Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die USA

Derzeit tut sich in den USA viel in Bezug auf die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Convention on the Rights of Persons with Disabilities, kurz: CRPD).

Flagge USA
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In den USA, die die CRPD Ende Juli 2009 unterzeichnet haben, tobt derzeit geradezu ein Kampf zwischen GegnerInnen und BefürworterInnen der Ratifikation dieser UN Konvention.

Nachdem der Präsident die CRPD im Mai an den Senat übermittelt hat, fand im Juli ein Hearing in Bezug auf die CRPD im Senate Foreign Relations Committee statt.

Von der Entscheidung, die der Senat letztlich treffen wird – für oder gegen die Ratifikation der CRPD – hängt ab, ob das ehemals fortschrittlichste Land in Bezug auf Anti-Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu einer Lachnummer wird, wie Tina Minkowitz, eine der MitentwicklerInnen der CRPD am 30.11.2012 twitterte.

Ablehnung der Ratifikation wäre tragisch

Wäre das mögliche Ergebnis einer Ablehnung der Ratifikation nicht äußerst tragisch für Menschen mit Behinderungen in den USA, könnte man dem Ganzen aus politischer Sicht abgewinnen, dass hier zumindest teilweise die politische Bedeutung der CRPD erkannt wurde. Aber nur teilweise, denn zum Teil sind die Argumente gegen die CRPD unsäglich ahnungslos bis gefährlich, und es wird bewusst Stimmung gegen die CRPD gemacht und Panik erzeugt.

So wird zum Beispiel in etlichen Foren und Blogs diskutiert, dass mit der CRPD die Rechte der Eltern von Menschen mit Behinderungen auf ein Mindestmaß eingeschränkt werden. Richtig erkannt, aber das Ganze ist positiv! Es geht um die Rechte von Menschen mit Behinderungen, und nicht um jene der Eltern oder andere Personen, die im Umfeld von Menschen mit Behinderungen leben und handeln. Das Ziel der CRPD ist es, ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, zu gewährleisten und zu erhalten.

Artikel 1 der CRPD besagt: „The purpose of the present Convention is to promote, protect and ensure the full and equal enjoyment of all human rights and fundamental freedoms by all persons with disabilities, and to promote respect for their inherent dignity.“

Es geht darum, dass alle Menschen mit Behinderungen wie alle anderen Menschen auch in ihrer Vielfalt zu akzeptieren sind – nicht zu tolerieren. Es geht um eine Gesellschaft, die nicht mehr ausgrenzt, sondern die inklusiv gestaltet ist – und jede/r ist Teil dieser Gesellschaft. Dies bedeutet selbstverständlich, dass alle Formen von Barrieren abzubauen sind, die Menschen mit Behinderungen daran hindern, an der Gesellschaft uneingeschränkt, voll und ganz teilhaben zu können.

Zu diesen Barrieren gehört auch, dass selbstbestimmtes Leben unterbunden wird – sei es durch Maßnahmen in Institutionen (Heime) oder sei es durch Familienangehörige. Nicht von ungefähr ist einer der zentralen Artikel der CRPD Artikel 19, in dem es um selbstbestimmtes Leben und um die Inklusion in der Gesellschaft geht.

Ein weiteres, absurdes ‚Gegen’-Argument bezieht sich auf Artikel 23 und 25 der CRPD, in denen es um Informationen zu Reproduktion und Familienplanung wie auch um die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Menschen mit Behinderungen geht. GegnerInnen der CRPD halten fest, dass das einem Vorantreiben der Abtreibung gleichkomme.

Auch hier gilt: Richtig erkannt, aber das Ganze ist positiv!

Denn warum sollten Menschen mit Behinderungen nicht dieselben reproduktiven Möglichkeiten ausschöpfen können, wie alle anderen Menschen, denen das nicht aberkannt wird? Es geht eben genau darum, dass Menschen mit Behinderungen Entscheidungen treffen können und können sollen – alleine oder/und unter Hilfestellung anderer. Aber es sollen die Entscheidungen von Menschen mit Behinderungen sein, nicht die Entscheidungen des Umfelds oder der Familien. Auch hier gilt, dass die CRPD darauf abzielt, dass alle Menschen die gleichen Rechte genießen und dass alle Barrieren abzubauen sind, die das verhindern. Anti-Abtreibungskampagnen auf dem Rücken von Menschen mit Behinderungen auszutragen, ist ein absichtliches Ablenken vom eigentlichen Thema, und ein Vorschieben anderer Thematiken als Argument gegen die Ratifikation der CRPD. Es geht darum, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen haben, und nicht darum, ob sie die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen auch haben ‚dürfen’.

