Die neue Wiener Pflegegeldergänzungsleistung

Andreas Vega vom Verbund behinderter ArbeitgeberInnen (VbA) München sprach mit Dorothea Brozek, Geschäftsführerin der Wiener Assistenzgenossenschaft (WAG) über die neue Wiener Pflegegeldergänzungsleistung.

Dorothea Brozek
Dorothea Brozek

Andreas Vega: Frau Brozek, durch die Presse ging eine für österreichische Verhältnisse positive Meldung aus einer Pressekonferenz der Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales Sonja Wehsely für die österreichische Behindertenbewegung. Was genau wurde dort verkündet?

Dorothea Brozek: Wir hatten hier in Wien ein Modellprojekt zur Persönlichen Assistenz, das die Finanzierung für 21 Menschen mit Behinderung sichergestellt hat. Dieses Modellprojekt läuft im März 2008 aus und wir hatten große Sorge, dass diese Menschen nach dem Auslaufen dieser ohnehin schon sehr eingeschränkten Regelung unversorgt sind.

Nach dem die Betroffenen befürchten mussten, wieder ins Heim zurück gehen zu müssen, weil von den Verantwortlichen der Stadt Wien nur negative bzw. gar keine Signale kamen, haben sich die Selbstbestimmt-Leben-Beratungsstellen und vor allem die Betroffenen zusammengetan und gemeinsam Anträge und Anfragen an die Stadtverwaltung, sowie an die verantwortliche Stadträtin Wehsely gerichtet.

Diese Aktionen haben wir vor allem verstärkt in den vergangenen zwei Monaten durchgeführt. Schließlich konnten wir nicht mehr ignoriert werden. Die Stadt Wien musste eine Lösung herbeiführen.

Andreas Vega: Wie sieht denn diese Lösung konkret aus?

Dorothea Brozek: Am 28. November hat sich Frau Wehsely in einem Mediengespräch endlich öffentlich geäußert und stellte die neue Wiener Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz vor. Diese sieht vor, dass der bisherige Modellversuch für alle Anspruchsberechtigten geöffnet wird, sowie der bisherige Stundensatz von 13,73 EUR auf 16,00 EUR erhöht wird – allerdings weiterhin inklusive aller Arbeitgeberleistungen.

Es soll der individuelle Bedarf berücksichtigt werden, ohne Deckelung. Wir nehmen es einmal positiv und gehen davon aus, dass eine 24-Stunden-Assistenz in Zukunft finanziert wird. Insgesamt ist dies ist eine mutige Grundsatzentscheidung der Stadt Wien, die Persönliche Assistenz als Regelleistung ermöglicht.

Andreas Vega: Das hört sich ja nach einem großen Fortschritt an. Gibt es dennoch Haken und Ösen?

Dorothea Brozek: Die Haken und Ösen sind, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten und Menschen, die unter Betreuung stehen, weiterhin ausgeschlossen sind. Die Stadt Wien finanziert Persönliche Assistenz nur für Menschen mit Behinderung, die eine so genannte „hohe Selbstverwaltungskompetenz“ aufweisen. Hier scheint die Stadt Wien den Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik, welcher auch in Österreich in Sonntagsreden oft bemüht wird, noch nicht ganz verstanden zu haben.

Wir von der WAG werden nicht müde werden, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Selbstbestimmt Leben bedeutet, Wahlmöglichkeiten zu haben und über sein Leben und dessen Gestaltung selbst zu entscheiden. Selbstbestimmt Leben bedeutet nicht, alles selber machen zu müssen, sondern selber zu entscheiden, wem man wofür die Verantwortung überträgt.

Andreas Vega: Erwartet die WAG mit dieser Veränderung einen großen Ansturm von Menschen mit Assistenzbedarf, die ihre Persönliche Assistenz über die Assistenzgenossenschaft mit den jetzt erhöhten Stundensätzen organisieren wollen?

Dorothea Brozek: Diese neue Lösung favorisiert eindeutig das Arbeitgebermodell. Als anerkannter Dienstleister der Behindertenhilfe erhalten wir im Gegensatz zu den ambulanten Diensten in Deutschland keine erhöhten Stundensätze, sondern personengebundene Pauschalen. Weder von diesen Pauschalen, noch von der neuen kommenden „16 EUR-Lösung“ der Stadt Wien kann die WAG für Menschen mit hohem Assistenzbedarf eine wirklich bedarfsgerechte Persönliche Assistenz organisieren. Die behinderten Menschen, die ihre Assistenz nicht im Arbeitgebermodell organisieren können oder wollen, sind hier klar benachteiligt.

Andreas Vega: Es bleibt also weiterhin viel zu tun.

Dorothea Brozek: Zuerst einmal freuen wir uns über die starke gemeinsame Kraft der Wiener Selbstbestimmt Leben Beratungsstellen, welche diesen großen Schritt für Persönliche Assistenz in Wien bewirkt haben. Aber ich sage auch: Wir haben die WAG deswegen gegründet, damit wirklich alle behinderten Menschen ein Selbstbestimmtes Leben führen können und dafür werden wir mit vollem Einsatz weiterkämpfen.

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