intergender Menschen* werden aufgrund ihres sexuellen und sozialen Geschlechts stigmatisiert.

Danke!
Susan Cipriano auf Pixabay

All diesen Menschen ist gemein, dass sie nicht einer willkürlich festgelegten Norm entsprechen. Sie entsprechen nicht oder nicht mehr jenem Leistungsgedanken bzw. jener Produktivität, die als so wichtig für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwung erachtet wird.

Sie sind kein Garant für Fortpflanzung oder, wie im Fall von Menschen auf der Flucht*, brauchen einen Ort, an dem sie zunächst bedingungslos von vorhandenen Strukturen profitieren können. So lange, bis sie sich gefangen, und die Traumata, die ihnen zugefügt wurden, zumindest einigermaßen verarbeitet haben.

Dann werden sie einen Beitrag leisten, in welcher Form auch immer! Soweit kommt es aber meist gar nicht, weil sie schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt als Sozialschmarotzer*innen tituliert werden und ihnen das Gefühl gegeben wird, sie selbst seien schuld an ihrer Situation.

Mehrheitsgesellschaft muss sich mit Personengruppen auseinandersetzen

Aufgrund dieser rassistischen Herangehensweise muss sich die Mehrheitsgesellschaft nicht mit diesen Personengruppen auseinandersetzen: Geflüchtete Menschen* sollen bleiben, wo sie sind, behinderte Menschen* sind in den Heimen gut versorgt und Menschen, die ein anderes Geschlecht haben als „Mann“ oder „Frau“ und die anders orientiert sind als heterosexuell, dürfen zwar mittlerweile co-existieren, von einer Gleichstellung kann aber keine Rede sein. Das ist auch nicht gewollt.

Manchmal allerdings bedient sich die Mehrheitsgesellschaft dieser, bezeichnenderweise als „Randgruppen“ bekannten Menschen*. Dann nämlich, wenn es darum geht „zu helfen“. Dann wird von den „Schwächsten in unserer Gesellschaft“ oder von den „Ärmsten der Armen“ gesprochen und von „vom Schicksal gebeutelten Menschen*.“ Dann wird gespendet, gepflegt, besucht und sich gekümmert.

Für andere da zu sein und Solidarität zu leben, sind wesentliche Merkmale einer gelebten Demokratie. Entscheidend ist allerdings, mit welcher Haltung das getan wird. Eine in allen gesellschaftlichen Bereichen ausgewogene Machtverteilung kann nicht funktionieren, wenn eine Gruppe (die Mehrheit), für eine andere Gruppe (die als „schwach“ stigmatisierte) etwas tut, und diese dafür unendlich dankbar sein muss.

Empörung ist groß

Im Moment schickt Österreich u.a. Zelte nach Moria und die Empörung ist groß, dass die Menschen* keine Dankesschreiben schicken, sondern sich weiterhin wehren!  

Betreuer*innen in der Behindertenhilfe bekommen von ihrem Umfeld oft zu hören „wie schaffst du das?“, oder „das könnte ich nicht.“ Was bedeuten diese Aussagen? Sie implizieren, dass die Tatsache, dass man sich in die Nähe von behinderten Menschen* wagt, etwas Außerordentliches ist, etwas, das ganz besondere Hochachtung verdient, weil es nur wenige können.

In Wirklichkeit geht es aber lediglich darum, den Assistenzbedarf von behinderten Menschen* abzudecken. Genau so wie es bei Frisör*innen darum geht, einen einigermaßen passablen Haarschnitt hinzukriegen. Ich wage zu behaupten, dass diese eher selten zu hören bekommen, wie sie das denn schaffen?

Behindertenbetreuer*innen selbst antworten oft auf die Frage, warum sie diesen Beruf gewählt haben, mit „man bekommt soviel an Dankbarkeit zurück.“ Moment mal? Behinderte Menschen* müssen dafür, dass ihr Hilfebedarf abgedeckt wird, DANKBAR sein?