Erwähnt werden muss in dieser Debatte um die Ratifikation der CRPD auch, dass es etliche Stimmen gibt, die argumentieren, dass die USA ihre Souveränität aufgeben müsse, sobald sie die CRPD ratifiziert habe. Was verliert ein Staat, wenn Menschenrechte eingehalten werden? Menschenrechte, die bereits seit 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergeschrieben sind, und die mit der CRPD in Bezug auf Menschen mit Behinderungen spezifiziert wurden, weil Menschen mit Behinderungen nach wie vor aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Es ist kaum nachvollziehbar, wie eine derartige Debatte in einem Land geführt werden kann, in dem sich die Independent-Living-Bewegung entwickelt hat und das Jahrzehnte lang Vorbild für andere Staaten war, was Anti-Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen betrifft. Wie kann Souveränität eines Staates in negative Beziehung zu Menschenrechten gebracht werden? Einmal ganz davon abgesehen, dass die USA an niemanden ihre Souveränität abgeben müssen, sondern ‚lediglich’ dafür Sorge tragen müssen, dass die CRPD voll und ganz umgesetzt wird.

Und das bringt mich schon zum letzten Punkt, der damit in Verbindung steht: Es gibt Ansichten in den USA, die behaupten, die CRPD müsse nicht mehr umgesetzt werden, weil bereits alles erfüllt sei. Dies versucht man über so genannte RUDs zu erzielen – Reservations, Understandings and Declarations, die absichern sollen, dass die CRPD zu keinen neuen Gesetzen führen wird (auf US-Ebene wie auch in Bezug auf die einzelnen Bundesstaaten) und dass es zu keinen zusätzlichen Ausgaben kommen wird. Das klingt sehr nach einer österreichischen Haltung zur Umsetzung der CRPD (man denke an die ähnlich lautende Aussagen im Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderungen 2008/2009), die aber glücklicher- und vernünftigerweise zunehmend von der Ansicht überlagert wird, dass noch viel zu tun ist, bis die CRPD umgesetzt ist.

John Wodatch stellte im Juli vor dem Foreign Relations Committee des US Senats fest, dass eben mit Hilfe der RUDs in Bezug auf die CRPD mit dem ADA bereits alles umgesetzt sei und kein Handlungsbedarf bestehe. Zugleich hielt er fest, dass keine zusätzlichen Budgetmittel notwendig seien. Diese irrige Ansicht vertritt auch Österreich und es wird noch einige Zeit dauern, bis klar ist, dass das Zugestehen von Rechten, die Menschen bereits zustanden, aber immer aberkannt wurden, etwas kostet, eben weil sie Menschen lange Zeit verwehrt wurden und nun Aufholbedarf besteht.

Was die Debatte in den USA zeigt, ist, dass dort – trotz des American with Disabilities Act (ADA) 1990, der als die ‚Mutter’ aller Anti-Diskriminierungsgesetze in Bezug auf Menschen mit Behinderungen gilt – immer noch ein sehr paternalistischer Zugang zum Thema vorherrscht. Menschen mit Behinderungen werden aktuell in der Debatte um die Ratifikation der CRPD nicht so behandelt und von einigen auch nicht so eingezogen, wie es diese UN Konvention verlangt. Man redet über ‚sie’, man redet darüber, wie man mit ‚ihnen’ umgehen will und soll, aber man ‚übersieht’ dabei, dass die USA und der ADA durch diese teils skurrilen Debatten an Glaubwürdigkeit verlieren, was die Frage der Anti-Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen betrifft.

Eines ist bei der ganzen Sache klar – Menschen mit Behinderungen in den USA selbst sehen den unschätzbaren Wert dieser UN Konvention und machen Stimmung für deren Ratifikation. Ob sie sich gegen die starke Lobby der GegnerInnen durchsetzen werden, ist derzeit noch offen. Zu hoffen bleibt es allemal.

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