Offenbar ja, denn nur so funktioniert das mit den Gutmenschen. Sie brauchen andere, die dankbar sind. Andere, die aus ihrer Sicht „schwächer“ sind. Andere, die vom Schicksal verfolgt werden. Sie brauchen also eine Hierarchie, in der sie die stärkere Position einnehmen: sie haben mehr Geld, bessere Gesundheit, mehr zu Essen und sind der willkürlich festgelegten Normalität näher, als das Gegenüber, dem sie „helfen“.

In welcher Form geholfen wird, wird aus der stärkeren Position heraus festgelegt

Dieses Konstrukt geht so lange gut, bis diejenigen, denen geholfen wird, auch stark werden. Solange, bis sie Widerstand leisten. Bis sie selbst festlegen wollen, wann, wie, von wem und ob ihnen überhaupt geholfen werden soll.  Dann verlieren Gutmenschen die Kontrolle und das ist nicht gewollt.

Deshalb wird behinderten Menschen* nach wie vor weitestgehend der Zugang zu Bildung verwehrt. Deshalb gibt es nach wie vor keine Antworten auf das Thema Einsamkeit, von der im Übrigen auch junge Menschen betroffen sind.

Deshalb weigert man sich konsequent, die Gleichstellung unterschiedlicher sexueller Orientierung und sozialer Rollen umzusetzen. Deshalb wird geflüchteten Menschen* ein Neustart, bei dem sie die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die restliche Bevölkerung, verwehrt. Und das mit fadenscheinigen Argumenten.

Ich selbst lebe seit fast 46 Jahren als behinderte Frau. Mit der Zuschreibung „Randgruppe“ konnte ich mich nie identifizieren. Das hat damit zu tun, dass mir von Beginn an alle Türen offenstanden, die auch anderen in diesem Land offenstehen.

Das Merkmal Behinderung war nicht ausschlaggebend für meinen Lebensweg. Das alles hat mich stark gemacht und hellhörig im Umgang mit Menschen, die mir „helfen“ wollen, nur damit es ihnen selbst besser geht! Und: ich bin für vieles dankbar, aber nicht dafür, dass Menschen dazu beitragen, dass ich meine Rechte und Pflichten als Teil der Gesellschaft leben kann.

Das ist mein Recht, nicht mehr und nicht weniger!  

Gedanken zu diesem Thema macht sich auch Udo Sierck und Nati Radtke in ihrem Buch „Dilemma Dankbarkeit

Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich
Hier beginnt der Werbebereich Hier endet der Werbebereich

Hinterlassen Sie einen Kommentar

Die Kommentarfunktion für diesen Artikel ist abgeschalten.

3 Kommentare

  • Danke, dieser Artikel bringt Vieles auf den Punkt! Menschen und Leben sind eben unterschiedlich – eine Tatsache, der sich die neoliberale Ideologie verweigert.

  • Na ja. GUTMENSCH ist ein heikles Wort. Es wird seit Jahrzehnten als Hasswort gebraucht, um ALLE, die sich für Benachteiligte einsetzen, herunterzumachen. Ich glaube, man sollte es eher lächerlich machen und als billige Totschlagcode entlarven, als es selbst einzusetzen. Man könnte einem selbstzufriedenen Spießbürger z.B. antworten, o.k., ich bin ein Gutmensch – besser als ein Schlechtmensch wie du. Jetzt aber bekommen die „Gutmenschen“ pauschal auch noch von Ihnen ihr Fett ab und wissen nicht, wie sie dazukommen. Ich glaube, man sollte sich die Übernahme von faschistoider Diktion genau überlegen, auch wenn man noch so eine Wut im Bauch hat …







    Gernot Neuwirth

  • Großartig geschrieben! Ja wir beruflich in der Sozialarbeit verorteten haben nach wie vor sehr an unserer Haltung zu arbeiten. Einiges ist schon geschaut – vieles ist noch zu bewältigen. Vielen Dank für die Denkanstöße!